Hunderttausende Flüchtlinge wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Dazu weitere Hunderttausende aus anderen Winkeln der Welt, die in Deutschland Zuflucht vor Verfolgung und/oder Not oder einfach nur eine bessere Zukunft suchen. Sie alle müssen versorgt und untergebracht werden. Es folgen teils jahrelange Integrationsleistungen. Doch wer soll das bezahlen in der föderalen Bundesrepublik? Der Bund oder die einzelnen Länder und Kommunen? Und wie viel?
Seit Wochen sorgt der sogenannte Migrationsgipfel für Unruhe. An diesem Mittwoch treffen Bund und Länder aufeinander. Es wird argumentiert und debattiert, gestritten und gefordert. Es hat ein bisschen was von einem Showdown. Die Positionen scheinen unversöhnlich. Noch nie, so wirkt es zumindest, waren beide Seiten weiter auseinander.
Der Migrationsgipfel findet in Form einer Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzleramt statt. Ein Setting, das es in der Corona-Krise zu eher zweifelhaftem Ruhm gebracht hat. Diesmal wird es vor allem um zwei Fragen gehen: Wer hat schon wie viel Geld bekommen? Und vor allem: Wurde das Geld bereits komplett ausgegeben?
Das Land Berlin wird zum Beispiel erklären müssen, was mit den rund 100 Millionen Euro geschehen ist, die es voriges Jahr als Unterstützung vom Bund bekam, weil die Stadt zum mit Abstand größten Drehkreuz für die Registrierung und Erstunterbringung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen geworden war. Ist von der Summe womöglich noch etwas übrig?
Der Bund übernahm weniger als ein Viertel der Fluchtkosten
Bei der konkreten Summe und auch bei der Frage nach einer Gesamtbilanz der Flüchtlingsgelder für das Jahr 2022 musste Finanzsenator Stefan Evers (CDU) am Dienstag auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Sitzung der Berliner Landesregierung zunächst passen. Es wurde dann nachgeliefert.
Im Jahr 2021 beliefen sich die sogenannten Fluchtkosten für das Land Berlin demnach auf rund 740 Millionen Euro. Davon wurden vom Bund rund 254,1 Millionen Euro erstattet, wie es hieß. Im vergangenen Jahr hätten die Fluchtkosten rund 943,7 Millionen Euro betragen – Hauptgrund für den Anstieg sei der russische Überfall auf die Ukraine gewesen. Von dieser Summe wurden dem Land vom Bund rund 213,3 Millionen Euro erstattet. Hinzu kamen 2022 sogenannte Drehkreuzkosten in Höhe von rund 232,1 Millionen Euro. Die Erstattung des Bundes belief sich hierfür auf rund 103 Millionen Euro.
Das sind sehr, sehr viele Zahlen. Da war es fast schon erleichternd, dass aus Sicht des Senats eine seriöse Prognose für 2023 „aufgrund der Unsicherheiten und noch unklaren weiteren Entwicklung derzeit nicht möglich“ ist. Bislang sei der Finanzverwaltung nur bekannt, dass der Bund dem Land Berlin für 2023 einen Betrag in Höhe von 154 Millionen Euro zugesagt habe. Evers’ Fazit: „Das wird vorne und hinten nicht reichen.“
Die Strategie des Senats für den Migrationsgipfel bleibt nebulös
An anderer Stelle war der Finanzsenator deutlich weniger klar. So konnte er nicht mit einer zwischen den schwarz-roten Koalitionspartnern abgesprochenen Beschlussvorlage für den Gang in die Ministerpräsidentenkonferenz dienen. Evers erklärte das damit, dass die Lage vor solchen Großkonferenzen zuletzt stets sehr dynamisch gewesen sei. Soll heißen: Die Ministerpräsidenten formulieren oft erst kurz vor oder auch während der Sitzungen ihre Positionen. Dazu hätte der Regierende Bürgermeister, Evers’ Parteifreund Kai Wegner, also noch bis Mittwochmittag Zeit.
Nun hatte Kai Wegner bereits tags zuvor öffentlich angemahnt, dass die Geflüchteten gleichmäßig auf alle Bundesländer verteilt werden müssten. Und dass der Bund ihnen dafür auf jeden Fall deutlich mehr Geld geben müsse.
Wenn stimmt, was wir so von den Vorverhandlungen zum morgigen Flüchtlingsgipfel hören, heißt das u.a.: Massive Sicherung der EU-Außengrenzen und der Schengen-Binnengrenzen, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen einschließlich Aufbau entsprechender Lager, Ausweitung Abschiebungen,
— KatinaSchubert (@Katina_Schubert) May 9, 2023
Und doch war sie am Dienstag wieder da, die Frage danach, welches Senatsmitglied während der dienstäglichen Senatspressekonferenz den Journalisten Rede und Antwort stehen soll. Warum berichtete Kai Wegner nicht, mit welchen Zahlen er in die Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch zu gehen gedenkt? Schließlich trägt er die Verantwortung für den Auftritt Berlins in dem Gremium.
Finanzsenator Evers versuchte sich an einer Antwort: Kai Wegner habe doch erklärt, er wolle hier nicht „Dauergast sein, um anderen Senatoren Bühnenanteile zu nehmen“. Dauergast? Bühnenanteile? Noch klarer konnte Evers kaum ausdrücken, dass sein Chef Wegner anders vorgehen will als seine Vorgängerin Franziska Giffey (SPD). Von deren Omnipräsenz bei der Senatspressekonferenz waren bald etliche Mitstreiter genervt.
Aber wo war Kai Wegner eigentlich, anstatt öffentlich zu erklären, wie Berlin in die Ministerpräsidentenkonferenz gehen will? Da hilft ein Blick auf die Terminliste des Regierenden Bürgermeisters. Dort stand für Dienstag, 13.30 Uhr, ein Fototermin mit der Mannschaft der BR Volleys, die am Sonnabend zum siebten Mal hintereinander Deutscher Meister geworden sind. Auf den Fotos aus dem Säulensaal des Roten Rathauses sieht man einen fröhlichen Regierungschef im Kreise der Sportler, die stolz ihre Trophäen in die Kamera recken. Neben Wegner steht Iris Spranger (SPD), als Innensenatorin auch für Sport zuständig – und damit die eigentliche Fachkraft.





