Olaf Scholz ist Zwilling, das dürfte zumindest überzeugten Astro-Fans zu denken geben. Es ist ein schwieriges, schwer zu greifendes Sternzeichen, in dem der Bundeskanzler geboren wurde – heute vor genau 65 Jahren, am 14. Juni 1958. Als launisch werden Zwillinge häufig beschrieben, manchmal auch als krumm und hinterlistig. Auf jeden Fall: Zwillinge haben zwei Gesichter, da ist man sich in Eso-Kreisen einig.
„Was für ein hanebüchener Unsinn!“, werden Sie jetzt sagen. Und womöglich haben Sie damit auch recht. Was Scholz’ Garderobe angeht allerdings, könnte die Zuschreibung einer gewissen Ambivalenz nicht besser passen.
Zum einen ist da Scholz, der Staatsmann, im dunkelblauen, manchmal auch im grauen Anzug, so kennt man ihn. Die relativ schmalen Einreiher mit fallendem Revers sind von keiner schlechten Qualität: Manchmal ein bisschen eng vielleicht, dafür niemals schlumpfig überschnitten, dazu blütenweiße Hemden mit Haifischkragen. Einzig Ärmel und Krawatte, oft in Dunkelrot und gelegentlich in Blau gehalten, dürften gern ein bisschen kürzer sein. Ansonsten ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild – Olaf Scholz sieht schneidig aus, aktiv und tatkräftig (schade eigentlich, dass man Selbiges nicht unbedingt von seinem Politikstil behaupten kann).

Überhaupt: Der Look des Bundeskanzlers, wie man ihn heute kennt, ist eigentlich erst mit Aussicht auf eben dieses Amt entstanden. Davor wurde Scholz’ Garderobe durch eine gemütliche Gelassenheit geprägt. Man könnte auch sagen: eine gemäßigte Nachlässigkeit. Davon zeugte längst nicht nur der wuschelige Lockenkopf aus Juso-Zeiten – auch, als sich die Haarpracht längst auf wohl natürliche Weise verabschiedet hatte, herrschte kopfabwärts zunächst Ungezwungenheit.
Anzüge hat Scholz immer getragen. Damals aber eher sackige Modelle einer minderen Qualität, die auf Ware von der Stange schließen ließ. Erst mit der Kanzlerkandidatur fing Scholz offensichtlich mit den Maßanzügen an – danach zumindest sehen sie seit 2020 aus, so ganz genau weiß man das nicht, in Modefragen hält der Kanzler sich bedeckt. (Ein Tipp am Rande: Wer den untersten Knopf am maßgeschneiderten Ärmel offenlässt, setzt ein subtiles Statement, sind die Knopflöcher beim Stangen-Anzug doch meist gar nicht echt und mithin unaufknöpfbar.)
Dass Scholz mit seiner Kanzlerkandidatur angefangen hat, sich besser zu kleiden, zeugt von einem echten Interesse am Amt, einem echten Interesse an der Macht: Wo er früher wochenends wohl selbst zu Peek & Cloppenburg in Hamburg schlappte, um sich dort mit neuem Textil einzudecken, lässt er sich heute ganz offensichtlich professionell beraten – und zwar nicht nur, wenn es um den perfekten Anzug geht.

Einen denkwürdigen Auftritt legte Scholz während des Wahlkampfs im August 2021 hin: Bei einem Besuch in der nordrhein-westfälischen Flutregion trug er Jeans und Pulli. Das wirkte tatsächlich echt und nahbar, nicht betont volksnah oder gar aufgesetzt. Weil nämlich Scholz auf das in solchen Situationen durch Politiker oft überstrapazierte Symbol der Gummistiefel verzichtete und sich stattdessen für unaufgeregte Wanderschuhe entschied; dazu eine offensichtlich altgediente Funktionsjacke.
Sowieso: Allem modischen Reformwillen zum Trotz haben bei Scholz auch einige bestbewährte Teile überlebt. Die abgenudelte Aktentasche zum Beispiel – seit sagenhaften 40 Jahren stets an seiner Seite. Ja, sicher, schön ist das abgewetzte Ledermodell nicht. Man würde es eher in der Garderobe eines fahrigen PoWi-Lehrers vermuten, nicht am Arm eines Bundeskanzlers. Dass Scholz die Tasche trotzdem täglich trägt, zeugt zumindest mal von einem sehr zeitgemäßen Sinn für Nachhaltigkeit.
Mindestens genauso viel Aufmerksamkeit wie der Uralt-Aktentasche wurde im Februar des vergangenen Jahres Scholz’ Strickpulli zuteil. Auf einem Nachtflug nach Washington hatte er die etwas zu groß geratene Maschenware getragen; äußerst öffentlichkeitswirksam, natürlich, war doch der Pullover zu diesem Zeitpunkt ohnehin zum Statementpiece der Weltpolitik avanciert.

Wolodymyr Selenskyj lässt sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine nur noch im olivgrünen Armeepullover sehen; auch Emmanuel Macron ließ sich vor einigen Monaten in einem Hoodie mit dem Logo der französischen Luftwaffe fotografieren. Scholz’ Pullover hatte indes zwar Ähnliches transportieren sollen – dass es nämlich im aktuellen politischen Klima Wichtigeres gibt als die eigene Garderobe –, stammte aber glücklicherweise nicht von der Bundeswehr.
Der grau melierte Pullover, an Ausschnitt und Ärmeln mit Paspeln versäumt, stammt vom Hamburger Designlabel Omen, was man als peinlichen Lokalpatriotismus missinterpretieren kann. Wohlwollender müsste man Scholz’ Entscheidung wohl als Akt der Unterstützung verstehen – eine Unterstützung, die verhältnismäßig kleine, unabhängige deutsche Marken bekanntlich bitter nötig haben. (Übrigens: Mit Telsche Braren und Susanne Gröhnke lässt sich auch Kanzlergattin Britta Ernst von Eimsbütteler Designerinnen einkleiden.)




