Gastbeitrag

Bundeshaushalt: Wo bleibt da das globale Engagement Deutschlands?

Deutschlands neue Partner werden uns nicht an den hehren Erklärungen zu unseren Werten messen – sondern daran, ob wir unsere Verpflichtungen in der Praxis umsetzen. Ein Gastbeitrag.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steigt nach seiner dreitägigen Afrikareise in den Airbus A350 der Flugbereitschaft der Luftwaffe (Archiv).
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steigt nach seiner dreitägigen Afrikareise in den Airbus A350 der Flugbereitschaft der Luftwaffe (Archiv).Michael Kappeler/dpa

Alle diskutieren den Bundeshaushalt. Wer diskutiert eigentlich die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 in diesem Bundeshaushalt? Sie wurden als Regeln einer gerechten Gestaltung der Globalisierung von den Staaten der UN im Jahr 2015 beschlossen. Wir sind jetzt in der „Halbzeit“ ihrer Umsetzung.

Wie die neue Weltordnung künftig aussieht, hängt auch von dem globalen Engagement Deutschlands ab. Bundeskanzler Olaf Scholz versucht auf seinen Reisen und auch bei den Beratungen der G7, die Stimmen aus dem Globalen Süden und insbesondere der Afrikanischen Union aufzunehmen. Die globale Verantwortung Deutschlands kann sich aber nicht nur in der militärischen Sicherheit dokumentieren, sondern muss auch die menschliche Sicherheit umfassen. Wir müssen schließlich auch wehrhaft gegen die Klimakatastrophe, gegen Pandemien und gegen Ungleichheit und Ungerechtigkeit sein.

Investitionen sind notwendig und es gibt Möglichkeiten, die wir dafür nutzen sollten

Deshalb sind massive Investitionen in allen Ländern notwendig, sowohl in den Ländern mit mittlerem Einkommen, sonst Schwellenländer genannt, als auch in den ärmeren Ländern. Wir haben uns im Rat für Nachhaltige Entwicklung ausführlich mit der enormen Finanzierungslücke beschäftigt, die sich bei diesen Investitionen auftut: 1 Billion Dollar werden in den Ländern des Globalen Südens jährlich benötigt, um die Nachhaltigkeitsziele und die Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens umzusetzen! Und das vor dem Hintergrund einer wachsenden Verschuldung vor allem der ärmsten Entwicklungsländer. Sie müssen teilweise bis zu 30 Prozent ihrer nationalen Haushalte für Schuldendienstzahlungen einsetzen. Es ist aber auch in unserem Interesse, dass diese Länder genügend Finanzspielraum haben, sonst würden sie weder imstande sein, ihre Wirtschaften zu dekarbonisieren, noch Armut und Hunger zu bekämpfen.

Wir haben deshalb vonseiten des Rates für Nachhaltige Entwicklung uns einmütig für eine umfassende Reform der internationalen Finanzarchitektur und der Entwicklungsfinanzierung ausgesprochen, denn wir könnten unsere eigenen Finanzspielräume deutlich erweitern, wenn wir die Möglichkeiten der Internationalen Finanzinstitutionen, Weltbank und IWF stärker innovativ nutzten.

Mehr Gebrauch vom Reserveguthaben des Internationalen Währungsfonds (IWF)

Gleichzeitig verlangen wir eine neue Initiative zur Entschuldung von Ländern des Globalen Südens. Diese Initiative sollte auch China mit in die Verantwortung nehmen, das für einen großen Teil der Verschuldung afrikanischer Länder die Verantwortung trägt. Sie sollte den privaten Sektor umfassen, auch eine multilaterale Entschuldung ermöglichen und orientiert sein auf die Umsetzung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele des jeweiligen Landes.

Als besonders wichtig haben wir eine Forderung mit aufgenommen, die in Deutschland politisch bisher noch nicht diskutiert wird, obwohl die Kommuniqués der G7 sie regelmäßig selbst erwähnt haben: Es geht um die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds.

Die Zuteilung von Sonderziehungsrechten ist ein 1969 vom IWF eingeführtes Reserveguthaben. Sie bietet Ländern in Krisensituationen eine Möglichkeit, Reservewährungen zu erhalten, um zur Stabilisierung und Verbesserung der wirtschaftlichen Situation beizutragen. Von der Zuteilung dieser Sonderziehungsrechte wurde erst zweimal Gebrauch gemacht: Während der Finanzmarktkrise 2008/09 und während der Covid-Pandemie im Jahr 2021. Die Allokation im Jahr 2021 betrug den hohen Betrag von 650 Milliarden US-Dollar.

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Bernd Elmenthaler/IMAGO
Zur Autorin
Heidemarie Wieczorek-Zeul wurde am 21. November 1942 in Frankfurt am Main geboren. Sie ist eine deutsche Politikerin (SPD). Von 1998 bis 2009 war sie Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie ist Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung.

