Jewgenij Prigoschin, vor Jahren „Putins Koch“, später Söldnerführer, inzwischen Herausforderer, hat den Rubikon überschritten. In der vergangenen Nacht drangen Teile seiner Wagner-Truppe von der besetzten Ukraine aus nach Südrussland vor. Am Morgen haben sie die Gebietshauptstadt Rostow erreicht. Im Internet kursieren Bilder und Videos von Wagner-Panzern rund um das Hauptquartier des südlichen Militärbezirks.
Der Staat hat geantwortet. Wladimir Putin will den Putsch-Anführern mit äußerster Härte begegnen; in einer TV-Ansprache warnte er vor einer Wiederholung des Revolutionsjahrs 1917. Gegen Prigoschin wurde ein Haftbefehl wegen Landesverrats ausgestellt. Für Moskau und weitere Gebieten gilt Terroralarm. Das Wagner-Hauptquartier in St. Petersburg wird von Sicherheitskräften durchsucht.
Putin brauchte Prigoschin lange
Die laufenden Ereignisse wurzeln nicht allein in den Ambitionen des Petersburger Unternehmers. Als die russische Armee unter der massiv unterschätzten Verteidigungsbereitschaft der Ukrainer fast in die Knie ging, war Putin verunsichert. Konnte er dem Land einen Krieg zumuten, der auch Krieg heißen durfte? Würde die Gesellschaft eine Generalmobilmachung akzeptieren?
Da kamen ihm die Wagner-Söldner zupass, auch die brutale Bereitschaft ihres Anführers, selbst Strafgefangene als Kanonenfutter zu rekrutieren. In den gleichen Kontext gehört die Ernennung des Armeegenerals Sergej Surowikin zum Oberbefehlshaber der Invasionstruppen im Oktober 2022. Surowikin gilt als Wagner-Mann und harter Hund; als Panzerkommandant hatte er die einzigen drei Toten des Augustputschs 1991 gegen Michael Gorbatschow zu verantworten.
Im Rückblick hat Putin sein Land unterschätzt. Mit der Forderung, die Dinge endlich beim Namen zu nennen, konnte Prigoschin punkten. Wie viele Sympathisanten er hat, wird sich zeigen. Gleichzeitig gelang es der Armee allerdings, aus dem Passt-schon- in den Profi-Modus zu schalten. Die Vorbereitungen auf die ukrainische Frühjahrsoffensive entsprachen den Regeln der Kriegskunst. Im Januar 2023, nach nur drei Monaten, wurde auch Surowikin wieder abgelöst.


