Labor oder Natur?

Corona-Ursprung: US-Kongress will Christian Drostens Chatverläufe zur Labor-Theorie

Ein Untersuchungsausschuss in den USA will Mitte Juli eine Anhörung zum Ursprung von Corona abhalten. Was hat der Virologe Christian Drosten damit zu tun?

3. Februar 2021: Sicherheitspersonal steht vor dem Wuhan Institute of Virology in Wuhan, während Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation Untersuchungen durchführen.
3. Februar 2021: Sicherheitspersonal steht vor dem Wuhan Institute of Virology in Wuhan, während Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation Untersuchungen durchführen.Hector Retamal/AFP

Als Covid-19 sich Anfang 2020 immer schneller auf der ganzen Welt verbreitete, veröffentlichte die Wissenschaftliche Zeitschrift Nature Medicine einen Fachaufsatz, der die Öffentlichkeit über den Ursprung des Virus aufklären sollte. „Der proximale Ursprung von Sars-CoV-2“, lautet der Titel des Beitrags, der am 17. März 2020 erschien. Die Herkunft des Virus bleibt eins der größten Geheimnisse der Pandemie, das bis heute noch nicht enthüllt werden konnte. Stammt Corona aus der Natur, oder vielleicht aus dem Labor in Wuhan?

In dem Forschungsartikel schlossen fünf international renommierte Wissenschaftler einen möglichen Laborausbruch des Virus aus. „Unsere Analysen zeigen deutlich, dass es sich bei Sars-CoV-2 nicht um ein Laborkonstrukt oder ein gezielt manipuliertes Konstrukt handelt“, heißt es im Text. Dabei präsentierten die Autoren keine Belege, um diese Behauptung zu beweisen. „Es ist derzeit unmöglich, die anderen hier beschriebenen Theorien zu seiner Entstehung zu beweisen oder zu widerlegen“, schrieben die Wissenschaftler in der Schlussfolgerung. Trotzdem fügten sie hinzu: „Wir glauben nicht, dass irgendein laborbasiertes Szenario plausibel ist.“

Corona-Text war erfolgreichste Fachpublikation der Geschichte

In kurzer Zeit erzielte die Fachpublikation einen beeindruckenden Erfolg: Der Beitrag wurde bislang mehr als 5,8 Millionen Mal konsultiert und von über 2000 Medien weltweit zitiert. Einige Zeit später stellte sich jedoch heraus, dass der amerikanische Immunologe Anthony Fauci, früherer Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektionskrankheiten (NIAID), die Wissenschaftler dazu angeregt hat, die Publikation zu verfassen. In Washington will jetzt der überparteiliche Untersuchungsausschuss für die Coronavirus-Pandemie, mehr darüber erfahren.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses des Kongresses, der Republikaner Brad Wenstrup aus Ohio, hat deswegen eine Anhörung mit dem Titel „Untersuchung des unmittelbaren Ursprungs einer Vertuschung“ für den 11. Juli anberaumt. Ziel sei es, die potenziellen Interessenkonflikte und die Unterdrückung des wissenschaftlichen Diskurses durch den National Institutes of Health (NIH) in Bezug auf die Erstellung, Veröffentlichung und kritische Rezeption von „Der proximale Ursprung von Sars-CoV-2“ zu untersuchen. Der Ausschuss führte dazu vertrauliche Interviews mit Beteiligten und kündigte seine erste Vorladung im Rahmen der privaten Kommunikationen zwischen den Co-Autoren an.

Dr. Anthony Fauci bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus in Washington.
Dr. Anthony Fauci bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus in Washington.Cover-Images/Imago

Diese Anhörung soll bewerten, ob führende Gesundheitsbeamte in den Vereinigten Staaten versucht haben, die Theorie eines Laborausbruchs herunterzuspielen sowie wissenschaftliche Debatten zu verhindern. „Mit unzureichenden Beweisen in der Hand und von Dr. Fauci gedrängt, wurde ‚Der proximale Ursprung‘ scheinbar zu einer der schwerwiegendsten Vertuschungen der Covid-19-Pandemie“, sagt Brad Wenstrup. Eine fundierte wissenschaftliche Diskussion sei aufgegeben worden, um eine bevorzugte und koordinierte Erzählung zu verfolgen. Licht solle jetzt ins Dunkel dieses Kapitels der Pandemie gebracht werden.

Der Ursprung von Corona wurde politisch instrumentalisiert

In den Vereinigten Staaten bleibt die Ermittlung der Herkunft von Sars-CoV-2 ein wichtiges Thema. Einige Monate nach dem Ausbruch der Pandemie, beschuldigte der frühere Präsident der USA, Donald Trump, China und bezeichnete Covid-19 als „chinesisches Virus“. Die Öffentlichkeit polarisierte sich und die Debatte um den Ursprung des Erregers fand demnach auf politischer und nicht auf wissenschaftlicher Ebene statt. Ziel der Kommunikation Trumps war es, einen Feind zu erschaffen, den nur er besiegen konnte. Dies reichte jedoch nicht, um aus den Präsidentschaftswahlen 2020 als Sieger hervorzugehen.

Doch bei den nächsten Wahlen im Jahr 2024 könnte die Ermittlung der Herkunft des Virus eine wichtige Rolle spielen; insbesondere für die Republikaner, die seit längerer Zeit an der Angelegenheit interessiert sind. Der Republikanische Senator Rand Paul aus Kentucky hat zum Beispiel im US-Kongress mehrere Anhörungen zum Thema Gain-of-Function-Experimente (GoF) abgehalten. Diese beziehen sich auf genetische Veränderungen in Organismen, die absichtlich durchgeführt werden, um bestimmte Eigenschaften oder Funktionen zu verstärken oder zu erzeugen. Anthony Fauci hatte immer geleugnet, solche Experimente in Wuhan finanziert zu haben, was Rand Paul für eine Falschaussage hält.

