Mode

Backstage auf der Berlin Fashion Week: Gibt es hier noch Magermodels?

Eine aktuelle Erhebung zeigt: In Paris und Mailand sind die meisten Models noch immer dürr. Trifft das auch auf Berlin zu? Eine Reportage.

Jetzt aber schnell: Ein Model zieht sich kurz vor der Modenschau von Rebekka Ruétz um.
Jetzt aber schnell: Ein Model zieht sich kurz vor der Modenschau von Rebekka Ruétz um.Emmanuele Contini

Bevor die Show beginnt, beißt eine sehr große, sehr schlanke Frau in ihre Brezel. Die Frau ist stark geschminkt, doch das grelle Licht im Raum offenbart ein paar Fältchen. An den Stehtisch gelehnt: ein Paar Krücken. Auf der Fashion Week modeln ist in dieser Saison für sie verletzungsbedingt nicht drin. Ihre Begeisterung für das Event hält sich womöglich auch deshalb in Grenzen.

„Es ist nicht das, was es mal war“, sagt sie. Klar, die Modeltypen hätten sich verändert. Die Frauen und Männer auf dem Laufsteg hätten nicht mehr dieselben Maße wie früher. Dann ertönt der Gong, die Show kann beginnen. Die Frau beißt nochmal ab.

Viele bezweifeln, dass die Modebranche, wie durch sie oft behauptet, den Magerwahn tatsächlich überwunden hat. Das stützt auch eine aktuelle Erhebung, der zufolge gerade einmal 0,6 Prozent der 9137 Outfits auf den jüngsten internationalen Fashion Weeks von sogenannten Plus-Size-Models präsentiert wurden. Das ergab eine Zählung des amerikanischen Branchenmagazins Vogue Business, das sämtliche Modenschauen in New York, London, Mailand und Paris ausgewertet hat – die Modewoche in Berlin wurde „wegen mangelnder Relevanz“ nicht mit einbezogen.

Unter den Models waren der Erhebung nach zwar auch einige mit den Größen 36 bis 42, die in der Modebranche als „mittlere Größen“ gelten. Doch fast 96 Prozent trugen 30 bis 34. Zur Einordnung: Frauen in Deutschland passen laut Daten des Statistischen Bundesamtes durchschnittlich in 42 bis 44.

Das ganz Dürre durchzuziehen, gefällt mir einfach nicht.

Marcel Ostertag

Im Backstage-Bereich der Verti Music Hall, wo am Dienstag die Designer Marcel Ostertag, Kilian Kerner, Danny Reinke und die Designerin Rebekka Ruétz ihre Mode zeigten, bereiten Hairstylisten, Make-up-Artists und Helfer alles für die nächste große Show vor – ohne gekämmt, getuscht und gepudert worden zu sein, betritt kein Model den Laufsteg. Dementsprechend verlaufen auch die Gespräche: „Ich such grad ein Model, weißt du, wo sie die gelben Fingernägel gemacht bekommt? Wo ist Danielle?“

Rebecca Lehnig und Janina Weiss sind bereits besser gestylt als so manches Model im Backstage. Die beiden jungen Frauen arbeiten für Kilian Kerner und Rebekka Ruétz. Ihre Mission: Nägel und Wimpern aufkleben. Die Models, mit denen sie zusammenarbeiten, seien alle „superlieb“.

Der Designer Marcel Ostertag schickt nicht nur Models, sondern auch Kundinnen und Musen auf den Laufsteg.
Der Designer Marcel Ostertag schickt nicht nur Models, sondern auch Kundinnen und Musen auf den Laufsteg.Emmanuele Contini/Sebastian Reuter/Getty Images for Marcel Ostertag

Mitten im Treiben treffen wir Marcel Ostertag, einer der vier Designer. Er hat eine Körperhaltung, die darauf schließen lässt, dass er mal Ballett getanzt hat. Obwohl die meisten Menschen, die man hinter den Kulissen der Show sieht, schlank, jung und hübsch sind, betont Ostertag, wie divers seine Show sei; das jüngste Model sei 14, das älteste 72 Jahre alt. Von Größe 34 bis 44 sei alles dabei.

