Mode

Jüdische Modedesigner: Historiker mahnt fehlende Erinnerungskultur der Berliner Szene an

Zum ersten Mal seit dem Weltkrieg wurde in Berlin Mode mehrerer jüdischer Designer gezeigt. Dass es so lange gedauert hat, liege an einer „Mauer des Schweigens“, so Uwe Westphal.

Unternehmen wie jene von Leopold Seligmann, hier um 1930, prägten die Berliner Mode.
Unternehmen wie jene von Leopold Seligmann, hier um 1930, prägten die Berliner Mode.Archiv Uwe Westphal

Als Ron Prosor den Laufsteg betritt, ist das Publikum begeistert. Der derzeitige Botschafter Israels in Deutschland, der am vergangenen Donnerstag zum Model wurde, amüsiert die Gäste mit seinem charmanten Auftreten und einem tapsigen Gang; an seinem Leib trägt er Entwürfe des jüdischen Designers Doron Ashkenazi.

Prosors Auftritt sollte das Highlight werden an einem Abend, der ohnehin das Hochpolitische mit dem Schönen, dem Leichten verband: In der Mercedes-Benz-Niederlassung am Salzufer wurde im Rahmen der Jüdischen Kulturtage Berlin eine Modenschau ausgerichtet, bei der israelische und jüdische Designerinnen und Designer ihre Entwürfe präsentierten – zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Dabei waren es einst ebenso Jüdinnen und Juden, die aus Berlin ein ernst zu nehmendes, internationales Modezentrum gemacht hatten. Zu Zeiten der Weimarer Republik hatten einige von ihnen in Berlin etwa die Massenkonfektion entwickelt: Die leicht reproduzierbare Kleidung auf Basis eines einheitlichen Größensystems also, wie sie noch heute weltweit produziert wird.

Der charmante Laufsteg-Auftritt des Botschafters Israels in Deutschland, Ron Prosor, amüsiert die Gäste.
Der charmante Laufsteg-Auftritt des Botschafters Israels in Deutschland, Ron Prosor, amüsiert die Gäste.Benjamin Pritzkuleit

Längst hat sich die massengefertigte Kleidung gegenüber der klassischen handgemachten Haute Couture durchgesetzt, kein internationales Modeunternehmen, von Chanel bis zu Dior, kann sich ohne seine Prêt-à-porter, seine Designerware von der Stange also, wirtschaftlich behaupten.

In Deutschland wurde hierfür bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts das Fundament gelegt: Jüdische Fabrikanten und Kaufleute, allen voran Valentin Manheimer, der als ein Erfinder besagter Massenkonfektion gilt, aber auch Akteure wie David Leib Levin, Nathan Israel, Hermann Gerson oder Leopold Seligmann hatten Modeunternehmen in Berlin gegründet.

Die Szene brachte ikonische Entwürfe wie den „Berliner Damenmantel“ hervor

Dreh- und Angelpunkt der Branche war zu jener Zeit der Hausvogteiplatz in Mitte, an dem sich bereits 1860 knapp 20 Konfektionsfirmen angesiedelt hatten – in den 1920ern waren es dann 2800 Textil- und Pelzunternehmen mit insgesamt 900.000 Angestellten. Auch ganz eigene Entwürfe wie Manheimers „Berliner Damenmantel“, der selbst in den USA erfolgreich verkauft wurde, brachte die jüdisch geprägte Szene hervor.

Mit der Machtübergabe an die Nazis änderte sich alles. Was mit ersten Boykotts jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 begann, setzte sich mit erzwungenen Unternehmensübertragungen fort und endete schließlich mit der Deportation nahezu aller Modekaufleute und Fabrikanten jüdischen Glaubens, die nicht rechtzeitig aus Deutschland geflohen waren. Das Ende Berlins als internationales Modezentrum war besiegelt.

