Bei der Krönung von König Charles III. am kommenden Samstag (6. Mai) kann nichts mehr schiefgehen. Denn sie ist in erfahrenen Händen: Lieutenant Colonel Craig Hallatt ist der oberste musikalische Direktor des britischen Militärs und dient bereits im 38. Jahr in der Armee.
Der Brite ist nicht nur verantwortlich dafür, dass die Musikparade sich hören und sehen lassen kann, sondern auch Royalist durch und durch. Höflichkeit, Understatement und Eloquenz zeichnen ihn aus in einem Gespräch, in dem er uns von der Nervosität vor der Krönung, den aufwendigen Proben und seinen herzerwärmenden Begegnungen mit der verstorbenen Queen erzählt.
Mr. Hallatt, Sie müssen momentan viel beschäftigt sein.
Ja, sehr sogar. Alles wird gerade hochgefahren. Wir proben nicht nur die Krönungsparade, sondern auch für das Konzert einen Tag später. Ab sofort bis zum Ende der Krönungsfeierlichkeiten gibt es nur noch stramme Arbeitstage.
Wofür sind Sie genau verantwortlich?
Ich bin der Principal Director of Music Army. Gemeinsam mit zwei Kollegen sorge ich dafür, dass das Niveau der Armee-Bands gehalten wird und sie gut genug sind, um in der Öffentlichkeit gehört zu werden. Ich statte also den 15 regulären Bands, die aus hauptberuflichen Musikern der Armee bestehen, Besuche ab. Und dann sind da noch 19 Reservebands aus Teilzeitmusikern, die wir anhören, um sicherzustellen, dass sie gut genug sind „to go out the gate“, wie wir sagen. Mit Plattformen wie YouTube ist es heutzutage sehr einfach, etwas auf Video aufzunehmen, das in echt nicht so gut klingt, wie es sollte. Das ist schon einige Male vorgekommen. Wenn Sie so wollen, ist es mein Job, sicherzustellen, dass wir keine YouTube-Momente haben.
Bei Hunderten von beteiligten Musikern vermutlich gar nicht so einfach.
Ja, 4000 Truppen sind involviert in die eigentliche Vorbereitung der Parade. Wir haben insgesamt in der Armee 650 Vollzeitmusiker und noch mal fast 1000 in Reserve. Und als wäre das nicht genug, haben wir noch die Kadetten, die jungen Leute zwischen acht und 15 Jahren. Die sind natürlich nicht angestellt bei der Armee, sie spielen nur ihre Instrumente in Uniformen. Um die müssen wir uns auch kümmern. Das gibt mir sehr viel. Aber es ist auch eine riesige Teamanstrengung. Niemand ist ein Superstar – wir sind alle Superstars. (lacht)

Ist auch militärischer Drill involviert?
Oh ja, jedes Jahr, selbst wenn keine Krönung ist, haben wir die Frühlingsübungen. Das ist eine Art Auffrischungskurs, damit unsere Leute fit für den Sommer sind. Natürlich wechseln im Laufe der Jahre die King’s Guards, die Wächter, die den Buckingham Palace beschützen. Der Drill, der dafür gebraucht wird, ist in unseren Herzen und Seelen verankert, wenn wir durch unser militärisches Training gehen. Denn es gibt doch nichts Eleganteres als eine Band mit uniformierten Männern und Frauen, die im Takt marschieren, im korrekten Drill – ein sehr scharfer Drill übrigens, aber wir mögen es scharf.
Ist Musik im Militär immer noch eine Männerdomäne?
Nein, nicht unbedingt. In unseren regulären Bands haben wir 60 Prozent Männer und 40 Prozent Frauen. Es gibt auch Dudelsackspielerinnen. Für die schottischen Bands, in denen sie spielen, bin ich aber nicht verantwortlich. Wir sind eine inklusive und diverse Organisation, die jeden beschäftigt, der gut genug ist an seinem Instrument.
Wie laufen die Proben für die Krönung ab?
Wir proben zuerst die Musik, die von einem großen Team der drei Militärdienste ausgewählt wird. Army, Navy und Airforce haben nicht oft die Möglichkeit, zusammenzuarbeiten. Anfangs proben wir getrennt, erst später werden die etwa 1000 Leute in Militärlagern im Süden von England zusammengeführt, wo das Areal groß genug ist, um so viel Leute unterzubringen. Die eigentliche Hauptprobe findet kurz vor der Krönung über Nacht in London statt. Wir starten um 1 Uhr morgens auf der Straße und proben in der Dunkelheit, bevor der Verkehr auf den Straßen losgeht.
