Gesundheit

Ricardo Lange: Jeder sollte wissen, wie man einen Menschen ins Leben zurückholt

Tausende Menschen würden überleben, wenn sie schnell Erste Hilfe bekämen, sagt der Intensivpfleger Ricardo Lange – und erinnert sich an seine erste Herzdruckmassage.

Deutschlandweit könnten jährlich etwa 10.000 Menschenleben zusätzlich gerettet werden, wenn sich mehr Ersthelfer trauen würden, sofort mit der Herzdruckmassage zu beginnen.
Deutschlandweit könnten jährlich etwa 10.000 Menschenleben zusätzlich gerettet werden, wenn sich mehr Ersthelfer trauen würden, sofort mit der Herzdruckmassage zu beginnen.Matej Kastelic/imago

Blut, überall ist Blut! Das dachte ich, als ich damals völlig entsetzt den Schockraum betrat. Ich hatte meine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger schon fast hinter mir und befand mich im dritten Ausbildungsjahr, kurz vor Examensprüfungen. Es war mein erster Einsatz auf einer Intensivstation. Meine damalige Praxisanleiterin kam hektisch auf mich zu und fragte, ob ich schon einmal an einer Reanimation beteiligt gewesen sei.

Während der Pflegeausbildung hatten wir die Herzdruckmassage das eine oder andere Mal an eigens dafür angefertigten Puppen geübt. Der Patient im Schockraum war ein Mann Mitte 60, sein Körper lag bleich und leblos auf einer Trage, die Arme hingen schlaff an den Seiten herunter. Der Oberarzt, der ihn gerade reanimierte, berichtete mir kurz und knapp: „Herzinfarkt, kein Kreislauf!“

Er gab eine kurze Anweisung, zählte anschließend herunter: „3, 2, 1!“, dann übernahm ich. Zum ersten Mal drückte ich meine Handflächen auf den Brustkorb eines Menschen - und war schockiert. Anstatt den Widerstand der Rippen zu spüren, drücke ich in eine weiche Masse. Damals wusste ich noch nicht, dass die starke Kompression oft zu Rippenbrüchen führen kann. Aber dies nimmt man in Kauf, um ein Leben zu retten. Auch wenn es schrecklich klingt, es erleichtert die Druckarbeit, da man nicht mehr gegen den Brustkorb ankämpfen muss.

Der Arzt und ich wechselten uns bei der Herzdruckmassage ab, mussten dann aber nach mehr als einer halben Stunde frustriert feststellen, dass wir ihn nicht mehr zurückholen konnten. Ich erinnere mich nicht mehr an alle Details, aber ich werde nie vergessen, wie die Arme des Mannes unkontrolliert hin und her schaukelten, während wir drückten, und seine Augen leer zur Decke starrten.

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Berliner Zeitung/Markus Wächter
Zur Person
Ricardo Lange, 41, wuchs in Berlin-Hellersdorf auf. Um sich gegen Übergriffe behaupten zu können, betrieb er Kampfsport und Bodybuilding. Er arbeitete als Fitnesstrainer und bei der Polizei, bevor er sich zum Intensivpfleger ausbilden ließ und in diesem Beruf seine Berufung fand.

Für eine Zeitarbeitsfirma
springt Lange in Berliner Krankenhäusern ein, in denen die Personalnot am größten ist. Im Januar hat er ein Buch über den Pflegenotstand veröffentlicht: „Intensiv: Wenn der Ausnahmezustand Alltag ist – Ein Notruf“ (dtv). Er ist Kolumnist der Berliner Zeitung.

Inzwischen arbeite ich seit vielen Jahren als Intensivpfleger und habe unzählige Reanimationen erlebt. Wir konnten viele Menschenleben retten und haben leider auch einige verloren. Allein in Deutschland erleiden jährlich über 60.000 Menschen außerhalb eines Krankenhauses einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Bei sofortiger Herzdruckmassage steigt die Überlebenschance um das Zwei- bis Dreifache. Obwohl in fast der Hälfte der Fälle Personen in der Nähe sind, die wiederbeleben könnten, trauen sich das nur 42,6 Prozent der Ersthelfer. Das führt dazu, dass nur elf Prozent der Betroffenen überleben.

In Dänemark sind Wiederbelebungsmaßnahmen seit 2005 fester Bestandteil des Schulunterrichts. Durch das frühe Erlernen der Herzdruckmassage und die regelmäßige Wiederholung steigt nicht nur das Selbstvertrauen, diese Maßnahme im Notfall durchzuführen, sondern auch ihre Wirksamkeit. In Dänemark konnte so die Überlebensrate verdreifacht werden!

Ricardo Lange: 10.000 Menschen würden zusätzlich gerettet

Man schätzt, dass deutschlandweit jährlich etwa 10.000 Menschenleben zusätzlich gerettet werden könnten, wenn sich mehr Ersthelfer trauen würden, sofort mit der Herzdruckmassage zu beginnen.

Ich kann jedem nur ans Herz legen, regelmäßig Erste-Hilfe-Kurse zu besuchen und im Ernstfall keine Scheu vor der Wiederbelebung zu haben. Auch bei meinem Patienten hat sich damals leider niemand getraut, vor dem Eintreffen des Rettungsdienstes mit der Herzdruckmassage zu beginnen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass man als Ersthelfer prinzipiell nichts falsch machen kann. Auch wenn man sich unsicher fühlt oder nicht alle Details kennt ist es besser, etwas zu tun, als untätig zu bleiben. Jeder von uns kann zum Lebensretter werden.