Kolumne

Doxing, Bedrohung, Angst: Wir wissen, wo Du wohnst

Was Menschen erleben, die sich im Internet für trans Rechte eingesetzt und kritisch über TERF-Aktivist:innen gesprochen haben.

AP/Gregory Bull
Doxing kann seit September 2021 mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Doch was, wenn die Täter:innen anonym bleiben?

Es wurde schon viel geredet über Cancel Culture, Rede- und Wissenschaftsfreiheit. Hier geht es jedoch um mutmaßliche Straftatbestände: Beleidigungen, Bedrohungen und Doxing, Letzteres ein Delikt, das seit 2021 mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann, soweit Tatverdächtige dinghaft gemacht werden können.

Offenbar auch deshalb verbergen sich diejenigen, die hinter Twitter-Accounts wie @nichtg0esser (Gösser) stecken, in der Anonymität.

Ihr Verhältnis zu diesem Account formulierte die Biologie-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht Mitte Mai auf ihrem nicht mehr anonymen Twitter-Account @Frollein_VogelV (Frau Summer) folgendermaßen: „Gösser ist wie meine Mama meinte sehr frech und sehr derbe“.

Unter „sehr frech“ versteht der oder die Nutzer:in des Accounts beispielsweise private Fotos und öffentlich nicht bekannte Details von Personen zu verbreiten, die sich für trans Rechte ausgesprochen oder übergriffige Aktivitäten von TERF-Aktivist:innen benannt hatten (TERF steht für Trans Exclusionary Radical Feminists). Ich habe mit mehreren Betroffenen gesprochen, unter anderem mit einer Person, von der Bilder ihres Gartens veröffentlicht wurden, verbunden mit dem abgelegten Namen der trans Frau, den man ausspioniert hatte. Sie begründet ihre Zurückhaltung, diese Doxing-Vorfälle anzuzeigen, mit der Angst, Anwält:innen der Gegenseite könnten über die Anzeige wiederum ihre aktuelle Meldeadresse in Erfahrung bringen.

Von einem anderen Account aus diesem Umfeld wurde ein privates Foto einer Person mit einer fingierten Todesanzeige der eigenen Mutter veröffentlicht. Ein weiterer Betroffener berichtete mir, nach einem Meinungsaustausch mit einer bekannten TERF-Aktivistin eine private Instagram-Nachricht erhalten zu haben: Man wisse, wo er wohne. Der Betroffene, wie viele andere, wagen es seitdem nicht mehr, mit Klarnamen in Erscheinung zu treten oder sich überhaupt öffentlich zu äußern. Diejenigen, die es wie die Wissenschaftlerin Dana Mahr tun, berichten von Bedrohungen bis hin zu Morddrohungen.

Zuvor hatte Mahr offengelegt, wie sie in einer codierten Sprache markiert wurde, die Beobachter als Hundepfeifen (dog whistling) bezeichnen: Die Angesprochenen wissen schon, was sie zu tun haben.

Um die Rückverfolgbarkeit derart perfider Angriffe zu verschleiern, werden immer neue Accounts gebildet, und wie der Vorgänger-Account von @nichtg0esser, @queef_richards_ leichtfertig ausplauderte, mithilfe von anonymen Sim-Karten angemeldet. Auffällig ist an @nichtg0esser, die sich als „total irrelevante Privatperson… keine Wissenschaftlerin“ bezeichnet, eine erstaunliche Vertrautheit mit biologischem Fachvokabular, das verwendet wird, um über „Intersex-Konditionen“ zu reden. Diese seien kein Beweis für „mehr als zwei Geschlechter“. Dem schließt sich ein Thread über Chromosomen, Klinefelder- und Turner-Syndrom an.

Der Vortrag, von dem Marie-Luise Vollbrecht sagte, er sei gecancelt worden und der dann doch auf YouTube zu sehen war: @nichtg0esser feierte Anfang Juli, dass dieser „inzwischen über 10.500 Aufrufe statt 150 Zuhörer im Saal“ habe. Dass exakt 150 Leute in den Senatssaal der Humboldt-Uni passen, hätte auch nicht jeder gewusst.

Wer hinter @nichtg0esser und ähnlichen Accounts steckt, hierfür gibt es viele Hinweise, die inzwischen auch Strafermittlungsbehörden vorliegen. Es wird sich zeigen, wie sich die erfahrbaren Details zusammenfügen, um die Verbindungen innerhalb einer im Dunkeln agierenden TERF-Szene offenzulegen.