Ich buche nicht nach Typ, ich buche nach Seele.

Danny Reinke

Ostertag sagt, er engagiere nicht nur Profimodels, sondern auch „Kundinnen und Musen“. „Das ganz Dürre dauerhaft auf dem Laufsteg durchzuziehen, gefällt mir einfach nicht“, so der Designer. Letztlich müsse das aber jedes Label für sich selbst entscheiden. „Ich bin ja nicht Kreativ-Direktor der anderen.“

Kurz darauf ertönt Musik, Smartphones werden gezückt und auf Bauchhöhe gehalten, ein schlankes Model betritt in einem rosafarbenen Abendkleid Ostertags Laufsteg. Es folgen Models, die ebenfalls eine schmale Figur, aber einen offenbar gesunden Body-Mass-Index haben. Sie wirken wie Skulpturen. Einige von ihnen haben Falten, eine Frau in einem ärmellosen Kleid und mit kurzen grauen Haaren hat gar Dellen an den Armen.

Kilian Kerner, Rebekka Ruétz und Danny Reinke (von links) präsentierten ihre neuen Kollektionen am Dienstag.
Kilian Kerner, Rebekka Ruétz und Danny Reinke (von links) präsentierten ihre neuen Kollektionen am Dienstag.Emmanuele Contini

Das erste schwarze Model betritt etwa fünf Minuten nach Beginn der Show den Laufsteg. Ein älteres Model in einem transparenten schwarzen Kleid bekommt viel Beifall. Sie hat einen straffen, durchtrainierten Po. Eine junge Frau hat eine etwas größere Oberweite. Ob sie schon als curvy, also kurvig, gilt?

Für mich ist Diversität mehr als: Das Model ist curvy oder nicht curvy.

Kilian Kerner

Alt, jung, dick, dünn, straff, dellig: Alles in allem scheinen die Models bei der Show von Marcel Ostertag tatsächlich einen optischen Querschnitt durch die Gesellschaft abzubilden. Doch ist das schön? Und vor allem: Fühlen sich die Kundinnen dadurch zum Kauf animiert?

Später treffen wir Danny Reinke. Er ist 31 Jahre jung und trotzdem schon ein alter Hase. Es ist die 14. Saison für ihn und sein Team auf der Fashion Week. „Ich buche nicht nach Typ, ich buche nach Seele“, sagt Reinke. Wenn die „perfekte Seele“ für ein Kleidungsstück gefunden sei, dann habe er alles richtig gemacht. Für ein fließendes Abendkleid müsse die „Seele“ auch elegant und fließend sein.

Für den Designer Danny Reinke muss nicht nur das Äußere, sondern auch das Innenleben der Models stimmen.
Für den Designer Danny Reinke muss nicht nur das Äußere, sondern auch das Innenleben der Models stimmen.Emmanuele Contini/Sebastian Reuter/Getty Images for Danny Reinke

Diese Seele sehe man in den Augen des Models, sie vermittele sich selbst über Fotografien. Das superschlanke Schönheitsideal aus den 90er-Jahren existiere nicht mehr, meint Reinke. Die Modebranche sei diverser geworden. Der Berliner sagt aber auch: „Der Fisch muss dem Angler schmecken.“ Soll heißen: „Der Endkonsument muss die Kleidung kaufen.“

Dass viele Firmen auf jeden Trend aufspringen, finde ich verlogen.

Kilian Kerner

Auf einem Tisch im Backstage-Bereich stehen Äpfel, Muffins in Tüten und Wasser. Helfer hieven einen riesigen Berg Tüll durch den Backstage-Bereich. Nachdem das Kleid auf der Stange drapiert worden ist, tummeln sich neue Helfer um es herum. Sie befreien den Tüll von Fusseln. Jemand ruft: „Vorsicht, Ladies!“ Die Show von Danny Reinke steht an.

