Gastbeitrag

Documenta und Co.: Judenhass muss nur hübsch verpackt werden, dann ist er in Deutschland okay

Linksliberale Intellektuelle versuchen in Deutschland, den Antisemitismus-Diskurs zu verschieben. Für Juden heißt das: Das Leben hier wird gefährlicher. Ein Gastbeitrag.

Verhangenes Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf der Documenta.
Verhangenes Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf der Documenta.imago/Hartenfelser

Letztes Jahr haben wir gefeiert – nicht alle, aber zumindest politisch engagierte deutsche Jüdinnen und Juden. Und mit uns auch andere, z. B. Politiker und Zivilgesellschaft: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Ja, bei den durch Politik und Gesellschaft teils hochkarätig besetzten Events und Publikationen waren Ton und Stimmung feierlich und hoffnungsvoll.

Im Jahr 1701 jüdischen Lebens in Deutschland ist diese Rück- und Umschau nun vorbei. Der richtige Zeitpunkt also, sich mit der Gegenwart und einer möglichen Zukunft für jüdisches Leben zu befassen: Haben wir weiterhin ein feierliches und hoffnungsvolles Gefühl bezüglich unserer Gegenwart und Zukunft?

Jede Jüdin und jeder Jude wird darauf eine individuelle Antwort haben. Fragen wir aber, wie es um „uns Juden“ in Deutschland derzeit insgesamt steht, ist die Antwort wohl weniger feierlich.

Die rechte Gefahr für Jüdinnen und Juden

Weshalb? Jüdische Bürger können in Deutschland kein normales Leben führen. Denn, obwohl wir heute am gesamten Spektrum gesellschaftlichen Lebens teilhaben, wie alle anderen auch, gibt es einen großen Unterschied: In Deutschland jüdisch zu sein, ist gefährlich. In die Synagoge zu gehen, ist gefährlich. In die jüdische Schule zu gehen, ist gefährlich. In einer jüdischen Mannschaft Sport zu treiben, ist gefährlich. Ja, einfach nur in der Öffentlichkeit als jüdisch erkennbar zu sein, ist gefährlich.

Aber woher kommt die Gefahr? Die Einfachheit der Antwort liegt in ihrer Komplexität: Die Gefahr kommt aus allen Richtungen.

Eine offensichtliche Gefahrenquelle für jüdisches Leben in Deutschland ist die extreme Rechte. Egal, welcher Ausprägung – ob klassische Neonazis, als bürgerlich getarnte Rechtspopulisten, die Neue Rechte oder Verschwörungsgläubige – antisemitische Ideologie ist immer Teil rechten Gedankenguts: Die Juden sind das Böse und schuld an allem, was in der Welt schiefläuft.

Antisemitismus aus muslimisch geprägten Milieus

In Teilen der muslimisch-migrantischen Community gehört der Hass auf uns Jüdinnen und Juden leider zu oft zum guten Ton. Häufig aus einer islamistischen Ideologie heraus, aber auch bei Personen, die nicht religiös sind. Ob religiös motivierter Hass, israelbezogene Judenfeindlichkeit oder der Glaube an die jüdische Weltherrschaft, die sich gegen die Muslime verschworen habe: Alles richtet sich auch direkt gegen uns deutsche Jüdinnen und Juden. Deshalb empfinden viele jüdische Menschen, gerade in den Großstädten Deutschlands, Antisemitismus aus muslimisch geprägten Milieus, als die größte Bedrohung in ihrem Alltag.

In Berlin demonstrieren Palästinenser gegen Israel.
In Berlin demonstrieren Palästinenser gegen Israel.imago/Stefan Zeitz

Ja, unsere Einrichtungen werden von der Polizei geschützt. Ja, die verschiedenen Verfassungsschutzbehörden auf Bundes- und auf Landesebene beobachten Rechtsextremisten und Islamisten. Und ja, Entscheidungsträger und Meinungsführer finden oft die richtigen Worte, mit denen sie uns versichern, wie wichtig der Schutz jüdischen Lebens ist. Dafür sind wir dankbar.

Eine weitere große Gefahr: vermeintlich progressive linke Intellektuelle

Gerade dazu passt aber nicht, wenn fundamentalistisch-muslimische oder nationalistische Organisationen Partner für Demokratieprojekte der Politik werden; und dies auch nach Bekanntwerden ihrer zweifelhaften Verfassungstreue weiterhin bleiben. Mindestens genauso verzweifeln lässt uns, wenn immer neue Fälle bekannt werden, in denen Teile unserer Sicherheitsbehörden in ihren eigenen Reihen Antisemiten und Rassisten beschäftigen. Wie sicher können wir uns fühlen, wenn diejenigen, die für unseren Schutz zuständig sind, teils der gleichen Ideologie anhängen wie unsere Gefährder?

Infobox image
Ilja Kagan
Zum Autor
Elio Adler ist Vorsitzender des jüdischen Vereins „WerteInitiative“, der sich für eine jüdische Zukunft in Deutschland einsetzt. Er ist 51 Jahre alt, Zahnarzt und lebt mit seiner Familie in Berlin.

