Die Neue Deutsche Härte war einmal ein populäres musikalisches Genre der Zweitausender; inzwischen offenbart sie sich immer häufiger in deutschen Polittalkshows. Taff, taffer, am taffsten: Journalisten und Politiker überbieten sich in den Forderungen nach Härte gegen Putin, so auch in der jüngsten Sendung von „Maischberger. Die Woche“. Sandra Maischbergers Show ist der Gemischtwarenladen unter den Talkformaten, eine Drei-in-eins-Show, bestehend aus Presseclub (dem Gespräch von Journalisten untereinander), Einzeltalk und Talkduell zwischen Politikern.
Im Grunde spiegelt dieses Format die Tendenz, hochrangige Politiker einzeln zu interviewen – wie bei „Anne Will“ häufiger zu sehen, etwa mit Olaf Scholz oder Angela Merkel. Das löst sie aus der Sphäre des politischen Wettstreits und verabsolutiert ihre Haltung, insbesondere wenn von der Moderation zu wenig kritische Fragen kommen.
Lügt die Verteidigungsministerin in Bezug auf deutsche Unterstützung für die Ukraine?
Gestern Abend sprach Maischberger mit Andrij Melnyk, dem ukrainischen Botschafter in Deutschland, der seine Vorwürfe gegen die deutsche Politik erneuerte. Zurückhaltung ist seine Sache nicht. Die Behauptung der Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, wonach Deutschland sehr wohl im Geheimen Militärhilfe leiste, wies Melnyk mehr oder weniger explizit als Lüge zurück. Nichts von der ukrainischen Wunschliste sei erfüllt worden. Melnyk wiederholte seine Positionen, die man von ihm bereits zuvor in deutschen Talkformaten hören konnte. Bei Maischberger also nichts Neues.
Das galt eigentlich für den gesamtem ersten Teil der Talkrunde, in dem Anna Sauerbrey (Die Zeit), Ulrich Wickert und Gabor Steingart (The Pioneer) als Journalistenrunde die Ereignisse von Butscha aufzuarbeiten suchten. Natürlich konnte hier kein Dissenz herrschen, denn die Kriegsverbrechen der russischen Armee sind dokumentiert. So konnte sich die journalistische Beobachtung an dieser Stelle nur in einem Unsagbarkeitstopos erschöpfen: Das Grauen des Krieges ist unaussprechlich und Putin ist ein Kriegsverbrecher.
Leiden wird unter einem Gasembargo das untere Drittel
Dissens gab es allerdings in der Frage eines Öl- und Gasembargos. Während Wickert und Sauerbrey dagegen waren, forderte Steingart ein Embargo. Die drei bis sieben Prozent Wirtschaftseinbruch, die von Ökonomen prognostiziert werden, seien verkraftbar. Für das unterste gesellschaftliche Drittel der Deutschen könnten die Folgen fatal sein, aber da könne der Staat kompensieren. Dass eben dieser Staat bereits in der Corona-Krise darin versagte, die Krisenfolgen für das besonders stark von der Krise betroffene unterste Drittel der Gesellschaft zu kompensieren, darauf ging niemand in der Runde ein.
Das allerdings änderte sich mit Gregor Gysi (Die Linke), der im Talkduell mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) betonte, dass der Ausgleich für das unterste Drittel für gewöhnlich nicht ankomme. Das aktuelle Energie-Hilfsprogramm der Bundesregierung, das im Gieskannen-Modus fördere, ermutige in dieser Frage wenig. Die Embargo-Frage beherrschte dann auch das Gespräch zwischen Gysi und Strack-Zimmermann, wobei die FDP-Politikerin die Frage in den Raum stellte, wie resilient Deutschland sei. „Was können wir ertragen?“ Die Frage erscheint angesichts des nicht durchzusetzenden Tempolimits im Grunde beantwortet.
Strack-Zimmermann sprach Klartext, erklärte, Betroffenheit und nette Symbole seien nicht das, was die Ukraine jetzt brauche. Da sie zugleich jede Hoffnung auf eine Flugverbotszone abräumte – die Diskussion sei wirklich „erledigt“ –, stellt sich die Frage, was genau die Ukraine nun braucht, abgesehen von der Betroffenheit der deutschen Politik angesichts der eklatanten Fehleinschätzung der russischen Absichten. Sowohl Gysi als auch Strack-Zimmermann durften, wie alle Politiker und Journalisten in Talkshows der letzten Wochen, ihre eigenen Fehleinschätzungen eingestehen: Mea culpa, Asche auf mein Haupt, aber nun ist Schluss mit dem Appeasement. Dass das Appeasement der europäischen Mächte gegen Hitler auch einen Versuch darstellte, den Zweiten Weltkrieg zu verhindern, thematisierte niemand.
Gysi fragt nach amerikanischen Kriegsverbrechen
Das Ende des Appeasements forderte Strack-Zimmermann nicht nur für Russland, sondern auch für den Iran und China. Gysi warf ein, das gelte wohl auch für Saudi-Arabien, was in der Runde übergangen wurde. Der Linke-Politiker versuchte dann, die auch von ihm vorgebrachte Kritik an russischen Kriegsverbrechen in Richtung der westlichen Bündnismächte zu erweitern. Was etwa sei mit den amerikanischen Kriegsverbrechen?
„Man kann ja mal bei der einen Sache bleiben“, kommentierte Maischberger. Gysi probierte es wenig später noch einmal – wie am Vorabend bereits der Ex-Linke-Politiker Oskar Lafontaine im Gespräch mit Norbert Röttgen (CDU) –, aber Maischberger wehrte erneut ab: „Das ist ja verrückt, dass Sie das eine nicht ohne das andere denken können.“ Verrückt in der Tat, dass die Regeln des internationalen Rechts für alle gleichermaßen gelten sollen.