Auch die Rolle, die Fauci bei der Entstehung des Textes gespielt hat, soll jetzt geklärt werden. Am 11. Juli sind deswegen die Autoren der umstrittenen Publikation vorgeladen. Es handelt sich um: Dr. Kristian Andersen, Professor an der The Scripps Research in La Jolla (Kalifornien), Dr. Andrew Rambaut, Professor an der University of Edinburgh, Dr. Edward Holmes, Professor an der University of Sydney, Dr. W. Ian Lipkin, John-Snow-Professor für Epidemiologie an der Mailman School of Public Health der Columbia University, und Dr. Robert Garry, Professor an der Tulane University School of Medicine.

Was besprachen die Wissenschaftler im Videocall mit Fauci?

Laut vertraulicher E-Mails, die vom US-Kongress veröffentlicht wurden, fand am 1. Februar 2020 eine Videokonferenz statt, an der vier dieser Wissenschaftler, zusammen mit Anthony Fauci und Francis Collins, dem damaligen Direktor des National Institutes of Health (NIH), teilgenommen haben. Drei Tage später verfassten sie „Der proximale Ursprung von Sars-CoV-2“ und sendeten einen Entwurf an Fauci und Collins. Der Forschungsartikel wurde vor der Publikation auf Nature Medicine für die endgültige Freigabe nochmal an Fauci geschickt. Am 17. April 2020 nutzte Fauci die Fachpublikation in einer Pressekonferenz im Weißen Haus, um den natürlichen Ursprung zu behaupten. Dabei vergaß der Virologe zu erwähnen, dass er selbst die Publikation dieser Studie veranlasst hatte.

Der Öffentlichkeit wurde außerdem verschwiegen, dass die Autoren des Textes sich vor der Videokonferenz ganz und gar nicht sicher über den Ursprung des Virus waren. In einigen E-Mails, die unter anderem auch an Fauci und Collins gingen, äußerten mehrere Wissenschaftler Bedenken, dass Sars-CoV-2 möglicherweise „künstlich hergestellt“ sein könnte. Am 31. Januar 2020 schrieb Kristian Andersen an Fauci: „Die ungewöhnlichen Merkmale des Virus machen einen wirklich kleinen Teil des Genoms aus (<0,1 Prozent), daher muss man sich alle Sequenzen wirklich genau ansehen, um zu erkennen, dass einige der Merkmale (möglicherweise) manipuliert aussehen.“

Robert Garry konnte die genetische Sequenz des Virus nicht erklären. „Ich kann nicht verstehen, wie das in der Natur geschehen kann“, schrieb der Wissenschaftler am 2. Februar 2020. Seit mehreren Jahren erhalten Garry und Andersen große Zuschüsse vom NIH sowie ein anderer Autor des Beitrags, W. Ian Lipkin von der Columbia University. Bedenken hatten die Experten in Bezug auf die sogenannte Furin-Spaltstelle, eine Eigenschaft von Sars-CoV-2, die kein anderes Sars-Virus besitzt. Edward Holmes schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus aus einem Labor entwichen war auf 60:40.

In den brisanten E-Mails kommt auch der Virologe Christian Drosten vor, seit 2017 Institutsdirektor an der Charité in Berlin. „Kann mir jemand bei einer Frage helfen?“, schrieb Drosten am 9. Februar 2020 in die Runde. „Haben wir uns nicht versammelt, um eine bestimmte Theorie infrage zu stellen und sie, wenn wir könnten, fallen zu lassen?“ Der Virologe betonte zudem, dass er mit Covid-Patienten überfordert war, und länger für die Bearbeitung des Textes benötigte. Jedoch zählte Drosten am Ende nicht zu den Autoren der Fachpublikation.

Prof. Christian Drosten, Chefvirologe, spricht auf der Veranstaltung „75 Jahre Marshallplan“ am Charité Campus Benjamin Franklin.
Prof. Christian Drosten, Chefvirologe, spricht auf der Veranstaltung „75 Jahre Marshallplan“ am Charité Campus Benjamin Franklin.Sabine Gudath/Imago

Welche Rolle spielte Christian Drosten?

Knapp einen Monat später unterzeichnete Drosten mit 26 weiteren Wissenschaftlern eine Stellungnahme in der Fachzeitschrift The Lancet „zur Unterstützung“ der Wissenschaft. Dort verurteilten die Autoren „Verschwörungstheorien, die auf einen nicht natürlichen Ursprung von Covid-19 hinweisen“. Einer der Wissenschaftler, der den Brief unterschrieben hat, ist der britische Forscher Peter Daszak, Präsident der EcoHealth Alliance. Es handelt sich um eine amerikanische Non-Profit-Organisation, die unter Finanzierung der US-Gesundheitsinstitutionen im Wuhan Institute of Virology umstrittene Experimente mit Fledermaus-Viren durchgeführt hat.

Ein Großteil der Kommunikationen der Beteiligten sei auf der Chatplattform Slack erfolgt, die hauptsächlich für interne Kommunikationen von Unternehmen genutzt wird. Bis zum 30. Juni 2023 hatte Kristian Andersen Zeit, die Nachrichten aus diesen Chats US-Ermittlern zu übergeben. Der amerikanische Ausschuss für Aufsicht und Rechenschaft bat Andersen um vertrauliche Kommunikationen mit mehreren Wissenschaftlern, die während der ersten Phasen der Pandemie erfolgte. Auf der Liste findet sich auch der Name Christian Drosten.