Brutal Berlin

Mietbetrug in Berlin: Als ich von der Ostsee zurückkam, war meine Wohnung weg

Statt die Miete an den Besitzer der Wohnung zu überweisen, behielt mein Hauptmieter sie ein Jahr lang für sich. Jetzt muss ich ausziehen.

Da war die Urlaubsstimmung futsch: Während der Reise kam die Räumungsklage.
Da war die Urlaubsstimmung futsch: Während der Reise kam die Räumungsklage.Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende

Ich war vergangenes Jahr im Oktober für ein paar Tage in Travemünde. Alles war zwar grau und das Meer stürmisch, aber das hat ja auch etwas für sich. Der Urlaub war schon ewig geplant, für mich das erste Mal so weit nördlich. Zwei Tage vor Abreise rief mich aus Berlin mein Mitbewohner an: Im Briefkasten hätten zwei gelbe Briefe gelegen. Einer für ihn, einer für mich.

Als ich „gelber Brief“ hörte, dachte ich: Hab ich Mist gebaut? Ist irgendetwas Schlimmes passiert? Mein Mitbewohner öffnete seinen Brief: eine Räumungsklage. Das war an einem Sonnabend, am Sonntag wäre mein letzter Tag am Meer gewesen. Aber meine Urlaubsstimmung war da schon lange im Keller. Vielleicht hätte ich die Wellen anschreien sollen. Macht man doch so, wenn man das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren, oder? 

Begonnen hatte die ganze Geschichte vor drei Jahren. Mit einem Zufall. Und mit großer Freude. Ich war damals auf Wohnungssuche und lernte in einer Bar in Friedrichshain eine Frau kennen, deren Vater eine Wohnung zu vermieten hatte. 78 Quadratmeter im Neuköllner Schillerkiez für 500 Euro kalt. Als ich die Zusage für die Wohnung bekam, war ich glücklicher als bei meinem Schulabschluss. 500 Euro kalt – mit einem Mitbewohner zusammen, geteilt durch zwei also, das war für einen Studenten eine traumhafte Wohnsituation.

Dem Vertrag nach waren mein Mitbewohner und ich Untermieter und der Vater Hauptmieter. Er zahlte wohl den Besitzern der Wohnung 487 Euro im Monat. Wie sich das für ihn lohnte, wenn ihm gerade einmal 13 Euro blieben, habe ich nie verstanden. Ich weiß noch, dass ich ihn sogar darauf angesprochen habe. Er sagte, er wolle Menschen günstigen Wohnraum zur Verfügung stellen, die sich sonst keine Wohnungen leisten könnten.

Das ist mein Kiez

Der Mann wirkte auf mich sehr freundlich und zuvorkommend. Er hatte mich irgendwann sogar zum Grillen eingeladen. Obwohl er die 50 Jahre schon hinter sich gelassen hatte, wirkte er deutlich jünger. Der Typ Mensch, dem man seine Freude am Leben ansieht. Sehr nett, sehr intelligent, und dem Anschein nach auch sehr reich. Ich weiß nur, dass er Ingenieur war und wohl eine eigene Firma besaß.

Eigentlich lief erst mal alles gut – abgesehen von der Tatsache, dass ich in dieser Zeit dreimal am U-Bahnhof Leinestraße überfallen wurde und mir jedes Mal ein neues Handy kaufen musste. Ich hatte mich komplett in den Kiez verliebt und wollte hier für immer bleiben. Auch jetzt noch: Der Spätiverkäufer im Erdgeschoss unseres Hauses legt meinen Tabak schon auf den Tresen, wenn ich durch die Tür komme, ich kann jeden Tag auf dem Tempelhofer Feld Sport machen, ich kenne gefühlt jeden Barkeeper im Umkreis. Das ist einfach mein Kiez hier.

Von der Ostsee zurück, erfuhr ich, dass der Hauptmieter ein ganzes Jahr lang unsere Überweisungen einfach für sich behalten hatte. Bei den Besitzern der Wohnung war kein Euro angekommen. Sie wollten die Wohnung jetzt räumen lassen.

Mein Mitbewohner und ich wurden panisch, begaben uns direkt auf Wohnungssuche, gingen schnell zur Mieterberatung. Der erste Anwalt, den wir trafen, meinte wortwörtlich: „Ihr seid am Arsch – einfach ausziehen!“ Aber das war so ungerecht, wir hatten nichts falsch gemacht, und jetzt hätte jeden Morgen ein Gerichtsvollzieher an der Tür klopfen und uns auffordern können, die Wohnung zu verlassen.

Später sind wir dann zu einem anderen Anwalt der Mieterberatung gegangen, der uns etwas eingehender beraten wollte. Und zu unserer Überraschung kannte er die Situation bereits genau. Mehrere Betroffene waren schon mit demselben Fall bei ihm gewesen. Es ging um dieselbe Person – waren wir alle auf einen Betrüger hereingefallen?

