Experten der Bundeswehr halten es für möglich, dass die Sabotage an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 von Unterwasserdrohnen verursacht worden sein könnte, aber auch Taucher könnten zum Einsatz gekommen sein. Jakob Zimmermann wurde in Schottland und Marseille zum Berufstaucher ausgebildet. Zuvor war der gebürtige Berliner Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Seit 1998 repariert er in Tiefen von bis zu 150 Metern Pipelines – häufig im offenen Meer. Wie eine Taucher-Mission zur Sprengung der Pipelines vonstatten gegangen sein könnte, darüber haben wir mit Jakob Zimmermann am Telefon gesprochen.
Herr Zimmermann, wie sieht Ihr beruflicher Alltag aus?
Ich arbeitete an Tauchbaustellen in Tiefen von bis zu 150 Metern. Das sind etwa Baustellen in Städten, wie beispielsweise am Potsdamer Platz in den späten Neunzigerjahren, aber ich tauchte auch Offshore in der Öl- und Gasindustrie, unter anderem in der holländischen und britischen Nordsee und u. a. in Ägypten, wo ich Pipelines repariert habe.
Was unterscheidet die Tauchgänge in größerer Tiefe von der Arbeit an Baustellen in vergleichsweise flachen Gewässern?
Ab 50 Metern kann man nicht mit normaler Luft tauchen, weil der Stickstoff, aus dem unsere normale Luft zu 80 Prozent besteht, in solchen Tiefen narkotisch wirkt und den sogenannten Tiefenrausch auslöst. Deswegen wird der Stickstoff durch Helium ersetzt.
Atmet man dann einfach etwas anderes ein oder unterscheidet sich auch der Ablauf des Tauchganges?
Je tiefer man taucht, desto länger dauert das ganze Prozedere. Denn es dauert nicht nur länger, hinabzukommen, sondern man muss sehr langsam aus der Tiefe auftauchen. Ansonsten bilden sich Bläschen in den Gelenken oder im Rückenmark, wodurch man gelähmt werden oder sogar sterben kann. Man nutzt für Arbeiten in Tiefen von über 50 Metern daher oft das Sättigungsverfahren, bei dem die Taucher in Druckkammern auf die Arbeitstiefe vorbereitet werden. Aus einer Druckschleuse steigt man in eine Tauchglocke um, die abgesenkt wird. Dann steigt man zum Arbeiten aus. Die Taucher sind permanent unter Druck, auch beim Aufstieg. Dann werden sie in den Druckkammern langsam wieder entlastet.

Wie fühlt es sich an, so tief zu tauchen?
Bei meinen tiefsten Tauchgängen von ungefähr 150 Metern ist man schon leicht motorisch eingeschränkt durch den Druck. Es ist stockdunkel, man benutzt also eine Lampe, die man auf dem Helm trägt, um sehen zu können. Taucht man bis 300 Meter fühlt sich das Atmen wie Trinken an, weil das Gas sehr dickflüssig wird, man ist auch mental eingeschränkt, der Druck wirkt psychisch.
Die Nord-Stream-Leitungen liegen in gut 70 Meter Tiefe. Würde man für Arbeiten in dieser Tiefe auch ein solches Verfahren nutzen?
Ja. Um diese Pipelines zu reparieren, braucht man schließlich viele Stunden, wenn man so lange auf dieser Tiefe ist, ist das Sättigungsverfahren nötig. Man muss schließlich erst mal den beschädigten Bereich der Röhren durch einen sauberen Schnitt heraustrennen und ein Passstück einsetzen. Das kann man zum Beispiel machen, in dem man diesen gesamten Bereich mit einem Habitat, einer riesigen Stahlkonstruktion, trockenlegt. Das ist ziemlich kompliziert, dauert lange und ist enorm teuer.
Aber es ist machbar? Es hieß zuletzt immer wieder, die Schäden seien irreparabel.
2008 war ich in einem Einsatz, bei dem ein Tanker vor der Küste Großbritanniens Anker geworfen und mit dem Anker eine Pipeline mitgenommen hat. Sie war sehr schwer beschädigt. Aber wir haben das damals hinbekommen und auch Nord Stream 1 ist in meinen Augen reparabel, warum nicht? Man schneidet das kaputte Stück heraus und ersetzt es. Man darf nur nicht warten, bis alles von innen verrostet ist, jetzt dringt natürlich Wasser in die Leitungen.
Die Reparatur ist eine Sache. Die Zerstörung der Pipeline eine andere. Ein Mecklenburger Landeskommandant der Bundeswehr hat den Verdacht geäußert, die Pipeline könnte mithilfe von durch Taucher angebrachte Sprengladungen zerstört worden sein. Was denken Sie?
Das ist definitiv möglich. Sowohl von einem Schiff an der Oberfläche aus, das als Jacht oder als Fischkutter getarnt ist oder aber mithilfe eines U-Bootes. Sowohl das Sättigungsverfahren als auch ein Kreislaufgerät kommt infrage. Letzteres gerade, wenn man von einem kleinen, unauffälligen Schiff ohne Druckkammer tauchen möchte. Aber auch der Einsatz von Tauchrobotern, sogenannten ROVs, wäre denkbar.
Ein Kreislaufgerät?
Ja. Ein Computer stellt dabei aus zwei Flaschen die für die jeweilige Tiefe perfekte Mischung aus Sauerstoff und Helium her. Professionelle Höhlentaucher etwa verfügen über solche Geräte. Der Vorteil ist, dass das CO2 dabei aus der ausgeatmeten Luft herausgefiltert wird und man so relativ lange unten bleiben kann, außerdem entstehen kaum Luftblasen.
Wie würde man dann vorgehen?
Die Haftminen, die Kampfschwimmer auch an Schiffen anbringen sind sicherlich stark genug, um ein Loch in eine solche Pipeline zu reißen. Solche würde man dann anbringen. Das Problem bei beiden Optionen ist aber, dass es sehr schwer ist, bei einer solchen Operation unentdeckt zu bleiben, gerade in der Ostsee. Und die Röhre an vier Stellen zu sprengen, ist eine Operation, bei der mehrere Tauchgänge notwendig wären, das ganze könnte schon anderthalb bis zwei Tage dauern. Hierzu muss ich aber sagen, dass ich kein Marinetaucher war, insofern ist mein Wissen hier aus zweiter Hand.
Kann man die Tauchgänge, die für die vier Sprengungen nötig wären, nicht alle gleichzeitig machen?
Das wäre meines Erachtens in der Ostsee viel zu auffällig. Dann bräuchte man ja vier Boote – und vier ganze Besatzungen an Mitwissern. Ich kann mir vorstellen, dass aktuell Satellitenbilder ausgewertet werden, man wird sehen, ob sich darauf Schiffe in der Nähe der Pipelines finden. Selbst wenn man also sein automatisches Identifikationssystem ausschaltet, würde man auf Satelliten vier Schiffe erkennen, die in der Nähe der vier Lecks verweilten. Das halte ich für sehr unwahrscheinlich.
Hinterlässt ein U-Boot auch Spuren?




