Seit der missglückten Landtagswahl in Niedersachsen geht Christian Lindner auf Konfrontationskurs. Schon am Wahlabend machte er eine Kampfansage an die Ampelkoalition, die Politik der Regierung verprelle das Klientel der Liberalen und die FDP müsse eine dominantere Rolle spielen. Deutlicher konnte diese Distanzierung zu den zwei anderen Regierungspartnern nicht sein.
Lindner fährt seinen Kurs seit Tagen unbeirrt weiter. Unnachgiebig streitet der Bundesfinanzminister mit seinem Wirtschafts-Kollegen Robert Habeck um längere AKW-Laufzeiten. Geht es nach Lindner, bleiben alle drei verbliebenen Atomkraftwerke bis 2024 am Netz. Dafür nutzt er seit Wochen jede Rede, jedes Interview, um das Thema anzusprechen. Habeck möchte nur zwei Reaktoren beibehalten – und zwar bis April 2023. Ein Kompromiss ist nicht in Sicht, dabei eilt die Zeit, damit die Reaktoren über das Jahr 2022 hinaus wenigstens für den Weiterbetrieb gerüstet sind.
Gerade beim Thema Atomkraft wird deutlich, wie groß der Konflikt in der Ampel ist. Zwar ist im Koalitionsvertrag eindeutig festgelegt, dass der Ausstieg Ende des Jahres beschlossene Sache ist. Nun befindet sich Deutschland mittlerweile aber in einer neuen Situation. Der Krieg in der Ukraine, drohende Energieknappheit und die Inflation treiben die Sorgen der Menschen nach oben. Viele haben Angst vor Putin, Angst davor, ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Und sind froh über jede Lösung. Damit möchte sich die FDP nun stärker profilieren, aber Paukenschläge helfen in diesen Zeiten auch nicht.
Erklärbar sind die Motive der FDP. Die Liberalen stehen mit dem Rücken an der Wand, ihnen rennen die Wählerinnen und Wähler weg, seitdem sie das bürgerliche Lager verlassen haben. In Niedersachsen haben sie es nicht einmal in den Landtag geschafft. Es ist nicht der erste Rückschlag, es ist der vierte für Christian Lindner und seine Partei, seitdem sie in Berlin mit den Sozialdemokraten und den Grünen mitregiert. Bei den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen verlor die FDP die Regierungsbeteiligung, im Saarland schaffte sie es knapp nicht in den Landtag. Und während die Liberalen abschmieren, geht es für Rot-Grün glimpflich aus. In Niedersachsen werden sie eine Koalition bilden. Aber auch SPD und Grüne mussten dort Federn lassen, nur nicht so drastisch wie die FDP.
Lindner braucht nun einen Neustart. So, wie er es derzeit macht, ist es allerdings nicht ratsam. Statt vor der eigenen Haustüre zu kehren, zeigt er im Zuge seiner Niederlagenbewältigung gerne mit dem Finger auf andere. Natürlich ist das so, dass das Liberalen-Klientel mit der Ampel fremdelt, dass, so beklagen es jedenfalls die Anhänger, viel zu viele Zugeständnisse an Rot-Grün gemacht werden. Doch es reicht nicht, anderen die Schuld zu geben und sich selbst als das ungeliebte Kind in der Koalition zu gerieren.
Leider kommt das häufiger vor in der Politik. Ähnlich beklagte sich damals auch die SPD in der großen Koalition, als die CDU sie ewig nach außen übertrumpfte und die Genossen in der Bedeutungslosigkeit zu versinken drohten. Anfang 2021 glaubte niemand daran, dass die Partei einen Kanzler stellen könnte. Nun sind es die Liberalen, die um ihre Existenz kämpfen. Sie schaffen, je lauter sie es monieren, damit allerdings auch den Eindruck, dass in der Ampel eine Farbe zu viel ist.
In solchen Krisenzeiten das Handtuch zu werfen, ist noch schlimmer
Dabei ist es ja nicht so, dass die FDP nichts erreicht hat in der Ampel. Corona-Maßnahmen wurden gegen den Willen des SPD-Gesundheitsministers Karl Lauterbach gelockert, die Grünen mussten auf ihr Tempolimit auf Autobahnen verzichten. Und der von der FDP eingebrachte Ausgleich der kalten Progression wird Millionen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlasten. Lindner ist außerdem überzeugter Verfechter der Schuldenbremse, für viele in der Ampel nicht nachvollziehbar.
Lindner kann und möchte die Ampel nicht verlassen. Und es wäre auch fatal, nachdem er 2017 die Jamaika-Sondierungen hat krachen lassen. Hinzu kommt: In solchen Krisenzeiten das Handtuch zu werfen, ist noch schlimmer. Es würde der Partei, aber auch der Ampel schaden – und eine instabile Regierung mit Profilierungsnöten braucht derzeit niemand.