Bislang weniger sichtbar, für die jüdische Gemeinschaft aber dennoch eine sehr besorgniserregende und andere Art der Gefahr, kommt aus einem Milieu, aus dem man es auf den ersten Blick nicht erwarten würde: progressive, humanistische, linke Intellektuelle. Sie würden ihre Ressentiments gegen Juden zwar nie so ungefiltert äußern, wie Islamisten oder Rechtsextreme, erschaffen aber über Umwege ein ebenso bedrohliches gesellschaftliches Klima für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland.

Sich nicht die Hände schmutzig machen

Wie sich eine linke Umwegkommunikation schließlich entlarvt, haben wir kürzlich an zwei Beispielen gesehen. Bei der „Hijacking Memory“-Konferenz Mitte Juni in Berlin und bei der Documenta fifteen in Kassel: Bei beiden wurde die Einstufung von Antisemitismus zur kulturellen Ansichtssache und dabei gerne übersehen, wie sich heutiger Antisemitismus oftmals als „Israelkritik“ tarnt. Universalismus wird dort als Imperialismus und Eurozentrismus abgelehnt.

Ein Mann mit Kipa in Berlin
Ein Mann mit Kipa in BerlinBenjmain Pritzkuleit

Um sich nicht mit ihren eigenen – möglicherweise unbewussten – antijüdischen Ressentiments konfrontiert zu sehen, bedienen sich einige Linksintellektuelle passender Stimmen aus dem „globalen Süden“. Das ist eine für sie bequeme Art, Judenfeindlichkeit zu säen. Die eigenen Hände bleiben sauber – Boykottparolen, Geschichtsrevisionismus und Israel-Dämonisierung sind so outgesourced. Fundierte, inhaltliche Kritik wird reflexartig als Rassismus gebrandmarkt und mit rechten Kampagnen in einen Topf geworfen. Die selbst ernannten Antikolonialisten lassen den globalen Süden sich die Hände dreckig machen.

Eine linke Schlussstrichdebatte schaurigster Art

Im Jahr 1701 jüdischen Lebens in Deutschland fand eine Konferenz statt, auf der eine der Organisatorinnen im Vorfeld aufatmete: Die Organisatoren könnten nun endlich aus der Defensive herauskommen. So wurde auf der Holocaust-Konferenz „Hijacking Memory“ nicht über den Holocaust gesprochen, sondern drei Tage lang darüber, wie die Erinnerung an den Holocaust angeblich missbraucht würde. Von wem missbraucht? Natürlich vom jüdischen Staat und denen, die israelsolidarisch sind, welche dann zur Strafe boykottiert gehören. Eine linke Schlussstrichdebatte schaurigster Art. Staatlich gefördert erläuterte dort einer der Redner, wenn man sich gegen Diskriminierung engagiere, aber die Existenz des jüdischen Staates Israel auf 78 Prozent von Palästina akzeptiere, habe man versagt. Im Klartext: Der Staat Israel muss aufhören zu existieren.

Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit eindeutig antisemitischen Darstellungen
Banner des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi mit eindeutig antisemitischen Darstellungenimago/Peter Hartenfelser

Ebenfalls im Jahr 1701 jüdischen Lebens in Deutschland kommt es dazu, dass auf der Documenta fifteen, einer der wichtigsten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, Israel mit Nazideutschland und die israelische Armee mit der Wehrmacht gleichgesetzt werden. Juden werden als geldgierige Vampire mit gespaltener Zunge und SS-Hut und der Mossad als Schwein charakterisiert. Als das antisemitische Kind unleugbar in den Brunnen gefallen war, schlug für die Verantwortlichen plötzlich über Nacht die Stunde von Dialog und Debatte. Was ist aus welcher Perspektive antisemitisch und wie viel genau ist noch okay? Als wären diese Bilder nicht globale Beispiele für krasseste judenfeindliche Gesinnungen.

Linksintellektueller Judenhass wird in Deutschland mindestens geduldet

Und nach diesen Skandalen? Der Zentralrat der Juden sprach von „einer tiefen Vertrauenserschütterung“. Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz haben sich in Sachen Documenta fifteen klar positioniert, aber die operativ Verantwortlichen tun bislang alles dafür, kaum echte und vor allem keine personellen Konsequenzen zu ziehen. Die Message: Linksintellektueller Judenhass wird in Deutschland mindestens geduldet und bisweilen sogar gefördert, wenn er nur hübsch genug verpackt ist.

Jede Verschiebung des Diskurses in Richtung Hinnahme antisemitischer Äußerungen macht den Hass auf uns normaler und schwächt damit unser Zusammenleben als Gesellschaft. Wer Judenhass normalisiert, nimmt jüdische Opfer in Kauf.

Ob wir im Jahre 1701 jüdischen Lebens in Deutschland Grund zum Feiern haben? Auf Jiddisch würde man antworten: „Nu ja …“

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de