Katar-Gate

Eva Kaili: Von der Fernsehmoderatorin zum trojanischen Pferd für Katar?

Sowohl in Brüssel als auch in Athen und Rom löst die Verhaftung von Eva Kaili wegen Korruption zugunsten Katars Schockwellen aus. Ist das nur die Spitze des Eisbergs?

Eva Kaili, bis gestern Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, sitzt in Untersuchungshaft.
Eva Kaili, bis gestern Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, sitzt in Untersuchungshaft.European Parliament/Eric Vidal

In den vergangenen Monaten mussten die Griechen das Wort „erschüttern“ neu definieren. Denn die Ausweitung der Abhör-Affäre um das Spionageprogramm Predator brachte wöchentlich neue Enthüllungen. Die Festnahme der griechischen Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Eva Kaili, am Freitagabend hat diese Definition erneut infrage gestellt: Die Nachricht hat Brüssel sowie Athen und Rom nicht nur erschüttert, sondern ein politisches Erdbeben verursacht.

Am Sonntag wurde die Inhaftierung von Kaili und drei weiteren Verdächtigen angeordnet, wie die Nachrichtenagentur AFP aus Justizkreisen erfuhr. Im Raum steht neben Vorwürfen der Bestechung und Bestechlichkeit auch der Verdacht der Geldwäsche. Kaili wurde von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Wochenende von all ihren Aufgaben entbunden. Ihre sozialistische Pasok-Partei hatte die 44-jährige frühere Fernsehmoderatorin bereits am Freitag ausgeschlossen. Am Samstag setzte die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament Kailis Mitgliedschaft aus.

Griechischen Medien zufolge hatten die Ermittlungen im vergangenen Sommer begonnen. Die belgischen Behörden haben, seit sie Hinweise hatten, unter strengster Geheimhaltung gearbeitet und konkrete Schritte unternommen, um dem Fall auf den Grund zu gehen. 

Die Spitze des Eisbergs?

Festgenommen wurden auch ein ehemaliger sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter aus Italien, Antonio Panzeri, sowie Kailis italienischer Lebensgefährte. Wie die Zeitung Le Soir und das Magazin Knack am Sonntag berichteten, kamen beide ebenfalls in U-Haft ins Gefängnis. „Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt“, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Zwei weitere Festgenommene ließ der Untersuchungsrichter frei. Am Samstagabend wurde das Haus eines weiteren Europa-Abgeordneten durchsucht.

Bei den Durchsuchungen wurden insgesamt 600.000 Euro Bargeld und Handys beschlagnahmt. Später fanden Ermittler in Kailis Wohnung Medienberichten zufolge Taschen voller Bargeld. Laut der italienischen Zeitung La Repubblica könnte das Geld woanders hinführen. Für die katarische Regierung sei Kailis Rolle ein Passepartout, um die Türen der europäischen Institution zu öffnen. „Die Parlamentarierin wurde kürzlich an einem Wochenende in Abu Dhabi mit ihrem Landsmann, dem Vizepräsidenten der Kommission, Margaritis Schinas, einem Mitglied der Europäischen Volkspartei, fotografiert. Derselbe Schinas, der am 20. November in einem Tweet die Weltmeisterschaft von Katar gelobt hatte, „ein Land, das Reformen umgesetzt hat und das diesen globalen Erfolg verdient“. Deshalb ist die Untersuchung im Moment nur in den ersten Schritten. Die Polizei wollte die Durchsuchungen beschleunigen, weil sie befürchtete, dass mit dem Ende der WM und dem Stillstand der Parlamentsarbeit für die Weihnachtsferien vieles (im Sinne von Geldkoffern) verschwinden könnte. Sie lagen wahrscheinlich nicht falsch.“

Wessen trojanisches Pferd?

Der Vorsitzende der Pasok-Partei Nikos Androulakis ist auch EU-Abgeordneter. Im vergangenen Sommer wurde es bekannt, dass er vom griechischen Inlandsgeheimdienst (EYP) abgehört wurde. Die nationalen Nachrichtendienste stehen unter der Aufsicht des Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia Kyriakos Mitsotakis. Auf Androulakis’ Handy wurden Spuren der Predator-Software gefunden.

Als er die Verhaftung von Eva Kaili kommentierte, schien Androulakis nicht überrascht zu sein. „Am 26. Juli gab es eine Entwicklung, die mich veranlasste, eine Entscheidung (über Kaili) zu treffen und sie in der Eurogruppe der Sozialdemokraten zu diskutieren. Von dem Moment an, als ich wegen meiner Beschwerde zur Staatsanwaltschaft des Obersten Gerichtshofs ging, nachdem die Predator entdeckt worden war, machte Frau Kaili die Aussage, dass dies etwas Häufiges sei, dass dies oft vorkomme, sowohl für sie als auch für andere Abgeordnete, obwohl dies nicht der Fall war. Außerdem wurde ich darüber informiert vom Pega-Ausschuss des Europäischen Parlaments, der sich mit dem Abhörskandal befasst, dass sie versuchte, das Thema herunterzuspielen und zu verhindern, dass es im Plenum des Europäischen Parlaments diskutiert wird“, so Androulakis.

Eva Kaili hatte zuletzt mit ihren Äußerungen, Katar sei ein „Pionierland für Arbeitsrechte“, für Aufregung gesorgt. „Letzte Woche fand ich ihre Aussage zu Katar merkwürdig und habe mich öffentlich von ihren Positionen distanziert“, sagte Androulakis dem griechischen Fernsehsender Ant1 und bezeichnete Kaili als trojanisches Pferd für die Regierungspartei Nea Dimokratia. „Ich weiß wirklich nicht, wohin dieser Fall führen wird. Ich habe die Entscheidung getroffen, sie auszuschließen, um die Fraktion zu schützen.“

Während die griechischen Medien auf die nächste Ankündigung der belgischen Behörden warten, fragen einige Kommentatoren in Bezug auf die zweifellos beeindruckend aussehende Eva Kaili: Auf welcher Grundlage wählen Parteien und Wähler die Politiker? „Das Erscheinungsbild dominiert immer mehr, mit einer beeindruckenden Gleichgültigkeit gegenüber der Substanz. Einst selbstverständliche Elemente wie Bildung, Berufserfahrung, Klarheit in der ideologischen Positionierung oder Führungsqualitäten werden auf die Seite gelegt“, schreibt die Tageszeitung Ta Nea. „Was zählt, ist das Image, ob man vor der Kamera gut aussieht, ob man Selbstvertrauen ausstrahlt, ob man ‚Jugend‘ und ‚Dynamik‘ gut kombiniert. Gleichzeitig werden Prinzipien wie Ehrlichkeit und Integrität außer Kraft gesetzt, was einer Korruption den Weg ebnet, die schließlich endemisch wird.“

(Mit AFP, dpa)