Was das Bild von China betrifft, ist sich die Ampelkoalition grundsätzlich einig. Es ist dreidimensional: China sei Partner, Wettbewerber und Systemrivale, so steht es im Koalitionsvertrag. Doch was bedeutet das für den Umgang mit der Volksrepublik, für die Diplomatie? Hier gehen die Ansichten zwischen SPD, Grünen und FDP wieder auseinander.
Sollte es dafür noch einen Beweis gebraucht haben, der Seeheimer Kreis hat ihn erbracht. In einem Thesenpapier fordert der konservative Flügel der SPD eine pragmatische China-Politik, er warnt vor einer „Anti-China“-Strategie. Dem Seeheimer Kreis gehören nach eigenen Angaben 93 Bundestagsabgeordnete an. Sie sagen: Im Umgang mit Peking brauche es „eine abgestimmte, einheitliche und langfristige Strategie innerhalb der Bundesregierung“.
Dass es die noch nicht gibt, liegt in den Augen der Genossen an den prominentesten Grünen im Kabinett: an Annalena Baerbock und Robert Habeck. „Aktuell hangeln sich die Spitzen des Auswärtigen Amtes und des Bundeswirtschaftsministeriums von Einzelfall zu Einzelfall“, heißt es in dem Papier. „Im Zentrum steht dort mehr die innenpolitische Symbolkraft getroffener Maßnahmen als eine weitsichtige Politik.“ Das muss man so verstehen: Baerbock und Habeck teilen ungestüm gegen Peking aus, um in der Heimat zu glänzen – und stören damit die Beziehungen mit dem wichtigsten Handelspartner.
Der Zeitpunkt, an dem das Dokument die Medien erreichte, dürfte kaum zufällig gewählt gewesen sein. Der Spiegel berichtete just an dem Tag über das Papier, als die Außenministerin durch China reiste. Es hat sich etwas angestaut in der SPD: Die Deutlichkeit, in der Baerbock Peking schon zuvor kritisiert hatte, kommt in Teilen der Kanzlerpartei nicht gut an.
Dort schätzt man den eher dezenten, moderierenden Stil von Olaf Scholz. Doch Baerbock bleibt sich treu, auch bei ihrem ersten Besuch in der Volksrepublik.
Auf einer Pressekonferenz mit ihrem chinesischen Amtskollegen Qin Gang ließ die Grüne keine heikle Frage aus. Warum China den „Aggressor Russland“ noch nicht aufgefordert habe, den Krieg in der Ukraine zu stoppen, wollte Baerbock wissen. Zu Pekings Drohungen gegenüber Taiwan sagte sie, dass „eine einseitige und erst recht gewaltsame Veränderung des Status quo“ für Europa nicht akzeptabel wäre. Und zur Situation der unterdrückten Minderheit der Uiguren: „Wo sich Firmen Vorteile auf Kosten der Menschenrechte verschaffen, gibt es keinen fairen Wettbewerb.“
Grund genug für Qin Gang, noch einmal zu betonen, dass China eines am wenigsten brauche: einen „Lehrmeister aus dem Westen“. Baerbock eckt an, sie scheut keinen öffentlichen Schlagabtausch. Das verärgert nicht nur Peking, sondern sorgt auch beim sozialdemokratischen Koalitionspartner für Irritationen.

SPD-Politiker Arlt: Der Ton sollte weiterhin partnerschaftlich sein
„Die Frage sollte erlaubt sein, ob man immer so direkt formulieren muss, um seine diplomatischen Ziele zu erreichen“, sagt der SPD-Abgeordnete Johannes Arlt der Berliner Zeitung. Der Verteidigungspolitiker ist Mitglied des Seeheimer Kreises. „Wir würden uns anders ausdrücken, denn der Ton bestimmt die Musik. Er sollte weiterhin auch partnerschaftlich sein.“
Mit der wirtschaftlichen Partnerschaft, also einer von drei Dimensionen der China-Politik, halten es die Grünen allerdings anders. Sie wollen selbstbewusster auftreten. Die Erfahrungen mit Russland, so sieht man es in der Partei der Außenministerin, sollten auch für den Umgang mit Peking eine Lehre sein.
Auf Twitter schrieb die Grünen-Verteidigungs- und -Außenpolitikerin Agnieszka Brugger, das SPD-Papier sei ein „intellektuell ziemlich dürftiger, naiver Aufschlag zur Chinapolitik“. Sie habe gedacht, mittlerweile hätten auch die Letzten verstanden, dass es eine gefährliche Strategie sei, „Sicherheit sowie unsere langfristigen Interessen kurzfristigen wirtschaftlichen Profiten unterzuordnen“.