Die Zuteilung erfolgt bisher aber im Umfang der Quotenanteile, die die Länder beim IWF haben. Das heißt, die Industrieländer profitieren von der Zuteilung dieser Mittel, während die ärmeren Länder wenig davon haben. Deutschland hat mit einem Anteil von 25,5 Mrd. Sonderziehungsrechten 30,8 Mrd. Euro erhalten. Dabei ist dieser Wert höher als der Wert der Sonderziehungsrechte für die 46 ärmsten Entwicklungsländer! Deshalb kam schon frühzeitig die Forderung auf, dass die wohlhabenderen Länder ihre Anteile den ärmeren zur Verfügung stellen sollten. Diesen Punkt haben auch die G7 aufgenommen.

Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, eine Vorreiterrolle zu übernehmen, indem die 2021 ausgeschütteten Mittel für die notwendigen Investitionen der Entwicklungszusammenarbeit entweder über die Resilienz- und Nachhaltigkeitsfazilität des IWF oder über die multilateralen Entwicklungsbanken den ärmsten Ländern zur Verfügung gestellt werden.

Mehrmals verpflichtet, bisher keine „Umlenkung der Sonderziehungsrechte“

Die G7 haben sich in ihrem Kommuniqué aus Hiroshima im Mai 2023 erneut dazu verpflichtet. In einem gemeinsamen „Manifest“ haben wichtige Regierungschefs wie Olaf Scholz, Emmanuel Macron, Lula da Silva, Cyril Ramaphosa und viele andere vor der Konferenz im Juni 2023 in Paris sich für die „Umlenkung von Sonderziehungsrechten oder gleichwertige Budgetbeiträge“ ausgesprochen. Das Darlehen von 6,3 Mrd. Euro, das Finanzminister Lindner im Jahr 2022 der Resilienzfazilität des IWF zur Verfügung stellte, kann es ja noch nicht sein.

Woran liegt es also, dass die „Umlenkung der Sonderziehungsrechte“ bisher nicht passiert? In Deutschland geht die Allokation an die Deutsche Bundesbank. Deshalb wird auch keine politische Diskussion über diese Frage geführt. Obwohl klar ist, dass diese Mittel dem eigentlichen Zweck der Stärkung der ärmeren Länder zugeführt werden sollten. Und obwohl klar ist, dass in der Zeitenwende vieles neu gedacht und geregelt werden muss. Wie wir ja jeden Tag aufs Neue erleben. Was muss geschehen, damit die Zuteilung der Sonderziehungsrechte, die bisher von der Bundesbank verwaltet werden, tatsächlich umfassend für die ärmeren Länder genutzt werden können?

Es sollte eine klarstellende Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bundesbank geben, dass diese SZR Zuteilungen für entwicklungspolitische Zwecke genutzt werden können, ohne dabei die Weisungsunabhängigkeit der Bundesbank zu tangieren.

Mehrere Chancen zu beweisen, dass wir unsere Verpflichtungen umsetzen können

Das ist auch deshalb notwendig, weil die Sonderziehungsrechte zukünftig eine wichtigere Rolle im internationalen Krisenmanagement spielen werden. So hat gerade ein hochrangiges Panel (High Level Panel on Effective Multilateralism) unter dem Vorsitz von Stefan Löfven, dem ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten, und der ehemaligen liberianischen Präsidentin, Ellen Johnson Sirleaf, einen umfassenden Vorschlag vorgelegt, der fast die Qualität eines Neuen „Nord-Süd-Berichtes“ in der Nachfolge des berühmten Berichtes von Willy Brandt hat. Darin wird u.a. eine regelmäßigere Allokation dieser Sonderziehungsrechte gefordert. Und der neue Policy Brief des UN-Generalsekretärs vom Juni dieses Jahres fordert zu Recht die Zuweisung der Sonderziehungsrechte des IWF umfassend zu reformieren: D.h. der Zugang zu ihnen sollte vom Anteil der Quoten entkoppelt werden, damit die Mittel da ausgeschüttet werden, wo die Hilfe am notwendigsten ist.

Zurück zur Frage der neuen Weltordnung und neuer Allianzen: Die neuen Partner in der Welt werden uns nicht an den hehren Erklärungen zu unseren Werten messen (so sehr ich für sie kämpfe), sondern daran, ob wir unsere eigenen Erklärungen, Überzeugungen und Verpflichtungen in der Praxis umsetzen. In diesem Jahr gibt es noch genügend äußere Anlässe, das unter Beweis zu stellen: die UN Generalversammlung im September zur Überprüfung der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele oder die Treffen der Internationalen Finanzinstitutionen, Weltbank und IWF Anfang Oktober in Marokko.

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