Kürzlich präsentierte Joshua Curry in der Berliner Zeitung seine „11 Gründe, warum Donald Trump die US-Wahl verliert“. Viele seiner Argumente gehen weit an der Realität vorbei. Die folgende Liste dient als Replik und soll erklären, warum Trumps Chancen, ins Weiße Haus zurückzukehren, sehr gut sind.
1. Grund: X ist nicht tot
Curry nennt als erste zwei Gründe, dass Twitter beziehungsweise X tot sei und prominente Trump-Apologeten wie Tucker Carlson ihre Jobs bei den großen rechten Medienhäusern verloren hätten. Aber X ist die am häufigsten downgeloadete App der USA, auch weil laut dem Branchenblatt TechCrunch ein gewaltiges Interesse an Carlsons Interview mit Wladimir Putin bestand. Und selbst wenn Twitter/X und die trumpfreundlichen Medien tatsächlich neutralisiert worden wären, stimmt der Umkehrschluss nicht, dass die Amerikaner ihre Nachrichten jetzt wieder von Mainstream-Sendern beziehen. Die Amerikaner trauen nämlich den Mainstream-Medien nicht. Das Misstrauen liegt auf Rekordniveau.
2. Grund: Biden wird nicht wirklich geliebt
Curry schreibt, Biden werde nicht so sehr gehasst wie Hillary Clinton und dass „die Menschen erkennen, dass Biden ein anständiger Mann ist“. Welche Gefühle Biden in den Amerikanern genau weckt, ist belanglos. Er ist unglaublich unpopulär. Seine Beliebtheitswerte unterbieten sogar das niedrigste Niveau, das je für Trump verzeichnet wurde.
3. Grund: Die Wahlbeteiligung könnte gering ausfallen
Das erübrigt auch Currys Behauptung, dass Trump eine hohe Wahlbeteiligung benötige, um zu gewinnen. Die braucht er nicht. Es müssen nur genug Biden-Wähler daheim bleiben, um Trump ins Amt zu verhelfen. Wenn zwei historisch unbeliebte Figuren gegeneinander antreten, gewinnt derjenige, dessen potenzielle Unterstützer weniger demotiviert sind.
4. Grund: Muslime mögen Biden nicht
Bidens nahezu bedingungslose Unterstützung für Israels Feldzug gegen die Hamas könnte ihm in dem Sinne zum Verhängnis werden. Zum Beispiel im enorm wichtigen Swing State Michigan mit einem der größten Bevölkerungsanteile von Muslimen. Die Stadt Dearborn etwa ist mehrheitlich muslimisch. Und das ist eine Wählergruppe, die 2020 mit großer Mehrheit Biden wählte. Jetzt ist die Unterstützung Bidens unter Muslimen eingebrochen. Diese müssen nicht für Trump stimmen, sondern 2024 einfach zu Hause bleiben.
5. Grund: Die wirtschaftliche Situation ist gar nicht so gut
Die Top-Themen, die laut aktuellen Umfragen die Sorgen von Amerikanern bestimmen, sind der Zustand der Wirtschaft und die Masseneinwanderung, die derzeit ungebändigt über die mexikanische Grenze verläuft. Der Vorsprung Trumps auf Biden bei der Frage, wem ein besseres Management der Wirtschaft zugetraut wird, liegt bei mehr als 20 Prozent. Der Vorsprung beim Thema Einwanderung sogar bei mehr als 30 Prozent.
6. Grund: Die Umfragen zeigen eine deutliche Tendenz
Curry jedoch schreibt: „Vertraut keinen Umfragen, die sagen, dass Trump in der Wählergunst vorne liegt.“ Er begründet das damit, dass nur wenige junge Menschen bei Befragungen überhaupt den Hörer abheben würden. 2016 hatten sich die Demoskopen gewaltig vertan – aber weil sie Trumps Wählerpotenzial stark unterschätzt hatten. Es war vielerorts tabu, offen für Trump zu sein. Das hat sich zwar nicht geändert, aber neue Methoden erlaubten es den Umfrageinstituten, bei den letzten bedeutenderen Wahlen wieder sehr viel richtiger zu liegen. Und laut Umfrage-Durchschnitt liegt Trump vor Biden. Das ist noch viel schlimmer für Biden, als es sich anhört. In den USA zählt ja nicht die absolute Stimmenzahl, sondern es siegt, wer die meisten Wahlmänner der einzelnen Bundesstaaten gewinnt. 2016 war das Trump, obwohl insgesamt mehr Wähler für Clinton gestimmt hatten. Wenn jetzt sogar bundesweit mehr Wähler für Trump sind als für Biden, könnte das für den amtierenden Präsidenten ein Fiasko bedeuten.