Und so prallt die sozialdemokratische Zurückhaltung auf den außenpolitischen Tatendrang der Grünen. Da verwundert es nicht, dass die Ampel-Partner schon seit Monaten um eine gemeinsame China-Strategie ringen. Es geht um mehr als die Verteilung von Kompetenzen zwischen Kanzleramt und Außenministerium. SPD und Grüne streiten auch über die richtige Lautstärke, die Gewichtung von Interessen.
„Wir müssen die Welt so nehmen, wie sie ist, und nicht so, wie wir sie uns wünschen“, sagt der SPD-Politiker Arlt. China sei eben nicht nur systemischer Rivale, sondern auch wirtschaftlicher Partner der Bundesrepublik. Da sei man sich mit den Grünen einig. Aber: „Uns geht es um Fragen der politischen Kultur und des Miteinanders. Wir sollten unsere Partner nicht öffentlich brüskieren.“
Dabei ist es keinesfalls so, dass sich SPD und Grüne in der China-Politik nicht auf Leitlinien verständigen könnten. Dass es keine wirtschaftliche Entkopplung geben darf, ist Konsens in der Koalition. Dafür ist die deutsche Wirtschaft zu abhängig von der Volksrepublik. Trotzdem, und auch darüber herrscht Einigkeit, sollen Lieferketten diversifiziert und deutschen Firmen mehr Rechte in China verschafft werden.
So sieht es auch der SPD-Abgeordnete Arlt. Und sagt zugleich: „Bei aller notwendigen Kritik, zum Beispiel in Menschenrechtsfragen, tragen wir auch Verantwortung für deutsche Arbeitsplätze.“ Die Außen- und Wirtschaftspolitik gegenüber China dürfe nicht eindimensional sein, warnt der konservative SPD-Flügel.
FDP-Außenpolitiker Lechte: Baerbock musste so deutlich sein
Und die FDP? In der Diskussion über das SPD-Papier haben sich die Liberalen bislang zurückgehalten. Das betrifft auch Annalena Baerbocks Auftritt in Peking, ihren außenpolitischen Stil.
„Die Außenministerin musste sich so deutlich ausdrücken, weil der französische Präsident auf seiner China-Reise den Eindruck erweckt hatte, dass Europa im Umgang mit Peking uneinig sei“, sagt der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Ulrich Lechte, der Berliner Zeitung. „Annalena Baerbock musste klarmachen, dass der Umarmungskurs von Emmanuel Macron nicht der europäische ist.“
In einem Interview hatte Macron nach seinem Besuch in Peking gesagt, dass sich Europa im Falle eines Konflikts um Taiwan nicht zu sehr an den USA oder China orientieren sollte. Andernfalls riskiere man, sich in Krisen verwickeln zu lassen, „die nicht unsere sind“. Das sorgte auch in Deutschland für Unverständnis. Die FDP mahnte eine enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten an.
„Viele Punkte aus dem SPD-Papier können wir als Freie Demokraten unterschreiben“, sagt der FDP-Politiker Lechte. Deutschland müsse wirtschaftliche Abhängigkeiten abbauen, ohne sich von China zu entkoppeln. „Es ist offensichtlich, dass sich Teile der SPD einen diplomatischeren Ton des Außenministeriums gegenüber Peking wünschen.“ Das sei ihr gutes Recht.
„Dabei sollten die Sozialdemokraten aber nicht vergessen, dass gerade die Taiwan-Frage auch Deutschland etwas angeht“, sagt der FDP-Außenpolitiker. Was, wenn China den Inselstaat angreift? Lechte verweist darauf, dass durch die Taiwanstraße zwischen der Insel und dem chinesischen Festland täglich mehr als 50 Prozent des Welthandels flössen. Taiwans Halbleiterindustrie sei ein unverzichtbarer Bestandteil der Weltwirtschaft, Taipeh gehöre zur demokratischen Allianz. „Dieser Aspekt kommt in dem Papier des Seeheimer Kreises leider zu kurz.“
Überhaupt dürfte die Solidarität mit Taiwan noch für Diskussionen zwischen Liberalen und Sozialdemokraten sorgen. Nach der Kritik an Macron war SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich dem französischen Präsidenten zur Seite gesprungen: Europa müsse aufpassen, so Mützenich, dass es nicht Partei in einem Konflikt zwischen den USA und der Volksrepublik werde.




