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Tobias Richter ist männliche Hebamme: Es geht um viel mehr als reine Geburtshilfe

Tobias Richter ist Hebamme in einer Berliner Klinik – und damit einer von nur 23 in Deutschland. Über Hürden und Herausforderungen in einem unterschätzten Beruf.

Hebammen in Deutschland sind fast ausschließlich weiblich. Nur 23 Männer üben den Beruf hierzulande aus.
Hebammen in Deutschland sind fast ausschließlich weiblich. Nur 23 Männer üben den Beruf hierzulande aus.Pond5/Imago

„Das ist manchmal echt nicht ohne, der Job lässt einen nie los. Es ist wirklich eine Berufung, die man da hat“, so beschreibt Tobias Richter, 24 Jahre alt, seinen Beruf als Hebamme. Schon zu Schulzeiten wusste er, dass er mit Menschen arbeiten möchte. „Wo genau, wusste ich aber noch nicht.“ Nach einem Praktikum auf der Geburtsstation war klar für ihn klar, dass er Hebamme werden will.

Der Weg dahin verlief alles andere als leicht, immer wieder traf er in der Ausbildung auf Skepsis und Unverständnis, aber es hat sich gelohnt: Als eine von 23 männlichen Hebammen in Deutschland ist Tobias Richter am Helios-Klinikum in Berlin tätig und hat bereits über 550 Geburten betreut.

Trotz eines stressigen Alltags mit großer Verantwortung würde er sich nach sieben Berufsjahren wieder dafür entscheiden. „Mich fasziniert, dass in einem Körper ein anderes Leben entsteht. Nach jahrzehntelanger Forschung gibt es hier immer noch Dinge, die wir nicht vollständig verstehen. Dadurch hat eine Geburt immer einen gewissen Zauber.“

Hebammen leiten aber nicht nur Geburten, sondern kümmern sich beispielsweise auch um die Vor- und Nachsorge der Mutter. Oft werde unterschätzt, wie unterschiedlich und facettenreich die Arbeitsbereiche seien, in denen Hebammen tätig werden können. „Es ist ein unglaublich autonomer, umfangreicher Beruf, wir haben viel Entscheidungskraft.“

Hebammen als erste Anlaufstelle

Mit Blick auf die Zahl der Geburten wird schnell deutlich, wie essenziell Hebammen für die Gesellschaft sind. Allein von Januar bis August letzten Jahres kamen nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamts bundesweit ca. 486.700 Kinder zur Welt. Was hierbei oft vergessen wird: Die Zahl der geborenen Kinder deckt sich nicht mit der Anzahl der Geburten. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 3420 Kinder tot geboren.

In Deutschland ist die Anwesenheit einer Hebamme während der Geburt gesetzlich vorgeschrieben. Sie sind somit unverzichtbar. Auch in Fällen einer Totgeburt sind Hebammen die erste Anlaufstelle. Betroffene Eltern brauchen oft besonders viel Unterstützung und Zuwendung.

Im klinischen Alltag kommen ihre Sorgen jedoch meist zu kurz. „Was sie alle miteinander vereint, ist, dass sie Eltern sind“, erklärt Richter. Auch nach Fehl- und Totgeburten stehe Müttern der gesetzlichen oder privaten Krankenkassen eine Hebammenhilfe zu.

Besonders in Erinnerung bleibt dem 24-Jährigen eine Mutter, die er nach einer Fehlgeburt begleitete. Ein Jahr später brachte sie mit seiner Unterstützung ein gesundes Kind zur Welt. „Das war schon besonders und hat mich emotional sehr berührt.“

Ausschluss aus dem Pflegebudget: Geburtshilfe für Kliniken unrentabel

So bedeutend Geburtshilfe für die Gesellschaft ist, so unrentabel ist sie für die Kliniken. In der Corona-Pandemie schien es, als würde die Wertschätzung für Pflegekräfte zunehmen. Die schwierigen Arbeitsbedingungen wurden immer häufiger thematisiert und auch von der Politik aufgegriffen. Den geplanten Ausschluss aus dem Pflegebudget empfanden viele Hebammen dann als Schlag ins Gesicht.

Der Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte im Oktober letzten Jahres beabsichtigt, Hebammen in seinem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nicht zu berücksichtigen. Die Folge: Leistungen von Hebammen auf Wochenbettstationen wären von den Krankenkassen nicht mehr erstattet worden. „Es gibt Bereiche, da kann man nicht einfach sparen. Da muss die Bundesregierung einfach unterstützen und finanzieren“, findet Richter.

Gleichzeitig ist er dankbar für den Rückhalt vieler Bürgerinnen und Bürger. Innerhalb einer Woche wehrten sich in einer Petition über 1,5 Millionen Menschen gegen das Vorhaben des Bundesgesundheitsministers. „Das zeigt, dass viele Menschen hinter uns stehen.“

Zu wenig Personal im Hebammenberuf

Aber noch immer entscheiden sich zu wenige für diesen Beruf. In den letzten Monaten mussten Geburtsstationen vieler Kliniken deutschlandweit vorübergehend schließen oder sogar ganz aufgegeben werden. Grund dafür: zu wenig Personal.

Immer häufiger müssen werdende Eltern weite Strecken zu Kreißsälen zurücklegen, wenn sich die Geburt ankündigt. Dass Schwangere ein Recht auf die Wahl des Geburtsortes haben, wird dabei völlig außer Acht gelassen. Wegen überlasteter Geburtsstationen wird es zunehmend schwieriger, sich einen Geburtsort auszusuchen. Man muss schlichtweg nehmen, was man bekommt.

Bei der Vorsorge in der Schwangerschaft und der Wochenbettbetreuung nach der Geburt sieht es nicht besser aus. Auch hier steht schwangeren Personen nach dem fünften Sozialgesetzbuch eine Hebamme zu, die in einigen Fällen allerdings nur schwer zu finden ist.

Expertinnen und Experten machen die Arbeitsbedingungen im Hebammenalltag für den Notstand in der Geburtshilfe verantwortlich. Für werdende Eltern führe das zu Verunsicherungen und Ängsten. Während in Kliniken oft mehrere Geburten gleichzeitig betreut werden müssen und Hebammen einem stressigen Alltag mit Überlastung und Überstunden ausgesetzt sind, leiden freiberufliche Hebammen unter teuren Berufshaftpflichtversicherungen.

Um Kosten zu sparen, ziehen sich so immer mehr freiberufliche Hebammen aus der aktiven Geburtshilfe zurück und fokussieren sich auf Vor- und Nachsorge. In diesem Bereich fallen die Kosten für die Versicherung nämlich etwas günstiger aus.

Hebammenberuf: Mehr Wertschätzung und politisches Umdenken

Um Mutter und Kind bestmöglich zu versorgen, brauche es laut Tobias Richter bessere Arbeitsbedingungen und ein Umdenken in der Politik. „Wir haben ein finanzielles Problem. Alles muss sich immer rentieren. Und so funktioniert es halt einfach nicht.“

Er wünscht sich mehr Anerkennung und Wertschätzung „Zum einen für uns als Menschen, aber auch finanziell.“ Noch immer gebe es viele Hebammen, die schlecht verdienen oder bis heute keine Coronaprämie erhalten haben. Gleichzeitig betont er, dass die schönen Seiten des Hebammenalltags in der Öffentlichkeit präsenter sein sollten. „Nur so können wir junge Menschen für diesen Beruf begeistern.“

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