Wieder wird getuscht, gepudert und gekämmt, was das Zeug hält. Eine Helferin mit einer Behinderung läuft durch den Korridor; auf den Laufstegen an diesem Tag werden indes keine Models zu sehen sein, die mit einer Behinderung leben.

Auf dem Laufsteg von Kilian Kerner gab es durchaus sehr unterschiedliche Frauen zu sehen.
Auf dem Laufsteg von Kilian Kerner gab es durchaus sehr unterschiedliche Frauen zu sehen.Jens Kalaene/dpa

Die Augen eines schwarzen Models mit Kurzhaarschnitt tränen von der Wimperntusche. Sie trägt die Jeansshorts vorne offen, sodass sie hinten deutlich von ihrem Körper abstehen und man ihren nackten Unterrücken sehen kann; er sieht durchtrainiert aus. „Everybody is nice!“, schwärmt die 30-Jährige, die sich als Divanita Nuwame vorstellt. Die Schauen seien tatsächlich divers besetzt, sagt sie, das sei toll. Auch die 19-jährige Ayele Atayi, ein etwas fülligeres Model, meint, dass auf Reinkes Show Diversität „ganz groß“ geschrieben werde.

Wir müssen dahin kommen, dass wir das Wort ‚Diversität‘ wieder abschaffen.

Kilian Kerner

Während der Laufsteg-Inszenierung sticht ein weiteres Model ins Auge. Sie ist ein Best Ager, also eine ältere Schönheit, in einer Art Militärmantel mit vielen bunten Applikationen. Sie läuft noch ein bisschen langsamer als die anderen Models, die sich ohnehin in Slow Motion zu Geigenmusik fortbewegen. Einige der Models haben extrem hohe Wangenknochen und wohlgeformte Nasen, auch sie wirken wie Skulpturen. Dann kommt der Traum aus Tüll, getragen von einer Normalgewichtigen. War da etwa noch ein Fussel?

„Diversität gab es schon immer“, sagt Kilian Kerner, ein weiterer der vier Designer im Bunde. „Natürlich nicht so in den Körperformen, aber für mich ist Diversität auch mehr als: Das Model ist curvy oder nicht curvy.“ Kerner habe für seine Show auf der Fashion Show zwei Best Ager gebucht. Es sei jedoch nicht immer einfach, passende Models zu finden, die anders aussehen. „Es muss auch echt wirken.“

Die Hose scheint ein bisschen zu groß zu sein, ans Make-up wird noch ein letztes Mal Hand angelegt.
Die Hose scheint ein bisschen zu groß zu sein, ans Make-up wird noch ein letztes Mal Hand angelegt.Emmanuele Contini

Der Designer finde es „ganz schlimm, dass viele Firmen auf jeden Trend aufspringen, weil sie denken: ‚Oh, dann redet man gut über mich.‘ Das finde ich total verlogen.“ Jede Firma mache mittlerweile zum Beispiel eine Pride-Kollektion, also eine, die Lebensrealitäten von Menschen verschiedener sexueller Orientierungen abbilden soll.

Kerner weiß natürlich, dass aktuell der Pride-Monat in Deutschland und Berlin begangen werde, aber Homosexualität und Transsexualität gebe es doch jeden Tag. „Man sollte das als was ganz Normales ansehen“, sagt er. Und weiter: „Wir müssen irgendwann dahin kommen, dass wir das Wort ‚Diversität‘ wieder abschaffen.“

Kilian Kerner, Marcel Ostertag und Dany Reinke setzen auf Vielfalt in ihren Shows und widersprechen damit, zumindest ein bisschen, der eingangs beschriebenen Erhebung. Letztlich bestimmen aber weder die „Seele“ noch das Gewicht eines Models, ob die Kleidung, die es vorführt, tatsächlich gekauft wird. Und auf den Laufsteg kommt man – ganz gleich, ob jung oder alt – nur ohne Krücken.