Brutal Berlin

Der Sommer kommt: Berlin wie es stinkt und kracht

Unsere Autorin liebt die heiße Jahreszeit in der Stadt. Doch mittlerweile ist der Sommer in Berlin zu einer Herausforderung geworden, mit der sie zunehmend Probleme hat.

Voll, laut, lustig, heiß: Der Sommer in Berlin ist die Jahreszeit mit den meisten Herausforderungen.
Voll, laut, lustig, heiß: Der Sommer in Berlin ist die Jahreszeit mit den meisten Herausforderungen.Roshanak Amini für die Berliner Zeitung am Wochenende

Wann gehst du endlich weg? Das habe ich der grauen Decke über meinem Kopf in den letzten Wochen etliche Male zugerufen. Ich merkte, wie ich jeden Tag ungeduldiger wurde; mein Seufzer wurde immer lauter, wenn ich meine Winterjacke anzog oder erst recht, wenn ich es bleiben ließ und meine Wetter-Schätzung im Laufe des Tages umso mehr bereute. In Berlin blieb es lange kalt: Ende April lagen die Temperaturen immer noch nicht im zweistelligen Bereich. Für den Winter in Berlin habe ich absolut nichts übrig und tröste mich in den kalten Monaten immer mit Gedanken an den nächsten Sommer.

Und da ist er endlich, der blaue Himmel. Der Sommer wirft seine Schatten buchstäblich voraus, mit den unendlichen Versprechen für das, was man eine gute Zeit nennt. Aber weil das hier eben Berlin ist, bedeutet gute Zeit auch immer gleich einen möglichen „Abfuck“, wenn ich das mal so brutal sagen darf. Natürlich ist der Sommer in Berlin besser als der Winter, das will niemand bestreiten. Aber hat dieser Sommer in Berlin in den vergangenen Jahren nicht irgendwie an Qualität eingebüßt? Und zwar, wenn die Hitze zur Hölle wird.

„Weißt du, wie der Sommer riecht?“, heißt es im Kinderlied in der Sendung mit der Maus. „Nach Äpfeln und Vergissmeinnicht“, so geht es weiter. Schon mal im Hochsommer in einem Wagon einer überfüllten U8 gestanden? Unvergesslich ist der Geruch auf alle Fälle. Mehr hat das Berliner Geruchserlebnis jedoch mit diesem fröhlichen Liedchen leider nicht zu tun. Berliner Luft riecht eventuell nach Pfefferminz. Aber nur wenn die Nase direkt über ein entsprechendes Likörfläschchen gehalten wird, ansonsten ist der Odeur der Stadt für unsere Geruchsnerven alles andere als angenehm. Schönreden bringt nichts: Berlin stinkt.


Finden Sie Franka: Unsere Autorin versteckt sich in dieser höllischen Straßenszene eines Berliner Sommers

Parks im Sommer: Nur für Hard- und Slackliner

Aber nein, ich will ja den Sommer genießen, und zwar im Park. Denn der Sommer in Berlin wird dort verbracht. Klar, in der Stadt hat fast niemand einen Garten, Touristen sowieso nicht, und so verlagert sich jegliche private Draußenaktivität in den öffentlichen Bereich. Mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass es drei Arten von Parkgängern gibt.

Als erstes „die Langweiler“, und zu denen zähle ich. Für sie besteht der sommerliche Parkaufenthalt darin, sich im Gras zu sonnen, ein Buch zu lesen, über Kopfhörer Podcasts oder Musik zu hören; eventuell wird mit Freunden ein Bierchen getrunken. Relativ unspektakulär.

Gruppe zwei würde ich als „die Engagierten“ bezeichnen. Damit meine ich die, die ihren Parkgang so richtig vorbereiten. Diese meist etwas größeren Gruppen, die etwa Bänke und Tische im Freien aufbauen und Kühlboxen für ihre Getränke dabeihaben. Manche bringen sogar eigene Grills, Badmintonschläger oder – und das finde ich persönlich ganz absurd – eine Slackline mit ins Grüne.

Ich würde nie auf die Idee kommen, mir sowas anzulegen. Geschweige denn loszugehen, zwei Bäume zu suchen, die Slackline aufzuspannen und dann nicht den Biss zu verlieren, um länger als drei Sekunden darauf stehen zu können. (No offense: Niemand, den ich je auf einer Slackline gesehen habe, stand länger als drei Sekunden auf dem bescheuerten Band.) Ich frage mich: Sind Slackliner einfach nur komisch, oder bin ich einfach nur langweilig und wehre mich gegen ein grandioses Hobby? 

Kommen wir zu Gruppe drei, der mit Abstand nervigsten von allen. Ich nenne sie „die Hardliner“ und meine damit alle, die in den Parks keine Kompromisse für irgendwen machen. Dazu zählen die mit den mobilen Ghettoblastern, die dir auch 30 Meter weiter noch das Trommelfell wegfliegen lassen. Oder die hundert Leute, die Bierball spielen und natürlich mit der Zeit immer besoffener werden. Wer hat eigentlich so viele Freunde? Dann gibt es hier noch die Sportfreaks, die zu zwanzigst eine Art aggressives Crossfit zu EDM betreiben, bei sengender Hitze.

Muss ich erwähnen, dass Mitglieder der Gruppe eins in dem ganzen Irrsinn durchweg den Kürzeren ziehen? Egal, wo ich sitze, ich komme in den Genuss von mindestens fünf verschiedenen Musikgenres, nur leider gleichzeitig. Da gibt es Trommeln, Techno-DJs, dieser eine Typ mit Gitarre, der unentwegt „Wonderwall“ von Oasis singt. Als Langweiler habe ich keinen bequemen Stuhl dabei, sondern liege direkt auf der Vegetation, die meist so starke Gebrauchsspuren aufweist, dass von grünem Gras längst nicht mehr die Rede sein kann. Vom Spaß der lustigen Bierballgruppe kriege ich auch nichts ab, außer vielleicht eine zu weit geworfene Bierflasche. Das Einzige, was alle Parkgänger gemeinsam haben, ist, dass jeder zwangsläufig aktiv oder passiv stoned wird, bei dem ganzen Cannabis, das durch die Luft wabert.

Die „Fomo“ genannte latente Verpassensangst

Für Seen gilt übrigens fast dasselbe wie für Parks. Nur dass du hier noch gratis Ausschlag bekommst, da das Ökosystem der meisten Berliner Gewässer längst nicht mehr intakt ist und du in den Überresten eines umgekippten Sumpfes rumschwimmst. Stichwort Blaualgen. Und auch hier: Alles ist hoffnungslos überlaufen.

Generell kann ich mir in Berlin im Sommer sicher sein: Habe ich mal eine gute Idee, was ich tun könnte, dann haben mindestens 3000 Leute dieselbe gute Idee gehabt. Was mich zu meinem nächsten Punkt bringt, auf den ich gerne verzichten würde: das ewige Anstehen. Ob im Biergarten oder in der Lieblingsbar, von Clubs ganz zu schweigen, aber auch beim Döner um die Ecke und vor allem im überteuerten Eisladen: Überall muss ich Schlange stehen!

Gott sei Dank muss ich meistens arbeiten oder studieren. So habe ich gar nicht die Zeit, für Open-air-Events anzustehen oder mich in Parks in der Sonne zu quälen. Mir bleibt nur die „Fomo“ genannte latente Verpassensangst – und diese Liste ist lang, denn in Berlin gibt es im Sommer jeden Tag was zu erleben. Beziehungsweise zu verpassen. Hoffentlich habe ich die Zeit, mich wenigstens einmal diesen Sommer auf der Slackline zu blamieren.