Berlin-Es ist ein Variantendschungel, ein so noch nie da gewesenes Farbenspiel: Nach der Bundestagswahl am 26. September sind derzeit rechnerisch fünf Koalitionen möglich. Die nächste Bundesregierung wird vermutlich von drei Fraktionen getragen werden müssen, wenn man den Umfragen glaubt. Doch wer weiß – vielleicht ist auch eine große Koalition nicht ganz vom Tisch. CSU-Chef Markus Söder selbst hat sie ins Gespräch gebracht. Dafür müssten SPD und Union aber noch zulegen, derzeit reicht es nicht. Welches Bündnis am realistischsten oder kaum umsetzbar ist – die Berliner Zeitung macht den Check.
Eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP: Die Union schwächelt, die SPD ist im Aufwind: Olaf Scholz hätte gerne eine rot-grüne Koalition. Doch dafür wird es nach den derzeitigen Umfragewerten nicht reichen. Der SPD-Kanzlerkandidat macht keinen Hehl daraus, dass er sich dann auch eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP vorstellen könnte und wirbt um die Liberalen. FDP-Chef Christian Lindner windet sich noch, doch ausgeschlossen hat er solch eine Koalition nicht. Klar ist: Die Hürden dafür sind hoch. Vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik knirscht es. SPD und Grüne wollen höhere Steuern für Spitzenverdiener, eine Renaissance der Vermögenssteuer und auch bei Erbschaften kräftiger zulangen. Die FDP lehnt all das ab. Forsa-Chef Manfred Güllner hält die Ampel dennoch für möglich: „Christian Lindner muss in erster Linie die Interessen seiner mittelständischen Wähler vertreten. Wenn es für eine Koalition mit der Union nicht reicht, kann er ein Bündnis mit der SPD damit rechtfertigen, dass die FDP das notwendige Korrektiv in einer Ampel-Koalition wäre.“ Auch Oskar Niedermayer, Parteienforscher an der FU Berlin, glaubt, dass Lindner sich auf die Ampel einließe – allerdings nur, wenn SPD und Grüne ein attraktives Angebot auf den Tisch legen. „Olaf Scholz müsste einen hohen Preis zahlen. Wichtige Ressorts wie das Finanzministerium wird die FDP beanspruchen, auch inhaltlich müsste der Koalitionsvertrag eine unverkennbar liberale Handschrift tragen“, sagt Niedermayer.
Rot-Rot-Grün (R2G) aus SPD, Linkspartei und Grünen: Die Union belebt derzeit ihre Rote-Socken-Kampagne und unterstellt der SPD, eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei anzustreben. Das soll die Wähler verschrecken. Nur die scheint das bislang nicht zu beeindrucken. Wie das ZDF-„Politbarometer“ ermittelt hat, findet ein rot-rot-grünes Bündnis durchaus Zustimmung. Inhaltlich sind sich die drei Parteien in vielen Politikfeldern ohnehin nahe: Egal, ob Mindestlohn, Vermögenssteuer oder Kindergrundsicherung – eine Einigung sollte schnell erzielt sein. Kompliziert wird es in der Außen- und Sicherheitspolitik. Doch derzeit sieht es nicht nach einem R2G-Bündnis aus. Scholz schließt eine Linkskoalition zwar nicht aus, er setzt aber auch keine Signale, dass er sie anstrebt. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ging ebenso auf Distanz zur Linken. Mit deren Haltung zur Evakuierung in Afghanistan habe sich die Partei „ins Abseits geschossen, als sie nicht mal bereit war, die Bundeswehr dabei zu unterstützen, deutsche Staatsangehörige und Ortskräfte aus Afghanistan zu retten“. FU-Forscher Niedermayer glaubt allerdings, dass auch in der Außenpolitik Kompromisse möglich wären: weniger Geld für Verteidigung, eine Reform der Nato statt deren Abschaffung, eine EU, die sozialer ist. Meinungsforscher Manfred Güllner verweist auf Berlin, wo eine rot-rot-grüne Koalition ebenfalls funktioniert – trotz Kritik an einzelnen Senatoren.
Jamaika-Koalition aus Union, Grünen, FDP: Dafür müsste die Union stärkste Kraft bei der Bundestagswahl werden. Unterstützer hat diese Koalition: FDP-Parteichef Christian Lindner macht immer wieder deutlich, mit wem er am liebsten regieren würde: „Die Union hat Armin Laschet nominiert, den wir kennen und schätzen aus der erfolgreichen Regierungszusammenarbeit in Nordrhein-Westfalen.“ Anknüpfungspunkte im Bund gäbe es mit der Union vor allem in der Steuer- und Wirtschaftspolitik. Fraglich ist, ob die Grünen dabei mitziehen. FU-Forscher Niedermayer: „Auch wenn die Union vorne liegt, könnte Jamaika schwierig werden. Zwischen Grünen und FDP hat sich die Abneigung kaum verändert.“ Zumal Laschet und Lindner harmonieren – und die Ökopartei dann schnell das Gefühl bekommen könnte, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Ob die noch immer in weiten Teilen linke Basis einem schwarz-gelb eingefärbtem Koalitionsvertrag zustimmen würde, ist ebenso fraglich.
Deutschland-Koalition aus Union, SPD, FDP: Eine GroKo plus FDP: Das wäre die Deutschland-Koalition, die farblich betrachtet eigentlich eine Belgien-Koalition ist. Bei der SPD löst diese Vorstellung allerdings keine Begeisterung aus – vor allem nicht, wenn die Union stärkste Kraft wird. Für CDU/CSU und FDP bietet ein Deutschland-Bündnis immerhin die Chance, eine Regierung ohne die Grünen zu bilden. FDP-Generalsekretär Volker Wissing sagte daher bereits. „Es ist jedenfalls eine Option. Und diese Optionen sind wertvoll.“ Nur: Es ist schwer vorstellbar, dass die SPD nach zwölf Jahren großer Koalition bereit ist, Teil einer im Kern schwarz-gelben Regierung zu werden. „Die Basis der SPD würde da nicht mitgehen“, sagt Politikwissenschaftler Niedermayer.
Kenia-Koalition aus Union, SPD, Grüne: Denkbar, aber wenig wahrscheinlich ist ein Bündnis aus Union, SPD und Grünen. In den Umfragen hätte „Kenia“ – in Anlehnung an die Landesfarben Schwarz, Rot, Grün – zwar eine deutliche Mehrheit, doch wie in der Deutschland-Koalition müssten auch hier Union und SPD zueinanderfinden. Forsa-Chef Manfred Güllner: „Die Koalition hängt davon ab, ob die SPD wieder mit der Union in einer Regierung sein möchte. Andererseits muss sich die Union die Frage stellen, ob sie als – so sieht es derzeit aus – unterlegener Partner in solch einem Bündnis mitregieren möchte.“ FU-Forscher Niedermayer hält Kenia vor allem aus Sicht der Sozialdemokraten für eine Option: „Für die SPD könnte es im Zweifel der letzte Rettungsanker sein, um Olaf Scholz doch noch zum Kanzler zu machen.“