Vor allem am Hausvogteiplatz hatten sich jüdische Modefirmen, hier Leopold Seligmann, niedergelassen.
Vor allem am Hausvogteiplatz hatten sich jüdische Modefirmen, hier Leopold Seligmann, niedergelassen.Archiv Uwe Westphal

Aus dieser dunklen Vergangenheit habe die Stadt nicht genügend gelernt, die Modebranche habe sich vom Verlust der jüdischen Kreativen kaum erholt, sagt Uwe Westphal. Mit „Modemetropole Berlin 1836–1939: Entstehung und Zerstörung der jüdischen Konfektionshäuser“ hat der Historiker ein Buch geschrieben, das heute als Standardwerk zum Thema gilt. Westphal war es auch, der sich für das im Jahr 2000 fertiggestellte Denkzeichen Modezentrum Hausvogteiplatz eingesetzt hatte.

Heute wird Westphal nicht müde anzumahnen, dass es gerade in der Berliner Modeszene keine adäquate Erinnerungskultur gebe. Ein Schritt in die richtige Richtung allerdings sei am vergangenen Donnerstag mit der Modenschau im Rahmen der Jüdischen Kulturtage Berlin gegangen worden, findet er.

Uwe Westphal schlägt einen Preis in Gedenken an die Konfektionäre vor

Neben Sharon Tal, die eine Zeit lang für das Modegenie Alexander McQueen tätig war und heute in Tel Aviv für das renommierte Label Maskit arbeitet, zeigte hier auch Yaniv Persy, ehemals die rechte Hand John Gallianos, seine Entwürfe. „Besonders die Zwanzigerjahre haben mich inspiriert“, erklärte der Modeschöpfer nach der Show, bei der er dem Flapperstil der 1920er entsprechend einen wilden Mix aus Federn, Pailletten und dicken Perlen zeigte.

Farbenfroh wurde es bei der jüdischen Designerin Lubov Malikova, die aus Kiew stammt, aber mittlerweile in Essen lebt: Ihre bunten Designs ließ sie an barfüßigen Models zu basslastiger Musik den Catwalk herunterlaufen. Die in Tel Aviv ansässige Designerin Chana Marleus wiederum konzentrierte sich auf Abendmode aus fließenden, teils plissierten Materialien.

Die israelische Designerin Chana Marleus zeigte Abendmode aus fließenden, teils plissierten Materialien.
Die israelische Designerin Chana Marleus zeigte Abendmode aus fließenden, teils plissierten Materialien.Benjamin Pritzkuleit

„Doch wieso findet diese Inklusion jüdischer Designer in der Berliner Szene nicht über die Kulturtage hinaus statt?“, fragt Westphal; er erlebe eine sich immer weiter ausbreitende Ignoranz gegenüber der eigenen, dunklen Vergangenheit Deutschlands –gerade auch im Bereich der Mode. „Man könnte einen Preis für junge aufstrebende Designer im Namen der ehemals erfolgreichen jüdischen Modeunternehmer wie beispielsweise Hermann Gerson oder Valentin Manheimer einführen“, schlägt er vor, „im Rahmen der Fashion Week zum Beispiel, das wäre ein Anfang.“ Schließlich, so Westphal, „greifen auch andere Modemetropolen auf die Traditionen ihres eigenen Landes zurück.“

Interesse an der Mode aus Berlin bestehe laut Westphal auch außerhalb Deutschlands. „Gerade in Israel begeistert man sich für Design aus der deutschen Hauptstadt.“ Was es nun brauche, sei eine sinnvolle wie sensible Kopplung mit historischen Bezügen. „Doch leider wird das hierzulande nicht aufgegriffen, weil man sich spätestens seit den Fünfziger- und Sechzigerjahren hinter einer Mauer des Schweigens versteckt“, beklagt Westphal.

Dabei hat auch Berlin – genau wie Paris – eine reiche Modehistorie. Ikonische Entwürfe wie Manheimers „Berliner Damenmantel“, ein Einreiher in Dreiviertellänge mit Raglanärmeln, vier Außen- und zwei Innentaschen, sind keine Ausnahme. In britischen und amerikanischen Modegazetten wurde „Berliner Chic“ vor rund 100 Jahren jedenfalls zum Schlagwort. Nur heute erinnert sich daran kaum noch jemand.