Sie gehen quasi schon mal den Weg der Parade ab?
Ja, genau. Für die Beerdigung der Queen hatten wir zwei volle Proben in der Nacht, während London schlief. Wir proben die Bewegungen des Drills, normalerweise passiert das dann ohne Musik. Wir wollen ja nicht die ganze Stadt aufwecken.
Sind die Songs immer dieselben bei einer Coronation?
Nein, die letzte Krönung ist ja 70 Jahre her. Die Musik wird ausgewählt von mehreren Leuten der drei Services. Der König hat ein Wort, welche Musik gespielt werden soll. Da gibt es Songs, die in Stein gemeißelt sind, und die richtigen Lieder zur richtigen Zeit, wie zum Beispiel die Nationalhymne. Für die Paradenroute, also den Marsch, gibt es Musik, die wir für relevant erachten im Jahr 2023 – auch wenn da keine Songs von den Spice Girls oder Ed Sheeran vorkommen werden. Die Parade selbst basiert auf der Idee von Demut und dem Aufbau zum Jubel. Mit 34 teilnehmenden Nationen wird sie divers und inklusiv sein. Im Gegensatz zur Beerdigung der Queen, die traurig und düster war, wird es diesmal sehr festlich und feierlich zugehen.
Wo werden Sie am Krönungstag sein?
Ich schätze mich glücklich, dass ich im Garten des Buckingham Palace verweilen werde, mit den Dudelsäcken und Trommeln. Sie spielen für den König ganz am Ende der Prozession, wenn er reingeht in den Palast. Das ist vermutlich der wichtigste Part, wenn er die drei Hochlebungen auf der Terrasse entgegennimmt. Diesmal laufe ich lediglich bei den Proben die Parade mit. Am Tag der Beerdigung der Queen bin ich elf Kilometer marschiert. Das ist viel dafür, dass die Uniformen sehr schwer sind, aber darin finden wir auch unseren Stolz. Vieles hat sich weiterbewegt seit dem 19. Jahrhundert, der Großteil unserer Uniformen ist jedoch immer noch so stabil gefertigt wie damals. Im Sommer ist das nicht sehr zuträglich. Wir hoffen auf nicht ganz so heiße Temperaturen Anfang Mai.

Kann bei der Krönung etwas Überraschendes passieren, was nicht geplant ist?
Definitiv nicht. Bis ins kleinste Detail ist alles durchgeplant. Da ist kein Platz für Überraschungen, wenn die Welt zuschaut. Was wir uns nicht leisten können, sind Peinlichkeiten. Wir wollen die Nation nicht blamieren. Aber im Abhalten von Zeremonien und Festakten sind wir Briten ja eh ziemlich gut. Und wir werden sicherstellen, dass wir diesen Ruf auch noch nach der Krönung innehaben.
Was macht Sie nervöser: Dass Milliarden von Menschen aus der ganzen Welt am Fernseher zuschauen oder dass Charles gewisse Vorstellungen hat, die erfüllt werden müssen?
Beides. Wenn ich an die Bestattung der Queen zurückdenke, wo das Zeremoniell viele Jahre geplant war und 1,7 Milliarden Menschen am Fernseher zusahen, war das eine nervenaufreibende Zeit für alle Involvierten. Gleichzeitig war es auch sehr traurig, denn sie war die Person, mit der wir alle in Großbritannien seit Jahrzehnten gelebt haben, und die Streitkräfte waren besonders loyal zur Majestät. Es war für jeden von uns emotional, diese Parade durchzuführen. Ich selbst hatte Tränen in den Augen, weil es so traurig und schwermütig war. Aber mittlerweile ist ein bisschen Zeit vergangen. Wir werden die vormalige Queen nie vergessen, wir hatten so viel Liebe für sie. Aber nun gehen wir in die nächste Königsgeneration über und wollen eine großartige Show für den König, das Vereinigte Königreich und die Welt hinlegen. Charles kann sich voll auf uns verlassen.
Haben Sie direkten Kontakt zu ihm?
Nein, er ist umgeben von den Senioroffizieren des Palastes und ein sehr beschäftigter Mann. Ich traf ihn ein paar Mal, aber der Queen bin ich weitaus häufiger begegnet.
Waren es schöne Aufeinandertreffen?
