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Der Spiegel und der Konflikt des ukrainischen Botschafters mit der Berliner Zeitung: Protokoll einer Weglassung

Darf man den Spiegel kritisieren? Ja, wenn man Argumente hat. Ein konkretes Beispiel aus der Praxis. 

Das Verlagsgebäude des Spiegel-Verlags mit dem Schriftzug „Der Spiegel“ an der Ericusspitze am Rande der Hafencity
Das Verlagsgebäude des Spiegel-Verlags mit dem Schriftzug „Der Spiegel“ an der Ericusspitze am Rande der HafencityFoto: dpa

Ein Kommentator der FAZ räsoniert über den Konflikt der Berliner Zeitung mit dem Spiegel. In einem Offenen Brief hatten Chefredaktion und Herausgeber der Berliner Zeitung dem Spiegel vorgeworfen, handwerklich unsauber gearbeitet zu haben. Der Kommentator der FAZ will wissen, worum es geht. Er will die Kritik der Berliner Zeitung an der Arbeit des Spiegel verstehen und schreibt: „Worin die ,journalistischen Defizite‘ des ,Spiegel‘-Artikels bestehen sollen, wissen wir … nicht.“

Die Berliner Zeitung kritisiert in diesem Zusammenhang die Darstellung eines Konflikts der Berliner Zeitung mit dem Botschafter der Ukraine in Deutschland, Oleksii Makeiev.

Es ging bei dem Konflikt darum, dass Makeiev Anfang April eine Attacke gegen die Berliner Zeitung gestartet hatte, bei der er einzelne Mitarbeiter, die zuvor einmal bei russischen Staatsmedien gearbeitet hatten, namentlich anprangerte und der Berliner Zeitung unterstellte, ein Sprachrohr des Kreml zu sein. Dagegen protestierten Chefredaktion und Herausgeber. In dem Spiegel-Artikel erhält der Botschafter die Gelegenheit, seine Sicht ausführlich darzustellen. Er wird wörtlich zitiert und wiederholt im Wesentlichen seine Verdächtigungen.

Anders als der Botschafter erhielt die Berliner Zeitung vom Spiegel keine Gelegenheit, zu diesem Konflikt Stellung zu beziehen. In den mehr als zwei Stunden, in denen der Spiegel mit dem Chefredakteur, dem Herausgeber und dem Geschäftsführer der Berliner Zeitung sprach, wurde keine einzige Frage zu diesem Konflikt gestellt. Auch in einer vom Spiegel nachgeschobenen E-Mail mit Detailfragen fand sich keine Frage dazu. Der Spiegel zitiert zwar aus der damaligen Entgegnung gegen den Botschafter. Insoweit kommt die Berliner Zeitung scheinbar zu Wort, jedoch eben nicht im entscheidenden Punkt – nämlich bei der Frage, wie die Auseinandersetzung mit Makeiev konkret abgelaufen ist.

Der Spiegel berichtet über ein Gespräch von Chefredakteur Kurianowicz und Herausgeber Maier in der ukrainischen Botschaft, welches nach den öffentlichen Attacken Makeievs gegen die Berliner Zeitung stattgefunden hatte. Das Gespräch hat stattgefunden, wenngleich der Spiegel die Berliner Zeitung nie angefragt hat, um eine Bestätigung hinsichtlich des Treffens zu erfragen.

Die Darstellung des Spiegel liest sich durch die Weglassung der Positionen der Berliner Zeitung allerdings so, als wäre die Initiative für das Gespräch von Botschafter Makeiev ausgegangen („Ich wollte Antworten“). Tatsächlich fand das Gespräch auf Initiative der Berliner Zeitung statt: Chefredaktion und Herausgeber wollten wissen, warum Makeiev die Zeitung und ihre Mitarbeiter öffentlich attackiert hatte – obwohl die Berliner Zeitung bis zu dem Konflikt mit der Botschaft und weiteren offiziellen Stellen der Ukraine einen hervorragenden Kontakt hatte. Beispielsweise wurde Makeiev kurz nach seinem Amtsantritt interviewt.

Hinweisen und Wünschen der Botschaft zur Berichterstattung in der Berliner Zeitung hat die Redaktion immer professionell entsprochen. Die Pressestelle der Botschaft hat die Redaktion zu Terminen eingeladen, über die berichtet wurde. Die Pressestelle hat der Berliner Zeitung regelmäßig schriftlich gedankt und die Zusammenarbeit gelobt. All dies ist in E-Mails dokumentiert. Nicht ein einziges Mal gab es konkrete Beschwerden oder Kritik.

