Osteuropa

Freiheitstag in Belarus: Warum der 25. März für die Demokratiebewegung so wichtig ist

Für viele Belarussen ist der 25. März der wichtigste Protesttag im Jahr. Alexander Lukaschenko unterdrückt jedoch jegliche Kundgebungen. Eine Analyse.

Im August 2020 gingen Millionen von Belarussen auf die Straße – mit der weiß-rot-weißen Flagge.
Im August 2020 gingen Millionen von Belarussen auf die Straße – mit der weiß-rot-weißen Flagge.Natalia Fedosenko/imago

Der 25. März ist stets ein aufregender Tag in Belarus. Anhänger oppositioneller Parteien begehen diesen Tag wie ein Volksfest, müssen sich jedoch vor Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern hüten. Es drohen für das Hissen von weiß-rot-weißen Fahnen Geld- oder sogar Haftstrafen. Trotzdem begehen viele Belarussen jedes Jahr Ende März den inoffiziellen Freiheitstag, gehen auf Kundgebungen und tragen T-Shirts mit dem Konterfei von Kastus Kalinouski, einer Gallionsfigur der belarussischen Freiheitsbewegung. Der 25. März – in Belarussisch Dsen Voli – steht für den Kampf für nationales und historisches Selbstverständnis.

Im Protestkalender der belarussischen Nationalbewegung ist es der wichtigste Tag im Jahr. Am 25. März 1918 wurde nämlich unter deutschem Protektorat die Belarussische Volksrepublik (BNR) ausgerufen. Es war ein kurzes Staatsprojekt inmitten der Wirren zwischen dem Zusammenbruch des Zarenreiches und vor der Gründung der Sowjetunion. Jedoch hatte kein Land zu dieser Zeit die Volksrepublik offiziell anerkannt. Die Symbole des BNR-Staates sind die weiß-rot-weiß gestreifte Flagge und das Pahonia-Wappen. Im Belarus unter Diktator Alexander Lukaschenko wurden sie zu den Protestsymbolen der politischen Opposition, später zu Symbolen der breit gefächerten belarussischen Demokratiebewegung.

2018, anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der BNR, verwandelte sich Minsk in ein regelrechtes Straßenfest. Über 50.000 Besucher pilgerten ins Stadtzentrum zu verschiedenen Demonstrationen und Konzerten. Der Machtapparat spielte bei den Feierlichkeiten rund um das Jubiläum ausnahmsweise mit, betrachtete den Tag als Teil seiner „multivektoralen Politik“, die zwischen Moskau und dem Westen lavierte. Doch Sommer und Herbst 2020 veränderten das größte Binnenland Europas grundlegend.

Wie die Wahlen 2020 Belarus veränderten

Seit den gefälschten Wahlen vom August 2020 und den größten Protesten in der Geschichte von Belarus hat sich das Lukaschenko-Regime vollständig Wladimir Putin zugewandt und jegliche Souveränität über seine eigene Politik verloren. Das ist der heute zu zahlende Preis für Putins Unterstützung während der heiklen Phase im Protestherbst 2020, als Millionen von Belarussen gegen die Wahlmanipulationen auf die Straße gingen. Staatsdiener zerschlugen die Proteste, laut der Menschenrechtsorganisation Viasna befinden sich nun über 1400 Menschen aus politischen Gründen in Haft. Hunderttausende Belarussen flüchteten daraufhin aus ihrer Heimat – aus Angst vor Repressionen und Gewalt. Im alljährlichen Report von Freedom House sind nur neun Länder auf dieser Welt unfreier als Belarus. Selbst China, Myanmar oder der Jemen schneiden besser ab als Lukaschenkos Belarus.

Belarussen riskieren drakonische Strafen, wenn sie die weiß-rot-weiße Fahne hissen.
Belarussen riskieren drakonische Strafen, wenn sie die weiß-rot-weiße Fahne hissen.www.imago-images.de

Der 68-Jährige unterstützt wiederum Putin in seinem Krieg gegen die Ukraine. Russische Truppen sind in Belarus stationiert, bekommen logistische Unterstützung, verwundete russische Soldaten werden in belarussischen Krankenhäusern behandelt, und Drohnenangriffe auf Kiew und andere ukrainische Städte sollen von belarussischem Territorium gestartet worden sein. Nicht wenige Beobachter fragen sogar, inwieweit Belarus nicht de facto durch Russland besetzt sei, oder sprechen von einem erweiterten russischen Militärbezirk. Offiziell ist Lukaschenko bisher aber nicht mit belarussischen Armeeeinheiten in den Krieg eingetreten.

Belarussischer Freiheitstag in den USA

Und wie organisiert sich die belarussische Opposition rund um Swetlana Tichanowskaja am diesjährigen 25. März? Ihr Einfluss innerhalb von Belarus scheint – bedingt durch das Leben im litauischen Exil – über die Jahre zu schwinden. Aktionen gegen das Lukaschenko-Regime sind nur noch aus dem Untergrund – von Partisanengruppen – denkbar. Schließlich drohen nicht mehr nur empfindliche Geldstrafen, sondern Lagerhaft von bis zu zehn Jahren.

Das weiß auch die Präsidentschaftskandidatin von 2020. Tichanowskaja wird den diesjährigen Freiheitstag in den USA begehen, hält Reden in Washington und Boston. Auf ihrer Homepage und in den sozialen Medien animiert sie Belarussen weltweit, den Tag im Internet zu zelebrieren, Geld an demokratisch-belarussische Initiativen zu spenden oder Briefe an politische Häftlinge zu senden. In mehreren europäischen Städten, wie zum Beispiel in Köln, Warschau oder Vilnius wird es Kundgebungen geben. Große Protestaufrufe innerhalb ihres Heimatlandes – wie noch 2021 – werden jedoch auch von Tichanowskaja nicht zu hören sein. Zu groß ist die Angst vor Lukaschenkos Repressalien für die in Belarus verbliebenen Oppositionellen.

Viele betrachten das historische Momentum für politischen Wandel als verpasst. Man warte nun auf den nächsten Zeitpunkt, der schneller kommen könnte, als man sich vorstellen mag. Damit ist jedoch nicht der 25. März gemeint. Das System Lukaschenko hängt schließlich am Tropf des Systems Putin. Der Ausgang des Krieges in der Ukraine könnte hier eine Schlüsselrolle spielen.