7. Grund: Das Problem mit den Swing States
Sie haben von den Swing States gehört? Das sind die Bundesstaaten, in denen die Umfragewerte stets knapp sind und mal der demokratische Kandidat gewinnt, mal der republikanische, und die oft darüber entscheiden, wer ins Weiße Haus einzieht. Trump dominiert derzeit die Umfragen in vielen dieser Staaten, etwa Georgia, Michigan oder Wisconsin.
8. Grund: Kennedy wird Biden Stimmen wegnehmen
Aber die Wahl findet ja nicht nur zwischen Biden und Trump statt. Es gibt noch mehrere unabhängige Kandidaten, allen voran Robert F. Kennedy Jr. Dieser könnte laut Umfragen einer der erfolgreichsten Drittpartei-Kandidaten der letzten Jahrzehnte werden – und als ehemaliger Demokrat eher Biden Stimmen kosten.
9. Grund: Rechtsruck bei Asian-Americans
Curry schließt seine Liste mit einem sonderbaren Vermerk zum Tod George Floyds. Dieser hätte laut Curry vor allem junge Wähler, die meistens progressiv veranlagt sind, motiviert, für Biden zu stimmen. Vielen Amerikanern wird bei der Erinnerung an George Floyd eher mulmig, aber vor allem, weil sein Tod zu unkontrollierten Ausschreitungen geführt hatte, bei denen Dutzende Menschen starben und die zur Folge hatten, dass in vielen Großstädten seither die Kriminalität außer Kontrolle geraten ist. Das kommt bei vielen Einwanderergruppen – wie den Asian-Americans, einer sehr ambitionierten Gruppe, die oft ihre eigenen kleinen Geschäfte besitzt – außerordentlich schlecht an. Ladendiebstahl wird von progressiven Staatsanwälten kaum geahndet. Einflussreiche Demoskopen sagen deswegen einen Rechtsruck in diesen Gruppen voraus.
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10. Grund: Trump ist wieder der Außenseiter
Auch hatte Floyds Tod zufolge, dass allerorts woke Diversitätsseminare stattfanden, die vor allem weißen Arbeitnehmern und Wählern vorwarfen, von Natur aus rassistisch und privilegiert zu sein. Biden teilt diese Ansicht. Das kommt bei diesen Menschen aber gar nicht gut an. Wer will sich schon vorwerfen lassen, abgrundtief böse zu sein? Platon spricht von der politischen Emotion namens Thymos und meint damit eine Art Belebtheit beziehungsweise Temperament. Menschen mit viel Thymos lassen sich nicht gern herumschubsen und erheben sich zum Trotz, um ihre Würde zu verteidigen. Die Menschen lassen sich nicht gern vorschreiben, wie sie zu denken und zu fühlen haben, und stimmen dann oft aus Trotz gegen das Establishment. 2020 war Trump selbst das Establishment. Jetzt ist er wieder der Außenseiter.
11. Grund: Joe Biden erinnert sich an vieles nicht
Joe Biden ist demenzkrank. Seien wir bitte ehrlich. Das lässt sich mittlerweile nur noch schlecht verheimlichen, und selbst die ihm freundlich gestimmten Massenmedien verbreiteten diesen Donnerstag die Meldung, wonach ihn ein Sonderermittlungsbericht einen „wohlmeinenden älteren Mann mit schlechter Erinnerung“ nannte. Er hätte bei der Vernehmung zu seiner privaten Bewahrung von Geheimdokumenten weder gewusst, wann genau er Vizepräsident der USA war, noch wann sein Sohn Beau gestorben ist. Vielleicht wird Biden deswegen als Kandidat für die bevorstehende Präsidentschaftswahl ausgetauscht werden, eventuell durch den kalifornischen Gouverneur Gavin Newsom. Das würde das Feld tatsächlich noch einmal durcheinanderwürfeln. Aber bis dahin sind Trumps Chancen außerordentlich gut.
Gregor Baszak ist Journalist und Dozent für Geisteswissenschaften an der University of Illinois at Chicago und am Illinois Institute of Technology. Er publizierte unter anderem in The American Conservative, Cicero, Makroskop und Unherd.
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