Es war immer so, als würde man seine eigene Großmutter treffen. Sie war so aufmerksam. Sie sprach über normale Dinge, war bestens informiert, hatte immer ein Lächeln. Als 2010 der Papst nach Edinburgh kam, war ich in der Band der Parade als Teil des Royal Regiment of Scotland. Einen Tag zuvor waren wir schon bei der Gartenparty im Holyrood Palace dabei, die Queen sprach mit mir, als sie uns passierte. Am Tag des Papstbesuches sah sie mich vorne bei der Band stehen und sagte: „Oh, du bist’s schon wieder!“ Das Lächeln auf ihrem Gesicht werde ich nie vergessen. Sie war immer so freundlich im Rahmen dessen, was als Royal Family möglich ist. Kein Wunder, dass sie so sehr geliebt wurde.
Erfuhren Sie vom Tod der Queen durch Ihre Tätigkeit vor der Öffentlichkeit?
Nein, nur der innerste Zirkel der königlichen Familie und vielleicht einige Senioroffiziere wussten es vorher. Aber die genauen Abläufe für diesen Tag waren eh schon lange Zeit davor geplant und gut verwahrt in einem Safe. Jeder weiß heute, dass es die „Operation London Bridge“ war, die durch ihren Tod ausgelöst wurde. Die Garde-Kavallerie, zu der auch die Trompeter in ihren goldenen Mänteln gehören, war gerade in Kanada auf Tour. Die kriegten den Ruf zurück und standen Stunden später in Uniform am St. James’s Palace, um den Tod der Queen bekannt zu geben. Ohne Schlaf. Aber das interessiert in dem Moment nicht. Du stehst dann wirklich 24 Stunden zur Verfügung.
Haben Sie bei der Beerdigung der Queen gespielt?
Ich habe die Parade mit den Dudelsäcken und Trommeln angeführt. Aufgrund der Position, die ich innehabe, spiele ich nicht mehr oft selbst. Aber meine Erinnerung für die Ewigkeit ist, dass ich der letzte Offizier war, der der Majestät salutierte, bevor ihr Sarg im Auto mit den Blumen obendrauf in die St. George’s Chapel in Windsor Castle gebracht wurde. Das war der Moment, von dem ich vorhin sagte, dass ich Tränen in den Augen hatte. Diesen Moment werde ich immer bei mir tragen.

War die Queen ein Fan von Dudelsäcken?
Ja klar, sie hatte ja ihren eigenen Dudelsackpfeifer. Der Queen’s Piper hat jeden Tag für sie gespielt. Besonders in Balmoral, ihre Urlaube dort liebte sie. Sie mochte auch die Musik des Commonwealth gerne und wie jeder in dem Alter liebte sie klassische Musik, aber auch die älteren Songs ihrer Generation.
Bekommen Sie eigentlich Feedback, wenn etwas nicht so gut läuft?
Wenn es schiefläuft, kriegst du sehr schnell eine Rückmeldung – das kommt dann auch von ganz oben, wenn Sie verstehen, wen ich meine. Ich erinnere mich an die Militärparade „Trooping the Colour“ im Jahr 2017. Ich ritt damals ein Pferd, das schon ziemlich alt war und wohl genug hatte. Wir hatten Probleme direkt vor den Augen der Königin. Und unmittelbar danach bekam ich eine Rückmeldung über mein Reiten, immerhin noch auf die freundliche Art. Wie immer im Leben kommt so etwas dann rasch. Wenn etwas prima klappt, sind wir nicht immer sehr gut darin, den Leuten zu sagen, wie gut sie waren. Das ist etwas, was ich versuche als Chef mit meinen Leuten besser zu machen.
Man muss vermutlich Royalist sein, wenn man Ihren Job macht, oder?
Ja, das ist wohl so. Manche Menschen können mit den Royals nichts anfangen, das ist nun mal ihre Meinung. Darüber muss man nicht diskutieren. Ich selbst bin ein großer Bewunderer der Royal Family.
Und ist der Palast so streng, wie wir es uns vorstellen?
Noch viel strenger! Das Protokoll und die Regeln basieren auf Traditionen, auf Respekt, auf Anstand und Höflichkeit in beide Richtungen. Das ist eh die beste Art, sein Leben zu leben.
Auf was freuen Sie sich am meisten hinsichtlich der Krönung?