Zu diesem Zeitpunkt meldete sich der Hauptmieter plötzlich wieder: „Ja, kein Problem, ich zahl das.“ Über WhatsApp zu kommunizieren, während unsere Räumung bevorstand, kam mir zwar seltsam vor, doch die Antwort auf meine Frage, ob ich ihn persönlich treffen könnte, war immer: „Ja, nächste Woche.“ Und war die nächste Woche gekommen: „Ja, nächste Woche“. Bis wieder die „nächste Woche“ verstrichen war – und er irgendwann gar nicht mehr antwortete.

Mein Nachbar, der für Klatsch und Tratsch aus der Gegend sehr empfänglich ist, erzählte mir, die Frau des Hauptmieters habe sich von ihm getrennt, seitdem sei er abgestürzt und nicht mehr auffindbar. Er lebe möglicherweise im Ausland. Offenbar habe er fünfzig weitere Wohnungen besessen. Ich selbst weiß nur von ungefähr zehn Wohnungen. Darunter auch welche, in denen Familien wohnten, die kein Deutsch verstehen, Geflüchtete aus Gambia zum Beispiel. Da war unsere Situation vergleichsweise harmlos, wir würden im Notfall leicht vorübergehend irgendwo unterkommen.

Aber wir sind noch in unserer Wohnung. Unser Anwalt hatte zu uns gesagt: „Räumungen in Berlin dauern.“ Im kommenden Dezember steht der erste Gerichtstermin an. Alle finanziellen Vorwürfe von Seiten der Besitzer richten sich gegen den Hauptmieter, wir wären aber von der Räumung betroffen.

Dafür könnte ich ihn verklagen

Die Hausverwaltung, die der Besitzer beauftragt hat, hatte mir zwar gesagt, sie käme irgendwann vor März kommenden Jahres mit einem Gerichtsvollzieher vorbei, um das Schloss auszutauschen und mir einen neuen Vertrag zu geben, diesmal als Hauptmieter. Inzwischen hat sich ihr Ton allerdings geändert.

Seit März wollen die Besitzer unbedingt renovieren, davor müssen wir zwar während des laufenden Gerichtsverfahrens keine Miete zahlen, danach werden wir aber auf jeden Fall raus müssen. Für sie ist das eine Goldgrube. Ich weiß von einer Mieterin im selben Haus in der gleichen Situation, die einen neuen Vertrag als Hauptmieterin von den Besitzern bekommen hat – aber 1300 statt 500 Euro im Monat zahlt und jetzt ausziehen muss, weil sie es sich nicht mehr leisten kann. Wir könnten das auch nicht.

Zum Gericht wird der Hauptmieter mit Sicherheit nicht erscheinen, ich werde natürlich dort sein. Es besteht noch die Möglichkeit eines Vergleiches, wenn er die Miete für das Jahr einfach nachträglich zahlt. Wenn er das tut und uns seinen Vertrag überschreibt, könnten wir bleiben. Unbefristet. Zum selben Mietpreis.

Gleichzeitig kommt mir die mietfreie Zeit aktuell auch absurd vor. Gerade zahle ich wirklich überhaupt nichts. Seit dem 1. März nicht mehr. Das hatten mir die Besitzer und der Anwalt geraten, das Geld wird ja nicht ankommen. Also solle ich es besser behalten. Trotzdem fühlt es sich eigenartig an. Mein Gefühl in der Wohnung hat sich verändert, obwohl sich dort an sich ja nichts geändert hat. Aber ein Teil der Bindung ist weg; vielleicht nehme ich den Ort nicht mehr als Zuhause wahr, weil ich weiß, dass es bald zu Ende sein könnte.

Noch versuche ich, das Geld für die Miete so gut es geht zurückzulegen, falls es dann irgendwann irgendjemand doch noch einfordert. Eigentlich könnte der Hauptmieter das Geld von uns auch noch verlangen. Wir sind ja nach wie vor seine Untermieter, nur meldet er sich nicht und hat unsere Miete ein Jahr lang eingesteckt. Dafür könnte ich ihn eigentlich verklagen.

Dürfte ich träumen, dann würde mein Hauptmieter nun die Miete bezahlen und wir könnten unbefristet bleiben, Geld in die Wohnung stecken und das Bad neu machen. Im Hier und Jetzt sind wir aber wohl gezwungen, uns in der langen Schlange für bezahlbaren Wohnraum in Berlin hinten anzustellen.

Dann wäre dies mein letzter Sommer im Kiez. Ich habe schon Millionen Bilder von Sonnenuntergängen über dem Tempelhofer Feld gemacht, aber so viele werden vielleicht nicht mehr dazukommen. Die U8 – ist halt die U8, aber ich kann ihre Stationen auswendig aufsagen. Und für einen Abend im Bechereck oder im Goldammer werde ich in Zukunft wohl anreisen müssen.

Aufgezeichnet von Laurenz Cushion
*Name der Redaktion bekannt


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