Nach der Chaos-Wahl 2021

Berlin: Wiederholung der Pannen-Wahl? Monika Grütters sieht sich als Opfer

In Reinickendorf könnte die Bundestagswahl komplett wiederholt werden. Es ist der Wahlkreis der langjährigen Kulturstaatsministerin. Die hält das für unfair.

Monika Grütters (CDU)
Monika Grütters (CDU)dpa/Fabian Sommer

Die Lage bleibt verworren. Müssen die Pannen-Wahlen vom vergangenen Jahr wiederholt werden, komplett oder in Teilen? Immer wieder tauchen neue Varianten auf. Erst in einem Monat dürfte das Bild etwas klarer werden, wenn das Berliner Verfassungsgericht eine erste Einschätzung abgibt. Jetzt meldet sich eine mutmaßlich Betroffene zu Wort: Monika Grütters. Die CDU-Politikerin und langjährige Kulturstaatsministerin aus Berlin könnte ihr Bundestagsmandat verlieren.

Für Monika Grütters ist klar: „Der Totalversager-Senat hat das Wahldesaster zu verantworten.“ Damit meint die CDU-Politikerin die frühere Berliner Landesregierung unter Michael Müller (SPD). Diese hätte garantieren müssen, dass die Wahlen zum Bundestag sowie zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen korrekt über die Bühne gehen können, sagt sie.

Stattdessen gab es ein nie gesehenes Chaos. Mal waren zu wenige Stimmzettel da, mal die falschen. Teils mussten die Menschen über Stunden anstehen, um von ihrem vornehmsten Recht in der Demokratie Gebrauch zu machen. In manchen Wahllokalen konnte auch mehr als anderthalb Stunden nach offizieller Schließung noch abgestimmt werden. Viele gingen frustriert unverrichteter Dinge nach Hause.

Seitdem suchen Politik und Justiz nach den angemessenen Konsequenzen. Im Mittelpunkt steht die Frage: Waren die Vorkommnisse in der Anzahl so gravierend, dass die Wahl wiederholt werden muss? Gleichzeitig muss beachtet werden, dass dennoch die meisten Menschen abstimmen konnten. Sind deren Stimmen jetzt wertlos? Eine komplette Wiederwahl auf allen Ebenen gilt als ausgeschlossen.

Bei der Betrachtung muss differenziert werden: Auf der einen Seite steht die Bundestagswahl in den zwölf Berliner Wahlkreisen, die bis auf kleine Abweichungen identisch mit den Bezirken sind. Auf der anderen Seite stehen die Wahlen zum Abgeordnetenhaus mit seinen insgesamt 78 Wahlkreisen sowie zu den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV). Beide Komplexe werden getrennt behandelt.

Für Abgeordnetenhaus und BVV ist der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin zuständig. Berlins oberstes Gericht hat für Ende September eine erste mündliche Verhandlung angesetzt. Diese gilt als richtungsweisend. Erst im Oktober will der Bundestag über die Bundestagswahl entscheiden. Die Entscheidung des Berliner Gerichts soll unbedingt abgewartet werden.

Nun hatte der aufgebrachte Bundeswahlleiter Georg Thiel bereits im Mai eine komplette Wahlwiederholung in sechs der zwölf Wahlkreise verlangt – das wären rund 1200 Wahllokale. Davon will der Wahlprüfungsausschuss des Parlaments aber gar nichts wissen. Dieser Tage stimmte die Ampel-Mehrheit für eine Beschlussvorlage. Demnach müsste berlinweit in rund 440 offenbar besonders chaotischen Wahllokalen erneut die Zweitstimme gewählt werden. Die Liste ist unter Verschluss.

In einem Wahlkreis müsste dagegen komplett neu gewählt werden, und zwar Erst- wie Zweitstimmen, weil es dort besonders knapp gewesen ist. Schon leichte Verschiebungen könnten das Ergebnis verändern, das Stichwort heißt Mandatsrelevanz. Das ist ein wichtiges Kriterium.

Es handelt sich um Reinickendorf, und damit kommt Monika Grütters ins Spiel. Die CDU-Politikerin hat den Berliner Nordwesten mit rund 1800 Stimmen vor dem SPD-Kandidaten geholt. Ob das jetzt besonders knapp ist, darüber kann man streiten – und tut dies auch hinter den Kulissen. Unbestreitbar ist jedoch, dass in den anderen elf Wahlkreisen die Abstände deutlicher waren.

Grütters blickt zwiegespalten auf die Debatte. Sie finde richtig, dass ein Exempel statuiert werde, sagt sie der Berliner Zeitung. „Doch dies wird auf dem Rücken derjenigen ausgetragen, die nichts falsch gemacht haben, sondern ehrlich gekämpft haben.“ Damit meint sie vor allem sich selbst. Aber nicht nur. Auch Parteifreundin Ottilie Klein könnte in Mitleidenschaft gezogen werden. Und das geht so:

Sollte Grütters Reinickendorf bei einer Wiederwahl tatsächlich verlieren, wäre das eine persönliche Niederlage. Der inzwischen von der eigenen Partei kaltgestellte Frank Steffel hatte den Wahlkreis dreimal hintereinander glatt geholt. Ihr Bundestagsmandat könnte Grütters dennoch behalten, schließlich stand sie auf Platz eins der CDU-Landesliste. Dagegen würde Ottilie Klein von der Liste und damit aus dem Parlament purzeln.

Aber ergibt das überhaupt Sinn, eine Inselwahl, eine Abstimmung nur in einem Wahlkreis? Für Monika Grütters nicht. Sie plädiert für eine breitere Nachwahl, möglicherweise nach der Empfehlung von Bundeswahlleiter Thiel. „Eine Inselwahl anderthalb Jahre später kommt dem tatsächlichen Willen des Wahlvolks mutmaßlich nicht näher“, sagt Grütters.