Es gibt Menschen in Deutschland, die haben einen Koffer gepackt für den Fall, dass sie schnell das Land verlassen müssen. Darin ist nur das Nötigste: Reisepass, Impfpass und Adressen von Freunden, die Unterschlupf bieten könnten. Grund ist nicht die Angst vor Flut, Feuer oder Krieg. Der Grund ist die AfD – oder vielmehr der Rechtsruck in der Gesellschaft.
Die Umfragewerte der AfD sind auf einem Rekordhoch, fast 20 Prozent der Deutschen würden AfD wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Das ist jeder Fünfte. Im Kreis Sonneberg in Thüringen hat der AfD-Kandidat die Landratswahl bei einer Stichwahl gewonnen. Björn Höcke nannte das eine „Machtprobe von nationaler Tragweite“, wie tagesschau.de berichtete. Auch die anderen Parteien waren sich einig, dass die Wahl eine Abstimmung über die Bundespolitik war.
Die Autorin und Antirassismus-Trainerin Tupoka Ogette teilte nach dieser Wahl auf Instagram, warum sie schon länger einen solchen „Für-den-Fall-dass-Koffer“ hat. „Ich habe keine mutmachenden Worte heute“, schreibt sie. „Ich habe Angst.“ Den Koffer vergesse sie im Alltag manchmal, der Sieg der AfD in Sonneberg sei Anlass gewesen, ihn zu „checken“. Über 27.000 Menschen reagierten auf den Post, viele kommentierten, sie hätten auch einen solchen Koffer.
Eine Userin schreibt: „Gestern sagte ich zu meinen deutschen Partner, ich hoffe du kommst mit, wenn ich fliehen muss.“ Eine andere schreibt: „Ich lebe in Brandenburg und denke gerade zum ersten Mal – das war keine gute Idee.“ Der Osten wählt eher rechts, Thüringen ganz besonders. Doch die Wahl in Sonneberg könnte man angesichts der Prognosen als Vorbote deuten, es gab Stimmen aus der CDU, die eine Koalition nicht ausschließen würden. „Das Konzept ‚Schulterschluss gegen AfD‘ ist an seine Grenzen gekommen“, schrieb der Brandenburger Landesvorsitzende Jan Redmann am Sonntagabend bei Twitter.
Angesichts der gepackten Koffer von Tupoka Ogette und anderen drängt sich die Frage auf, was ein Fluchtgrund wäre? Wenn die AfD regiert? Wenn sie es schafft, die Demokratie auszuhebeln? Wenn sie diskriminierende Gesetze verabschiedet? Viele der Kommentierenden fragten auch: Wohin?
Nationalkonservative Parteien sind in ganz Europa auf dem Vormarsch. Die Wähler in den USA und Brasilien hatten sich vor einigen Jahren für Trump und Bolsonaro entschieden. Auch wenn das politische Pendel dort nun wieder etwas weiter nach links ausgeschlagen hat, bleibt die Frage, ob ein ähnliches Szenario in Deutschland überhaupt möglich wäre. Hier hat man sich nach den Massenmorden der Nationalsozialisten geschworen: Nie wieder. Nun würde laut Prognosen ein Fünftel der Deutschen wieder rechtsaußen wählen, viele aus Protest.
Laut Tupoka Ogette hat das mit einer „gesellschaftlichen Hetze gegen vermeintlichen ‚Linksradikalismus‘ zu tun, mit einer medial geschürten Wut gegen ‚Wokeness‘, einer gepushten Angst vor ‚Identitätspolitik‘ und einer generellen Ermüdung rund um das Thema Rassismus“. Spielen rechte Meinungsführer also „Wer hat Angst vorm Genderstern?“ und die Wähler springen darauf an? Würden sie auch einen „starken Führer“ wählen, aus Angst vor der „linken Elite“?




