Kolumne Pflegefall

Ricardo Lange: „Von Geburt bis Tod“ – deshalb liebe ich trotz allem, Intensivpfleger zu sein

Wie unser Kolumnist das Leben eines Mädchens retten half. Und warum es als junge Frau selbst in der Pflege arbeiten wollte. Plädoyer für einen Beruf.

Ein Mädchen liegt auf einer Intensivstation für Kinder.
Ein Mädchen liegt auf einer Intensivstation für Kinder.imago

Oft werde ich gefragt, warum ich die Arbeit als Intensivpfleger überhaupt noch mache. Denn wo es in der Pflege hapert, wurde in den vergangenen Jahren rauf- und runtergebetet, und ich bin mir auch absolut sicher, dass wir hier das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht haben. Aber, wenn man von der ganzen negativen Scheiße drumherum mal absieht, ist das für mich einer der geilsten Berufe, die es überhaupt gibt.

Einer der Fälle, an den ich mich immer wieder sehr gerne zurückerinnere, zeigt, wie wertvoll unsere Arbeit ist und was man alles gemeinsam mit dem Patienten erreichen kann, wenn man die Zeit und die Möglichkeit hat, wirklich richtig zu pflegen. Das ist mein Antrieb.

Ein 15-jähriges Mädchen lag mit einer schweren Blutvergiftung bei uns auf der Intensivstation. Ihr Zustand war so kritisch, dass wir sie in ein künstliches Koma versetzen und an ein Beatmungsgerät anschließen mussten. Lange Zeit waren wir uns nicht sicher, ob sie überhaupt überleben würde. Damals war die Personalsituation teilweise noch nicht so angespannt wie heute, und ich konnte mich während meiner Schichten mit nur einem weiteren Patienten voll und ganz auf sie konzentrieren.

Stets an meiner Seite: ihre Mutter, die so gut wie jeden Tag ins Krankenhaus kam. Gemeinsam haben wir uns um ihre Tochter gekümmert, geredet, zusammen gelacht und geweint. Wochenlang haben wir gekämpft und wurden belohnt, als sie endlich wieder die Augen aufschlug. Man kann dieses Glücksgefühl nicht in Worte fassen, dass in einem hochsteigt, wenn es jemand wieder zurück in das Leben schafft, man den Beatmungsschlauch entfernen und sich zum ersten Mal mit seiner Patientin unterhalten kann.

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Berliner Zeitung/Markus Wächter
Zur Person
Ricardo Lange, 41, wuchs in Berlin-Hellersdorf auf. Um sich gegen Übergriffe behaupten zu können, betrieb er Kampfsport und Bodybuilding. Er arbeitete als Fitnesstrainer und bei der Polizei, bevor er sich zum Intensivpfleger ausbilden ließ und in diesem Beruf seine Berufung fand.

Für eine Zeitarbeitsfirma
springt Lange in Berliner Krankenhäusern ein, in denen die Personalnot am größten ist. Im Januar hat er ein Buch über den Pflegenotstand veröffentlicht: „Intensiv: Wenn der Ausnahmezustand Alltag ist – Ein Notruf“ (dtv). Er ist Kolumnist der Berliner Zeitung.

Das war der erste Schritt auf ihrem langen Genesungsweg. Tag für Tag haben wir zusammen kleine Siege errungen: wir haben gemeinsam auf der Bettkante gesessen, haben wieder einen Fuß vor den anderen gesetzt, und sie hat gelernt, wieder selbständig zu essen und zu trinken. Es ist unfassbar zu sehen, was man mit seiner Arbeit alles erreichen kann und mit welchem Mut und welcher Willenskraft sich dieses junge Mädchen wieder zurückgekämpft hat und am Ende die Intensivstation verlassen konnte.

Einige Jahre später sollte sich der Spruch „man sieht sich immer zweimal im Leben“ bewahrheiten: Ich war mittlerweile von der Festanstellung in die Zeitarbeit gewechselt und vertrat meine Firma als Teamleiter auf einer Jobmesse für Gesundheitsberufe, auf der ich mich mit interessierten Pflegekräften über die Vor- und Nachteile der Leiharbeit ausgetauscht habe. Plötzlich steuerte eine junge Frau zielstrebig auf mich zu und sprach mich freudestrahlend mit meinem Vornamen an. Es hat einen Moment gedauert, bis es „klick“ gemacht hat und ich sie erkannte: meine damalige 15-jährige Patientin mit der Blutvergiftung.

Ricardo Lange und ein besonderer Moment

Sie erzählte mir, dass sie heute auf dieser Messe sei, um sich zu informieren, weil sie den Entschluss gefasst habe, nun selbst eine Ausbildung in der Pflege zu beginnen. Das sind solche Ausnahmemomente für mich, die den Beruf so wertvoll machen.

Ich hoffe, dass es, wie meine ehemalige Patientin, auch weiterhin viele junge, motivierte Menschen gibt, die den Wunsch haben, diesen Beruf zu ergreifen. Fast nirgends hat man die Möglichkeit, sich mit solchen vielseitigen, sinnvollen und interessanten Tätigkeiten auseinanderzusetzen. Mittendrin, von der Geburt bis zum Tod. Hand in Hand mit innovativer Technik und ganz nah am Menschen.

Den schlechten Bedingungen muss und wird weiterhin der Kampf angesagt, denn sie dürfen nicht dazu führen, dass sie das Bild von diesem einzigartigen Beruf überschatten. Wir müssen wieder die Möglichkeit haben, so pflegen zu können, dass jeder Patienten die bestmöglichen Chancen hat, gesund zu werden oder von uns in Würde bis zum Lebensende begleitet werden kann. Dazu brauchen wir Personal und eine Politik, die sich nach den Menschen ausrichtet und nicht nach Zahlen.