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Die Kämpfe zwischen der Hisbollah und Israel waren in den vergangenen Wochen immer weiter eskaliert. Israel hatte seine Bodenoffensive im Südlibanon ausgeweitet und die Hisbollah ihre Angriffe auf Israel verstärkt. Seit diesem Mittwoch schweigen die Waffen nach fast 14 Monaten schweren Auseinandersetzungen, nachdem ein von den USA und Frankreich vermittelter Waffenstillstand in Kraft getreten ist.
Das Waffenstillstandsabkommen sieht eine 60-tägige Übergangsfrist vor, in der sich einerseits die Hisbollah rund 30 Kilometer von der, von den Vereinten Nationen (UN) im Jahr 2000 festgelegten, Grenze der „Blauen Linie“ bis hinter den Litani-Fluss zurückzieht und andererseits die israelische Armee aus dem Südlibanon abzieht.
Danach soll die bis heute gescheiterte UN-Resolution 1701 von 2006 vollständig umgesetzt werden. Ihre Einhaltung soll diesmal von einem internationalen Überwachungsausschuss sichergestellt werden, weshalb in Diplomatenkreisen von „1701 plus“ gesprochen wird.
Die Verhandlungen für eine Waffenruhe hatten mit dem Wahlsieg Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten an Fahrt gewonnen. Seine bevorstehende zweite Amtszeit hatte die Hisbollah dazu bewegt, ein Abkommen unter dem scheidenden US-Präsidenten Joe Biden zu bevorzugen. Deutlich geschwächt durch die massiven Angriffe Israels auf ihre Führungsriege, ihre Kommunikationsmittel und ihre Waffensysteme, verknüpfte ihr neuer Generalsekretär Naim Kassem einen Waffenstillstand nicht mehr direkt mit einem Kriegsende im Gazastreifen, eine Position, die noch von seinem Vorgänger Hassan Nasrallah ausdrücklich vertreten worden war.

Trump verspricht baldiges Kriegsende
Für den neuen Generalsekretär Naim Kassem spielten Kalkulationen, dass die derzeitigen Bedingungen für ein Abkommen vorteilhafter für die Hisbollah wären, sicherlich eine wichtige Rolle. Während seiner ersten Präsidentschaft (2017 bis 2021) hatte Donald Trump nicht nur den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland legitimiert und die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt, sondern die USA stieg auch einseitig aus dem Atomwaffenabkommen mit Iran – dem Schutzpatron der Hisbollah – aus und erarbeitete das israelisch-arabische Normalisierungsabkommen „Abraham Accords“.
Diese proisraelischen Amtshandlungen deuteten bereits an, dass sich die zukünftige US-Nahostpolitik von der Joe Bidens unterscheiden wird. Dies bestätigen Donald Trumps jüngste Benennungen: Er berief Marco Rubio zum Außenminister, Steve Witkoff zum Sondergesandten für Nahost und Mike Huckabee zum US-Botschafter in Israel. Rubio ist bekennender Irangegner, Witkoff jüdischer Großspender an Israel, Huckabee Unterstützer des israelischen Siedlungsbaus. Die Siedlungen im Westjordanland sind nach internationalem Recht allesamt illegal.
Unabhängig davon tritt Trump die US-Präsidentschaft mit dem Versprechen an, den Krieg im Nahen Osten zu beenden, ohne dabei jedoch Details zu nennen. Israel hatte für ein Ende seiner Angriffe auf den Libanon die vollständige Umsetzung der UN-Resolution 1701 gefordert. Sie wurde nach dem letzten Libanonkrieg 2006 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet, um eine Entmilitarisierung südlich des Litani-Flusses sicherzustellen. Dabei erhielt die UN-Interimstruppe im Libanon (Unifil) den Auftrag, die Streitkräfte des Landes zu ermächtigen, die vollständige Kontrolle über diese rund 1000 Quadratkilometer große Grenzregion zu übernehmen. Allerdings war die schwache libanesische Armee nach dem Rückzug Israels aus dem Südlibanon, den es von 1982 bis 2000 besetzt hielt, nicht in der Lage gewesen, die Kontrolle über dieses unwegsame Gebiet zu erlangen.