Chefredakteur und Herausgeber haben Herrn Makeiev bei besagtem Treffen mitgeteilt, dass es nicht korrekt sei, aus Hunderten Artikeln fünf herauszuziehen und daraus eine vermeintliche Blattlinie zu konstruieren. Zumal er mindestens einen monierten Artikel ganz offensichtlich nicht gelesen hatte. Er wurde dazu eingeladen, seine Position, sein Unbehagen, seine Kritik gerne (in welcher Form auch immer – Gastbeitrag, Interview o.Ä.) in der Berliner Zeitung zu präsentieren. Chefredakteur und Herausgeber haben sich aber energisch gegen die wiederkehrende namentliche Diffamierung von Journalisten des Berliner Verlages verwahrt, weil sie das für ein Unding in einem Land mit Pressefreiheit halten.

Makeiev forderte in dem Termin mündlich, ebenso wie eine Mitarbeiterin später schriftlich, ein Bekenntnis der Berliner Zeitung zur offiziellen Sichtweise der Regierung der Ukraine und machte die Publikation eines entsprechenden „Editorials“, in dem die Berliner Zeitung eine der ukrainischen Sicht entsprechende Blattlinie dokumentiert, zur Bedingung weiterer Kontakte. Ein solches Ansinnen ist aus Sicht der Berliner Zeitung unvereinbar mit den Pressestandards in einer freien, demokratischen Gesellschaft.

Die völlig haltlosen Verdächtigungen gegen Journalisten sind ein Eingriff in die Pressefreiheit, was dem Botschafter auch unmissverständlich gesagt wurde. Den von ihm öffentlich attackierten Journalisten ist von Makeiev nicht ein einziges Mal Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Dass der Spiegel das ebenfalls unterlassen hat, ist ein schwerer Fehler, der nicht mit den ethischen Grundsätzen des Presserats vereinbar ist. Hätten der Spiegel und Makeiev die betroffenen Mitarbeiter befragt, hätten sie erfahren, dass die Kolleginnen und Kollegen die russischen Staatsmedien wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verlassen hatten.

Dass die Berliner Zeitung kein Problem mit der Ukraine hat, zeigt das exzellente Verhältnis der Zeitung zu Makeievs Vorgänger, Botschafter Andrij Melnyk. Erst kürzlich wurde ein Exklusiv-Interview der Berliner Zeitung mit Melnyk in zahlreichen deutschen Medien zitiertMelnyk hatte die Berliner Zeitung nach der Attacke Makeievs öffentlich verteidigt. Das erwähnt der Spiegel mit keinem Wort, es wäre zu einer akkuraten Darstellung des Konflikts aber zwingend notwendig gewesen.

Um zu verstehen, worum es bei diesem Konflikt wirklich geht, hätte der Spiegel noch einen anderen Fall erwähnen müssen, über den die Berliner Zeitung berichtet hatte. Die Ukraine hatte den Moskauer ZDF-Korrespondenten und seinen Sender attackiert und ihnen – ähnlich wie Makeiev der Berliner Zeitung – vorgeworfen, russische Propaganda zu verbreiten. Ukrainische Regierungsvertreter präsentierten Regierungsvertretern und Behörden in Berlin eine „Untersuchung“, in der das ZDF als Kreml-Propagandasender dargestellt wurde.

Hätte sich der Spiegel handwerklich sauber mit diesem Hintergrund beschäftigt, hätte er erkennen können, dass die Ursache des Konflikts zwischen der Botschaft und der Berliner Zeitung nicht in zu großem „Verständnis für Russlanderklärer“ bei der Berliner Zeitung liegt, sondern offensichtlich im Bestreben einiger Kräfte im ukrainischen Außenministerium und dessen Umfeld, die öffentliche Meinung in Deutschland auch mit fragwürdigen Methoden zu beeinflussen.

Diese Methoden werden übrigens auch von den deutschen Sicherheitsbehörden abgelehnt. Das hätte der Spiegel aufgreifen müssen, wenn er sauber gearbeitet hätte.

Die Kritik am Spiegel aus handwerklicher Sicht lautet: Journalismus bedeutet, mehr als nur einen passenden Aspekt herauszugreifen und ihn zur „Wahrheit“ zu erklären (mehr für Interessierte – hier) . Erst wenn alle Seiten unvoreingenommen gehört werden oder ihnen aber wenigstens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, ist die faktengetreue Darstellung der Realität möglich. Das Ergebnis einer solchen Herangehensweise mag von der Hypothese abweichen, die man anfangs einer Recherche hatte. Diese Praxis ist jedoch konstitutiv für Journalismus, wenn er mehr sein will als Propaganda oder Agitation.

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