Auf den Jubel und die Feierlichkeit. Toughe Monate liegen hinter jedem von uns. Überall auf dem Globus stecken Menschen in der Krise, der Ukraine-Krieg beeinträchtigt alle. Momente der Freude zu haben und die Tatsache, dass da Menschenmassen zusammenkommen, die Musik genießen, lachen und happy sein werden, ist für mich das Erfreulichste daran.
Wird Charles ein guter König sein?
Er wird ein guter König sein. Er ist ein Mensch, der für sein Volk da ist. Er ist loyal zu seinen Leuten, so wie sie zu ihm. Charles ist ein wichtiges Gefüge unserer Nation. Irgendwann werden sie ihn vermutlich so lieben, wie sie die Queen geliebt haben.
Charles war jüngst in Berlin und Hamburg. Es schien so, als sei er hierzulande noch beliebter als in Großbritannien.
Es ist wundervoll, dass die Deutschen so eine Liebe für unsere Royal Family haben. Ihr Ursprung liegt ja auch im House of Hanover. Es gibt diese großartige Verbindung zwischen unseren wundervollen Nationen. Die Freundschaft ist besiegelt durch Jahrzehnte von Kooperationen und Kollaborationen. Ich selbst habe meine ersten neun Jahre in der britischen Armee in Deutschland verbracht, ich war unter anderem stationiert in Fallingbostel. Ich habe schöne Erinnerungen an ein sehr traditionelles Land, das immer noch an Dingen festhält, wie beispielsweise sonntags Geschäfte geschlossen zu halten. Mir gefällt das. Weil die Deutschen Traditionen mögen, mögen sie wohl auch unser Königshaus. Denn unsere Tradition ist die Royal Family.

Ist diese Tradition, gerade auch so viel Aufwand für Militärparaden noch zeitgemäß?
Ich bin auch involviert in die Planung der künftigen Strukturen unserer Organisation. Wird es bei 650 Vollzeitmusikern bleiben? Die Armee ist ein sehr anderer Ort im Moment als noch vor 15 Monaten. Und das gilt wohl für alle Armeen der Nato. Die Musiker sind ja nur ein Prozent der britischen Arme, ein sehr kleiner Teil. Manche sagen, dass sie nicht notwendig seien in den modernen Zeiten. Aber solchen Leuten sage ich: „Es ist Tradition, es ist Erbe, es ist so wesenhaft für unser nationales Gefüge und ein wichtiger Teil der britischen Identität.“
Es lastet öffentlicher Druck auf König Charles zu sparen. Hegen Sie die Befürchtung, dass er bei den Musikern den Rotstift ansetzt?
Eigentlich nicht, denn wir bieten genug Dienste an. Denken Sie an „Trooping the Colour“ oder „Changing of the Guard“ am Buckingham Palace – das wäre nichts ohne die Musik und ohne die marschierenden Soldaten. Wir machen so viele Paraden und auch das Orchester des großen Konzerts in Windsor am 7. Mai besteht aus Armeemusikern. Es sind eben nicht das London Symphony Orchestra oder das London Philharmonic Orchestra. Gerade in Zeiten, in denen sich alles ändert, brauchen wir Stabilität. Tradition und Erbe sind dafür wichtig. Als ich mich der Armee anschloss, hatten wir noch 69 Bands. Jedes Regiment hatte seine eigene und konnte sie einsetzen, für was auch immer sie wollten. Heute haben wir das nicht mehr. Da ist jetzt eine Generation von Armeebediensteten, die nie erlebt haben, wie es ist, eine Band in ihrem Regiment zu haben. Derzeit ist meine Arbeit sehr fokussiert auf die Krönung und das Konzert, aber unsere Bedeutung und Existenz zu rechtfertigen, ist auch Teil meines Jobs.
Sie sind auch involviert in die Show „Highland Saga“, die gerade durch Deutschland tourt. Was genau machen Sie da?
Ich bin Teil des kreativen Teams. Dazu gehört, die Musik zu schreiben, über die Showumsetzung nachzudenken. Im vergangenen Jahr hatte ich mir eine Show als Gast in Berlin angesehen. Seit Jahrzehnten bin ich in Musik und Shows involviert. Aber das war wirklich mit das Großartigste, was ich gesehen habe. Die Geschichte ist toll erzählt, und es sind die besten Musiker des Genres, die man in ganz Europa finden wird. Viele sind berühmt für ihre eigene Musik. Als ich danach gefragt wurde, ob ich zum Team gehören wollte, musste ich nicht lange überlegen.










