Kommentar

Das Versagen beim ESC und das Deutsche Fernsehen – das passt alles zusammen!

Dass Deutschland erneut den letzten Platz beim ESC belegt hat, ist das Ergebnis einer Mischung aus Hochmut und Bräsigkeit. Ein Kommentar.

Pyrotechnik und Strapsklamotten mögen in der Lüneburger Heide für ein großes Hallo sorgen, in Liverpool reichte das leider nicht aus, um Eindruck zu schinden: Lord of the Lost belegten den letzten Platz beim ESC. 
Pyrotechnik und Strapsklamotten mögen in der Lüneburger Heide für ein großes Hallo sorgen, in Liverpool reichte das leider nicht aus, um Eindruck zu schinden: Lord of the Lost belegten den letzten Platz beim ESC. Martin Meissner/AP

Das war sicherlich ein Absturz mit Ansage. Schon seit Wochen wurde die schwedische Sängerin Loreen als heiße Favoritin auf den ersten Platz beim Eurovision Song Contest gehandelt und dass Deutschland mit Lord of the Lost nicht gewinnen werden, schien klar. Aber dass Deutschland in diesem Jahr schon wieder den letzten Platz belegt, das konnte keiner ahnen. Oder doch?

Budenzauber-Band mit Klamotten aus dem Rocky-Horror-Fundus

Betrachtet – und hört – man die anderen Acts, so ist aber klar, dass wir mit der Hamburger Glam-Metal-Band nur einer der hinteren Ränge belegen konnten. Denn wo sich Künstlerinnen und Künstler wie Loreen (Schweden), Käärjä aus Finnland oder Marco Mengoni (Italien) sich mit ihren Songs und ihrer Darbietung an Weltstars wie Beyoncé, Sam Smith oder Drake orientieren, da schicken der NDR und Deutschland eine Budenzauber-Band mit Klamotten aus dem Rocky-Horror-Fundus und einem Sound, einer Art Fake-Camp Glamrock, die weniger aktuell gar nicht sein könnte. 

Und das ist noch nicht einmal primär die Schuld von Lord of the Lost, die einfach ihre Chance auf ein großes Publikum wahrgenommen haben, sondern die Schuld des bräsigen NDR, wo man im Nachgang den Fehler auf den Grund gehen will: „Wir sind mit einem außergewöhnlichen Act gestartet, der überhaupt nicht das Ergebnis erzielt hat, das wir uns gewünscht haben. Das ist sehr, sehr enttäuschend und ernüchternd“, sagte der Chef des ARD-Teams für den Contest beim NDR, Andreas Gerling, laut Mitteilung vom Sonntag.

Mit anderen Worten: Niemand ist schuld. Das Problem ist, dass der Act gar nicht außergewöhnlich war, sondern der Norddeutsche Rundfunk so borniert, zu glauben, es reiche aus, ein paar Männer in Make-up und irgendeinen Mainstream-Gitarrenrock nach Liverpool zu schicken, denn schließlich ist Deutschland ja aufgrund seiner finanziellen Beteiligung am ESC immer schon zwangsgesetzt. Da muss man sich auch keine Mühe mehr geben.

Wir sind mit einem außergewöhnlichen Act gestartet, der überhaupt nicht das Ergebnis erzielt hat, das wir uns gewünscht haben. Das ist sehr, sehr enttäuschend und ernüchternd.“

Andreas Gerling, Chef des ARD-Teams für den Contest beim NDR

Zudem: Wann war das deutsche Fernsehen denn jemals glaubwürdig als Trendindikator bei Menschen unter 65? Wenn eines nicht zusammenpasst, dann der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Jugend. Es ist also wirklich keine Überraschung, dass „wir“ mal wieder verloren haben dank einer Mischung aus Bräsigkeit und Überheblichkeit. 

Der Vorwurf, der letzte Platz wäre auch der Tatsache geschuldet, dass Deutschland aufgrund seiner zögerlichen Haltung zur Ukraine europaweit noch unbeliebter als sonst sei, und die Platzierung auch eine Reaktion darauf, ist ein Reflex, mit dem man es sich zu leicht macht und die Schuld einfach an größere Zusammenhänge überweist. Wir haben verloren, weil unser Beitrag schlecht war. So einfach ist das.

Vielleicht wäre es mal an der Zeit, ein paar Runden auszusetzen und sich darauf zu besinnen, ob wir wirklich die Künstler und das Potenzial für den ESC besitzen. Die ARD aber will weiter an der Teilnahme festhalten. Bis zum nächsten Jahr also, wenn es wieder heißt: Allemagne Zero Points.