Berlins Bezirksbürgermeister schlagen Alarm. Wenn die Bezirksämter nicht deutlich mehr Geld bekämen als derzeit vorgesehen, müssten sie beim Personal einsparen. Das würde zulasten freiwilliger Leistungen etwa in der Jugendfreizeitarbeit oder bei bestimmten Angeboten für Obdachlose gehen. Sogar die Schließung einzelner Bürgerämter wäre nicht ausgeschlossen.
„Wir als Bezirke wollen eine funktionierende Stadt und wollen unseren Beitrag dazu leisten“, heißt es in einem Brief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und den Finanzsenator Stefan Evers (beide CDU). Doch dies, so beklagen die Bezirksbürgermeister, „wird unter den aktuellen Voraussetzungen nicht möglich sein“.
Neuköllns Bezirksbürgermeister: „Das Geld reicht hinten und vorne nicht“
Einer der Wortführer ist Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung bestätigt der SPD-Politiker: „Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Die Basis ist zu dünn.“
Die Basis, von der Hikel spricht, sind die bisher bekannten Eckdaten für den kommenden Doppelhaushalt, der derzeit beraten wird. Darin seien zum Beispiel Tarifsteigerungen für Personal wie etwa die Erhöhung des Mindestlohns nicht eingepreist. Insgesamt reichten die bislang für den kommenden Doppelhaushalt vorgesehenen Mittel nicht einmal aus, um das bestehende Angebot aufrechtzuerhalten.
Das Problem ist, dass etwa 80 Prozent der Bezirkshaushalte aus rechtlich vorgegebenen Ausgaben bestehen, also nicht steuerbar sind. An Sozialleistungen oder etwa an der Bereitstellung von Schulplätzen sei nicht zu rütteln. Wenn dennoch gespart werden müsste, müsste dies beim Personal geschehen. Die Szenarien versprechen nichts Gutes.
Die Bezirksbürgermeisterin von Mitte, Stefanie Remlinger (Grüne), lässt sich mit den Worten zitieren: „Wenn sich nichts ändert, müssen wir ganze Einrichtungen schließen. Aus anderen Bezirken wird sogar der Betrieb einzelner Bürgerämter infrage gestellt.
Premiere im Rat der Bürgermeister. Diskussion mit den Bezirksbürgermeistern über Zeitenwende in der Haushaltspolitik: Alles wird teurer, die Spielräume werden kleiner. Also sind Konzentration auf Prioritäten, Disziplin und mehr Effizienz gefragt. pic.twitter.com/97jJPqfJJO
— Stefan Evers (@BerlinGestalter) June 22, 2023
Der bezirkliche Hilferuf ist bei Finanzsenator Stefan Evers längst angekommen. „An der Haushaltslage gibt es nichts schönzureden, sie ist und bleibt angespannt“, lässt Berlins Herr der Zahlen auf Anfrage der Berliner Zeitung mitteilen. Er muss darauf achten, dass die wegen Corona explosionsartig gestiegenen Schulden Berlins – aktueller Stand: schwindelerregende rund 66 Milliarden Euro – nicht weiter so stark steigen.
Das liegt daran, dass die öffentliche Hand in der Krise kräftig in Infrastruktur und Personal investierte, um die Wirtschaft zu stützen. Allein für das Jahr 2023 hatte die alte Koalition aus SPD, Grünen und Linken dafür 37,9 Milliarden Euro vorgesehen.
Der Regierende Bürgermeister @kaiwegner kritisiert auf der #MPKOst in #Chemnitz die Kürzungspläne des Bundes für die Zukunft des Wirtschaftsraums in Ostdeutschland.
— Senatskanzlei Berlin (@RegBerlin) June 22, 2023
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Doch was kommt jetzt – unter Schwarz-Rot? Als der in diesem Jahr zu Ende gehende Doppelhaushalt beschlossen wurde, waren die Zinsen niedrig. Die hohe Inflation schränkt die Möglichkeiten naturgemäß ein. Hinzu kommt, dass der Verlauf des Krieges in der Ukraine nicht erst seit diesem Wochenende unvorhersehbar ist.
Also sagt der neue Finanzsenator Evers: „Das bedeutet, dass wir alle Prioritäten setzen müssen.“ Die engen finanziellen Rahmenbedingungen beträfen Senat und Bezirke gleichermaßen.
Doch was das heißt und um wie viel zusätzliches Geld für die Bezirke es konkret geht, werden erst die Gespräche zum Doppelhaushalt 2024/2025 in den kommenden Tagen und Wochen zeigen, auf die sich beide Seiten verständigt haben. Neuköllns Martin Hikel schätzt: „Unter einer Viertelmilliarde wird der Finanzsenator dabei wohl nicht wegkommen.“
Neuköllns Bürgermeister: Timer-Ampeln können wir uns im Moment nicht leisten
Das wird ohne Einsparung an anderen Stellen beziehungsweise den Verzicht auf so manches Herzensprojekt in einer der Senatsverwaltungen nicht gehen. Hikel hätte da auch ganz spontan eine Idee: Man könnte doch auf die geplanten Ampeln mit Timern verzichten, die die Länge der Ampelphasen herunterzählen, sagt er. Das Projekt der neuerdings CDU-geführten Senatsverkehrsverwaltung fand sogar Eingang in das Sofortprogramm des Senats.
Allerdings würde der Umbau aller etwa 2100 Ampelanlagen in der Stadt mehr als 60 Millionen Euro kosten. „Ich weiß nicht, ob jetzt wirklich die Zeit dafür ist“, sagt SPD-Mann Hikel.
Auch die Berliner Jobcenter wollen mehr Geld für mehr Personal
Doch es sind nicht nur die einzelnen Senatsverwaltungen oder die zwölf Bezirke, die in Berlin „die Verwaltung“ ausmachen. Die Berliner Jobcenter pochen darauf, dass das Bekenntnis von CDU und SPD im Koalitionsvertrag – „das Beste für Berlin“ – auch für sie gilt. Es brauche eine zuverlässige Finanzierung der Jobcenter in der Stadt. Das heißt in diesem Fall: Auch sie wollen mehr Geld. Denn, so der Sprecher Jens Krüger: „Die Belastungsgrenze der Mitarbeiter ist erreicht.“
Einer der Gründe ist die Einführung des neuen Bürgergeldes, des Nachfolgers des so ungeliebten Hartz IV. Durch die Umstellung sei der Betreuungsbedarf erheblich gewachsen, sagt Krüger. Gleichzeitig habe sich am Personalbestand zuletzt kaum etwas geändert. Das bedeute, dass die Belastung der Jobcenter-Mitarbeiter deutlich angewachsen und „nur durch erhebliche Anstrengungen und persönliches Engagement“ zu bewältigen sei.
Weiterhin sei die Betreuung der ukrainischen Geflüchteten eine Herausforderung, sagt Krüger. Etwas mehr als ein Jahr nach der Umstellung der Zuständigkeit von Sozialamt auf Jobcenter bleibt der Aufwand enorm – während sich in den Sozialämtern, in denen sich zu Beginn der Flüchtlingswelle aus der Ukraine lange Schlangen gebildet hatten, die Lage normalisiert hat.
Für den Jobcenter-Pressesprecher Krüger ergibt sich daraus: „Für eine intensivere Betreuung unserer Kunden ist es nötig, die Anzahl der betreuten Kunden je Mitarbeitenden zu reduzieren.“ Soll wohl heißen: Es braucht mehr Personal. Schließlich gehörten auch die Jobcenter zu den Behörden und Verwaltungen einer funktionierenden Stadt.



