„Follow the science“ – so das Motto von Klaus Ferdinand Gärditz in seiner Abhandlung „Hoflieferanten – Wie sich Politik der Wissenschaft bedient und selbst daran zerbricht“. Der Autor ist Professor für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaft und der Künste.
In seiner Studie folgt er der These, dass politische Entscheidungsverfahren heute eng mit Prozessen wissenschaftlicher Wissensgenerierung verflochten sind. Gerade die Naturwissenschaften spielten in der Politik eine zentrale Rolle.
Besonders deutlich wurde dies etwa in der Corona-Pandemie und den regelmäßigen Pressekonferenzen von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn und Lothar Wieler vom Robert-Koch-Institut, in denen die Politik ihre Weichenstellungen weitestgehend auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse verengte.
Politisierung der Wissenschaft?
Die Folge dieser Handlungsmaxime: Mit der Rationalisierung der Politik gehe auch eine Politisierung der Wissenschaft einher. Wissenschaft werde instrumentalisiert und ließe sich bisweilen auch instrumentalisieren.
In seiner Analyse erläutert Gärditz die Konsequenzen dieser Entwicklung, insbesondere für den demokratischen Prozess. Schlussendlich würden darin nun wieder Eulen nach Athen getragen.

Andererseits müssen wir erkennen, dass das Folgen nach der Wissenschaft desaströse Folgen hat. Gemeint ist, dass sich, wie Gärditz betont, Politik immer mehr als Vollstreckerin einer wissenschaftlichen Wahrheit verstehe, ob in der Pandemie, im Klimawandel oder anderen Bereichen.
So etwas berge Gefahren für die Demokratie. Denn es verleite manchen dazu, Kritiker politischer Maßnahmen als „wissenschaftsfeindlich“ oder Vertreter „alternativer Fakten“ darzustellen, auch wenn die Maßnahmen oft gar nichts mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun haben.
Nur Misstrauen oder schon Verschwörung?
Gewiss gab es in der Corona-Pandemie auch viele Leute, die die Existenz eines pandemischen Virus und eine weltweite Bedrohung generell leugneten. Das widersprach dem Konsens jener Experten, die sich weltweit mit Viren und ihrer Ausbreitung befassen.
Man musste mit Argumenten gegenhalten, soweit dies überhaupt ging. Aber nicht jeder Gegner von Maßnahmen oder Impfkritiker war „wissenschaftsfeindlich“ oder gar ein „Schwurbler“.
Gärditz sorgt sich, wenn er betont: „Die rechtliche Verarbeitung wissenschaftlichen Wissens ist institutionell voraussetzungsvoll sowie mit typischen Kommunikationsschwierigkeiten und Fehlerquellen verbunden, die die Gefahr einer Politisierung der Wissenschaft erhöhen können. (…) Ein demokratischer Rechtsstaat geht mit diesen Risiken nur besser um, indem er sie politischer und rechtlicher Kontrolle unterwirft. Nicht immer ist das erfolgreich.“
Dagegen bemühen sich Gesetzgeber, Verwaltung und Justiz um Verallgemeinerbarkeit, Plausibilität und Akzeptabilität ihrer Entscheidungen. Sie orientieren sich an den Gesetzestexten und an den Urteilen, Praktiken und Diskussionen innerhalb des Rechtsstabes und den Beiträgen der Rechtswissenschaft, aber auch an Kritik oder Zustimmung der Öffentlichkeit.

Ziel der Objektivität unverzichtbar
Diese Qualität staatlicher Entscheidungen ist es, die wir „Objektivität“ nennen – obwohl wir wissen, dass in all diese Entscheidungen stets auch ein gehöriges Maß an subjektiven (Vor-)Urteilen der jeweiligen Entscheider eingeht.
Auf dieses Ziel „Objektivität“ kann nicht verzichtet werden; die vorrangige Beachtung subjektiver Einschätzungen der Betroffenen wäre unvereinbar mit der Funktion des Rechts, Regeln für alle bereitzuhalten und durchzusetzen.
Die Gefahr, dass unter dem Titel der Objektivität trotz aller Skepsis immer wieder ideologische Positionen verbreitet werden, ist zwar nicht zu leugnen, aber nicht offengelegte Ideologie kann erkannt und kritisiert werden, und auch dies geschieht.
Die Rechtsordnung beruht nicht auf einheitlichen Mehrheiten und folgt keinem einheitlichen Plan, sie ist historisch gewachsen und verändert sich über die Generationen hinweg. Grundrechtsschutz ist nicht nur Minderheitenschutz, sondern schützt auch Mehrheiten gegen staatliche (und private!) Übergriffe.
Als Warnung, die Leistungsfähigkeit des Rechts im Allgemeinen sowie gerichtlicher Verfahren im Besonderen nicht zu überschätzen, bleiben die Kernaussagen des Buches gleichermaßen richtig wie letztlich trivial.
Die Rechtsidee der „sovereignty of parliament“ gerät in einer zunehmend verflochtenen Rechtsordnung, die auf Komplexität mit institutioneller Ausdifferenzierung reagiert und dabei unvermeidbar schon aufgrund des Koordinationsbedarfs verschiedener Rechtsschichten, den parlamentarische Gesetzgebung nur begrenzt abbauen kann, auch Macht auf die Gerichte verlagern muss, zwangsläufig immer mehr unter Druck.
Mit der Wissenschaft einen Rückweg zur Lebenswelt offenhalten
Dieses freie Spiel, die Dialektik von Anschauung, Erkenntnis und Pragmatismus, bestimmt in ihrer Ausdifferenzierung das Machtgefüge demokratischer Regeln. Gleich einer Niederlage wäre es, Wissenschaft fingiere Objektivität, hätte damit ihre erklärende Kraft verloren.
Sie verschweige, dass Objektivität in Wahrheit Ergebnis ihrer eigenen methodischen Konstruktion ist, die sie für das „Wahre“ ausgäbe. Damit stellt sich die Aufgabe für Wissenschaft insgesamt, stets den Rückweg zur Lebenswelt offenzuhalten.








