Wahlkampf in Berlin

Marcel Luthe: Tritt er für die Freien Wähler das Erbe Thilo Sarrazins an?

Der Ex-Finanzsenator tritt kurz vor der Wahl mit dem Berliner Spitzenkandidaten der Freien Wähler auf. Ort der Begegnung: das Strandbad Weissensee.

2021 schloss die SPD den ehemaligen Finanzsenator von Berlin aus der Partei aus. Heute macht Thilo Sarrazin Wahlkampf für die Freien Wähler.
2021 schloss die SPD den ehemaligen Finanzsenator von Berlin aus der Partei aus. Heute macht Thilo Sarrazin Wahlkampf für die Freien Wähler.

Berlin-Es ist der erste Auftritt von Thilo Sarrazin in diesem Wahlkampf. Zwölf Tage vor der Abgeordnetenhauswahl hat der 76-jährige, sich am Dienstagabend im Strandbad Weißensee eingefunden, um das Buch „Sanierungsfall Berlin“ von Marcel Luthe, dem Spitzenkandidaten der Freien Wähler, zu besprechen. In der Pressemitteilung des „Forum Mittelstand“, das den Abend organisiert, ist von einer Buchvorstellung die Rede, doch handelt es sich wohl eher um eine Wahlkampfveranstaltung. Luthes Werk erschien bereits im Mai.

Ungefähr 70 Leute lauschen am Strand des Sees auf Liegestühlen beim Knistern einiger Feuertöpfe den Worten des ehemaligen Berliner Finanzsenators, Bundesbankvorstands und Autoren kontroverser Bestseller wie „Deutschland schafft sich ab“. Sarrazin lässt die Zuschauer wissen, dass es sich sogar um seinen ersten Auftritt in einem Berliner Wahlkampf seit 2009 handelt. Es muss ihm wichtig sein, Luthe zu unterstützen.

Doch, bevor es um den Spitzenkandidaten der Freien Wähler geht, redet Thilo Sarrazin an diesem Abend viel über Thilo Sarrazin. Es geht um seinen früheren Job als Berliner Finanzsenator. Wie er gespart, dem Land Einnahmen beschert hat und wo er auf Widerstand gestoßen ist, wie oft sein Stuhl gewackelt hat und wie häufig er von Klaus Wowereit gescholten wurde. Immer wieder kehrt Sarrazin dabei zum Leitmotiv seiner Bücher zurück: Die Politiker verschlössen die Augen vor den großen Problemen.

Die Waffe der parlamentarischen Anfrage

Hier findet der 76 Jahre alte Redner dann auch schließlich den Anknüpfungspunkt zu Luthes Buch. Er würdigt dessen Arbeit mit der „Waffe“ der parlamentarischen Anfrage. Luthe gilt als Anfragekönig von Berlin, der den Senat unablässig zu allem von Organisierter Kriminalität bis Hunderenten befragt. Oft mit unschönen Ergebnissen für die Senatoren von Rot-Rot-Grün. Sarrazin sieht an einigen Stellen in Luthes Buch aber auch noch Verbesserungsbedarf.

Dass die Verluste der Landesbank zu größeren finanziellen Nachteilen für die Stadt geführt hätten, wie dort geschrieben, bezeichnet er als Mythos. Zum Beleg gibt er Interna preis. Beispielsweise, dass die Landesbank im Jahre 2007 für 5,3 Milliarden Euro verkauft werden konnte, nach den eigenen Berechnungen seines damaligen Ressorts aber nur 1,8 Milliarden Euro wert war. Man könnte meinen, hier spricht der alte Meister zum aufstrebenden Schüler: Das ist ein guter Anfang, aber Du kannst Dich noch verbessern, Marcel.

Luthe sagt, er sei Sarrazin vor dieser Veranstaltung noch nie begegnet. Doch dass Luthe in Sarrazins Fußstapfen als Stachel im Fleisch des Berliner Establishments treten könnte, ist nicht völlig abwegig. Die Männer verbindet Vieles. Beide wurden in ihren jeweiligen Parteien zu Parias, nachdem sie sich mit beißender, publikumswirksamer Kritik hervorgetan hatten. Im Juli 2020 erklärte das oberste Schiedsgericht der SPD den Parteiausschluss Sarrazins für rechtskräftig. Obwohl er damals angekündigt hatte, den Verbleib in der SPD auf dem Rechtsweg zu erreichen, beendete er im Juli dieses Jahr den Rechtsstreit. Er ist heute parteilos.

Den Finger in die Wunde legen

Luthe wurde im Juli 2020 aus der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus ausgeschlossen. Im folgenden Oktober zog der 44 Jahre alte Unternehmer dann selbst die Konsequenzen, trat auch aus der Partei aus und ist seit April Spitzenkandidat der Freien Wähler in Berlin. Sarrazin beschrieb Luthes Erfahrungen denn auch als eine Erfahrung „im Zeitraffer“.

Beide lieben es, den Finger in die Wunde zu legen, beide tun das in Buchform. Doch gefragt, ob Sarrazin, bei all diesen Parallelen und angesichts seines Auftritts, nun auch den Freien Wählern beitreten würde, wollte er an diesem Abend nicht sagen. Aber auf die Frage, ob Luthe eine Art Nachfolger für ihn werden könnte erklärte Sarrazin: „Erstmal muss er eine Wahl gewinnen, dann Teil des Senats werden.“ Dann würde man weitersehen. Ein Dementi klingt anders.