Darüber hinaus war das Mandat für die Unifil schwach. Es erlaubte den rund 10.000 Blauhelmsoldaten zwar Waffen zu tragen, aber sie nur zur Selbstverteidigung einzusetzen. Damit wurden die UN-Truppen jedoch ihrer Kampfkraft beraubt, die Hisbollah aus der Gegend zu vertreiben. Das Ergebnis war, dass die Hisbollah sich vor ihren Augen immer weiter ausbreitete und im Grenzgebiet festsetzte.
Verstöße gegen die UN-Resolution
Diese Entwicklung führte zu massiver Kritik von Seiten Israels. Die Regierung Benjamin Netanjahus griff die UN immer wieder mit dem Vorwurf an, dass ihre Truppen die Waffen der Hisbollah weder lokalisiert noch entfernt hätten. Damit habe die Unifil den Angriff auf Nordisrael zumindest „gebilligt“. Umgekehrt warf die Hisbollah den Blauhelmsoldaten vor, dass sie seit ihrer Stationierung 1976 vier israelische Invasionen nicht verhindert hätten (1978, 1982, 2006 und jüngst 2024). Daher sei die „Präsenz ihrer Widerstandskämpfer an der Grenze“ unerlässlich gewesen, um weitere „zionistische Aggressionen“ zu verhindern.
Tatsächlich verstieß nicht nur die Hisbollah, sondern auch die israelische Armee bei jedem Grenzübertritt gegen die UN-Resolution 1701. Nachdem Blauhelmsoldaten mehrfach ins Kreuzfeuer gerieten und laut ihren Aussagen „gezielt beschossen“ worden waren, hatte Netanjahu am 13. Oktober UN-Generalsekretär António Guterres dazu aufgefordert, sie aus dem „Kampfgebiet abzuziehen“. Dem entgegnete Guterres’ Sprecher Stéphane Dujarric, dass die UN-Mission mit ihren Mitgliedern aus 50 Ländern „nirgendwo hingehen“, sondern die „UN-Flagge weiter wehen werde“.
Die israelische Gesellschaft zeigte sich zwischenzeitlich gespalten in Bezug auf eine Waffenruhe im Norden: Einer Mitte November veröffentlichten Umfrage des „Israel Democracy Institutes“ zufolge, zogen 47 Prozent der befragten Israelis eine diplomatische Lösung vor, wohingegen sich 46 Prozent für eine Fortsetzung des Krieges aussprachen, um die Hisbollah militärisch zu besiegen. Unter den arabischen Israelis war die Haltung eindeutiger: Hier sprachen sich 88 Prozent für eine diplomatische Einigung aus.

Auch in der israelischen Politik existieren bis heute Zweifel am Abkommen. Der neue Verteidigungsminister Israel Katz betonte erst kürzlich, dass es unter ihm „keine Waffenruhe im Libanon“ geben werde. Schließlich sei die israelische Armee dabei, die Hisbollah militärisch zu besiegen und alle Kriegsziele zu erreichen. Diese sind laut Katz die „vollständige Entwaffnung der Hisbollah“, ihre „Zurückdrängung über den Litani-Fluss hinaus“ und die „sichere Rückkehr der Bewohner des Nordens“.
Allerdings wurden die von ihm formulierten Ziele im Krieg gegen die Hisbollah bis zuletzt nicht erreicht. Israel hatte es trotz massiven Bombardements und Ausweitung seiner Bodenoffensive weder vermocht, die Hisbollah bis zum Litani-Fluss zurückzudrängen, noch ihren täglichen Beschuss zu unterbinden und damit eine sichere Rückkehr seiner Bewohner in den Norden zu garantieren.
Dennoch schätzt das israelische Verteidigungsministerium, die militärischen Kapazitäten der Hisbollah bis auf 20 Prozent reduziert zu haben. Zwar hat die israelische Armee einen erheblichen Teil ihres Waffenarsenals dezimiert. Ob dies tatsächlich 80 Prozent betrifft, bleibt fraglich. Dagegen spricht, dass die Hisbollah bis zuletzt in der Lage gewesen ist, täglich Dutzende Raketen auf Israel zu schießen. Allein am 24. November, also nur drei Tage vor Inkrafttreten des jetzigen Waffenstillstands, feuerte sie über 250 Geschosse auf Israel ab, von denen einige bis nach Zentralisrael reichten.
Hisbollah verurteilt deutsche Rolle im UN-Mandat
Entsprechend zeigte sich Hisbollah bis zuletzt kampfbereit: Naim Kassem betonte jüngst, dass die Hisbollah ihre „Lücken gefüllt“ und sich „von den Rückschlägen erholt“ habe. Aus diesem Grund könne sie die Kämpfe noch „für Tage, Wochen und Monate“ fortzusetzen. Kassem schien es dabei wichtig zu signalisieren, dass die Hisbollah „nicht um einen Waffenstillstand“ mit Israel bettele. Allerdings muss herausgestellt werden, dass die Hisbollah dem Abkommen nur zugestimmt hat, weil sie durch die massiven Angriffe Israels bis ins Mark getroffen wurde und um ihre Machtstellung im Libanon fürchten muss.

