Militäraufstand

Prigoschin hat den Rubikon überschritten, doch Putins Truppen sind im Profi-Modus

Erst brauchte Russlands Präsident die Wagner-Söldner, doch ab 1. Juli sollte es ohne sie gehen. Prigoschin war in die Ecke gedrängt – und schlug los. Eine Analyse.

Wagner-Kämpfer am 24. Juni beim Hauptquartier der Russischen Armee im südlichen Militärdistrikt
Wagner-Kämpfer am 24. Juni beim Hauptquartier der Russischen Armee im südlichen Militärdistriktwww.imago-images.de

Jewgenij Prigoschin, vor Jahren „Putins Koch“, später Söldnerführer, inzwischen Herausforderer, hat den Rubikon überschritten. In der vergangenen Nacht drangen Teile seiner Wagner-Truppe von der besetzten Ukraine aus nach Südrussland vor. Am Morgen haben sie die Gebietshauptstadt Rostow erreicht. Im Internet kursieren Bilder und Videos von Wagner-Panzern rund um das Hauptquartier des südlichen Militärbezirks.

Der Staat hat geantwortet. Wladimir Putin will den Putsch-Anführern mit äußerster Härte begegnen; in einer TV-Ansprache warnte er vor einer Wiederholung des Revolutionsjahrs 1917. Gegen Prigoschin wurde ein Haftbefehl wegen Landesverrats ausgestellt. Für Moskau und weitere Gebieten gilt Terroralarm. Das Wagner-Hauptquartier in St. Petersburg wird von Sicherheitskräften durchsucht.

Putin brauchte Prigoschin lange

Die laufenden Ereignisse wurzeln nicht allein in den Ambitionen des Petersburger Unternehmers. Als die russische Armee unter der massiv unterschätzten Verteidigungsbereitschaft der Ukrainer fast in die Knie ging, war Putin verunsichert. Konnte er dem Land einen Krieg zumuten, der auch Krieg heißen durfte? Würde die Gesellschaft eine Generalmobilmachung akzeptieren?

Da kamen ihm die Wagner-Söldner zupass, auch die brutale Bereitschaft ihres Anführers, selbst Strafgefangene als Kanonenfutter zu rekrutieren. In den gleichen Kontext gehört die Ernennung des Armeegenerals Sergej Surowikin zum Oberbefehlshaber der Invasionstruppen im Oktober 2022. Surowikin gilt als Wagner-Mann und harter Hund; als Panzerkommandant hatte er die einzigen drei Toten des Augustputschs 1991 gegen Michael Gorbatschow zu verantworten.

Im Rückblick hat Putin sein Land unterschätzt. Mit der Forderung, die Dinge endlich beim Namen zu nennen, konnte Prigoschin punkten. Wie viele Sympathisanten er hat, wird sich zeigen. Gleichzeitig gelang es der Armee allerdings, aus dem Passt-schon- in den Profi-Modus zu schalten. Die Vorbereitungen auf die ukrainische Frühjahrsoffensive entsprachen den Regeln der Kriegskunst. Im Januar 2023, nach nur drei Monaten, wurde auch Surowikin wieder abgelöst.

Prigoschin spürte den Gegenwind und schlug los

Nach den Defensiv-Erfolgen im Mai und Juni ist das Selbstbewusstsein der Armee soweit restauriert, dass der Verteidigungsminister die Eingliederung sämtlicher Privat-Armeen zum 1. Juli verlangt. Prigoschin spürt den Gegenwind; die Grundlage seines Geschäftsmodells schwindet. Doch er hat Blut geleckt. Seine Truppe ist auf mindestens 25.000 Mann angewachsen, manche sagen 50.000. Er bläst zur Attacke, spricht von russischen Raketenangriffen auf Wagner-Soldaten, behauptet, die Front sei weiträumig zusammengebrochen. Dem Kreml wirft er vor, den Krieg nicht nur miserabel zu führen, sondern grundlos vom Zaun gerissen zu haben.

Die Würfel fallen. Wird Putin seinen bösen Geist wieder los? Bald wissen wir, ob der russische Präsident wirklich ein Hexenmeister oder doch nur ein Zauberlehrling ist.