Schließlich soll das Waffenstillstandsabkommen laut Diplomatenkreisen ein Begleitschreiben enthalten, in dem Israel Rechte bei Verstößen zugestanden werden. Demzufolge soll die USA Israel zugesichert haben, die Hisbollah weiterhin attackieren zu dürfen, wenn diese das Abkommen brechen sollte. Der israelische Politiker Benny Gantz bestätigte, dass die Waffenruhe die „Handlungsfreiheit Israels gegen jegliche Verletzung“ beinhalte. Das Begleitschreiben soll für Israel sicherstellen, dass sich die Hisbollah nicht neu bewaffnen kann. Diese hatte ihr Waffenarsenal mithilfe Irans seit dem letzten Konflikt 2006 über Schmuggelrouten durch Syrien immer weiter ausgebaut. Ob dies allerdings in Zukunft verhindert werden kann, ist mehr als fraglich.
Im Rahmen des Begleitschreibens hat die USA zudem Israel zugesichert, sich stärker an der Umsetzung der UN-Resolution 1701 zu beteiligen. So wird die USA den Vorsitz im neuen Überwachungsausschuss übernehmen, mit dem Ziel, ein erneutes Scheitern zu verhindern. Dem fünfköpfigen Ausschuss gehören neben der UN und den USA, der Libanon, Israel und Frankreich an. Die libanesischen Vermittler lehnten auf Geheiß der Hisbollah eine britische und deutsche Beteiligung am Überwachungsausschuss ab.
Die Hisbollah hatte zuvor besonders die deutsche Rolle am UN-Mandat verurteilt. Sie warf dem von Deutschland geführten maritimen Einsatzverband (MTF) vor, „zugunsten Israels in die Kampfhandlungen“ eingegriffen zu haben. Nicht nur hätten deutsche Blauhelmsoldaten bei der Festnahme eines mutmaßlichen Hisbollah-Marineoffiziers Anfang November geholfen, sondern sie hätten Israel auch im Abwehrkampf unterstützt und damit gegen das „Prinzip der Unparteilichkeit“ der UN-Mission verstoßen. Die deutsche Korvette „Ludwigshafen am Rhein“ hatte Mitte Oktober eine vom Libanon abgefeuerte Drohne abgeschossen.
Unter den Todesopfern sind auch fast 300 Kinder
Allerdings ist zu betonen, dass Deutschlands einseitige Parteinahme zugunsten Israels auch in der libanesischen Bevölkerung kritisch gesehen wird. So hat das breitflächige Bombardement dichtbesiedelter Wohngebiete in den vergangenen Wochen eine hohe Zahl ziviler Opfer im Libanon gekostet. Durch die Angriffe der israelischen Armee sind nach Behördenangaben fast 4000 Menschen getötet und bis zu 16.000 teils schwer verletzt worden. Unter den Todesopfern waren nicht nur über 700 Frauen, sondern auch fast 300 Kinder. Daher wird die deutsche Unterstützung Israels im Krieg den zukünftigen Blick vieler Libanesen auf Deutschland sicherlich nachhaltig beeinflussen.

Laut den UN ist die Todesrate unter den zivilen Opfern im Durchschnitt um fast 60 Prozent höher als beim letzten Krieg 2006. Durch den gegenwärtigen Konflikt hat der ohnehin schon krisengebeutelte Libanon nach Angaben der Weltbank über fünf Milliarden US-Dollar an wirtschaftlichen Verlust gemacht und neben schweren Schäden an der Infrastruktur zudem über 100.000 Wohneinheiten verloren, hauptsächlich im vom Krieg gezeichneten Süden des Landes.




