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In Ecuador eskaliert der Drogenkrieg – die Spuren reichen bis nach Deutschland

Ecuador hat sich zum Logistikzentrum des internationalen Drogenhandels entwickelt. Banden terrorisieren das Land. Bananenkisten voll Kokain landen in Berlin. 

Drogenkontrollen des Militärs gehören in Ecuador mittlerweile zum Alltag.
Drogenkontrollen des Militärs gehören in Ecuador mittlerweile zum Alltag.Juan Diego Montenegro/dpa

Die Bilder aus Ecuador, die es Anfang des Jahres auch in internationale Medien geschafft hatten, haben es in sich. Zu sehen waren unter anderem bewaffnete Jugendliche, die einen öffentlichen Fernsehsender in der Hafenstadt Guayaquil überfielen und dessen Mitarbeiter als Geiseln nahmen – live übertragen auf die Bildschirme.

Staatliche und zivile Einrichtungen im ganzen Land wurden angegriffen, verantwortlich waren Mitglieder krimineller Banden. Die Regierung reagierte, indem sie mehr Militär auf die Straßen schickte. Präsident Daniel Noboa, noch nicht einmal drei Monate im Amt, verhängte den Ausnahmezustand und erklärte, sein Land befinde sich in einem „internen bewaffneten Konflikt“.

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Ecuador ist Drehkreuz des internationalen Drogenhandels

Seitdem ist ein Monat vergangen und das kleine Land am Äquator ist längst wieder aus dem Fokus der großen Medien gerückt. Zu Unrecht, zeigt sich in Ecuador derzeit doch exemplarisch, wie die Drogenkriminalität in der Region an Macht gewinnt. Das hat auch mit Deutschland und Europa zu tun. Zweitens ist zu beobachten, wie die Vereinigten Staaten die Gunst der Stunde nutzen, um im „Krieg gegen die Drogen“ ihren Einfluss in der Region auszubauen. 

In den letzten Jahren hat sich Ecuador zu einem der gewaltvollsten Länder der Welt entwickelt. 2023 lag die Mordrate laut Nationalpolizei bei 42,6 Fällen je 100.000 Einwohner. Bei insgesamt 17,8 Millionen Menschen entspricht das 7592 Morden am Tag. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Tötungsdelikte um 64,9 an, gegenüber dem Jahr 2016 sogar um rund 7,1 Prozent. Damals hatte die Rate gerade einmal bei sechs pro 100.000 Einwohner gelegen.

Eine von Streitkräften und Polizei durchgeführte Kontrolle in La Chola Cuencana
Eine von Streitkräften und Polizei durchgeführte Kontrolle in La Chola CuencanaBoris Romoleroux/imago

Wie ist es möglich, dass sich Ecuador binnen weniger als zehn Jahren vom extrem sicheren zu einem der gefährlichsten Länder Lateinamerikas entwickeln konnte? Eine der Ursachen dafür liegt im Drogenhandel, der sich in der gesamten Region seit Jahren verstärkt ausbreitet. Jorge Paladines, ecuadorianischer Kriminologe und Experte für Drogenpolitik, erklärt gegenüber der Berliner Zeitung, zwar gebe es Drogen und Drogenhandel überall, Ecuador jedoch eigne sich besonders gut als Drehkreuz des internationalen Kokainhandels.

Das Land, das ungefähr so groß wie Großbritannien ist, liegt im Nordwesten Südamerikas am Pazifik. Im Norden grenzt Ecuador an Kolumbien, im Osten und Süden an Peru – und damit an die beiden größten Kokainproduzenten der Welt. Laut dem UN-Büro für Drogen und Kriminalität (UNODC) gehen heute rund 40 Prozent des weltweiten Kokains über Ecuador, der Großteil davon mit dem Ziel Europa. Das liegt auch an der gut ausgebauten Infrastruktur des Landes. So verfügt das Land am Pazifik über „sieben Häfen, die im Vergleich zu jenen in Kolumbien hochmodern“ sind, erklärt Paladines. Auch das Straßennetz bringe gute Voraussetzungen für den Transport der illegalen Ware mit sich.

Drei Festgenommene mit etwa einer Tonne kontrollierter Substanzen werden im Hafen von Manta den zuständigen Behörden übergeben.
Drei Festgenommene mit etwa einer Tonne kontrollierter Substanzen werden im Hafen von Manta den zuständigen Behörden übergeben.Ariel Ochoa/imago

Einführung des US-Dollar begünstigt den Drogenhandel

Hinzu kommt: Im Jahr 2000 wurde der US-Dollar als offizielle Landeswährung eingeführt. Für die Akteure der organisierten Kriminalität beste Voraussetzung, um ohne großen Aufwand internationale Geschäfte abzuwickeln. Außerdem, und das gilt insbesondere für ein hochgradig korruptes Land wie Ecuador, bietet eine dollarisierte Wirtschaft ideale Bedingungen für Geldwäsche. Vom reinen „Transitland“ wurde Ecuador laut Paladines so zu einem „Logistikzentrum des Drogenhandels“.

Erst in der vergangenen Woche meldete der NDR den Fund von mehr als einer halben Tonne Kokain im Hamburger Hafen. Die Droge sei in Bananenkisten versteckt gewesen und von Ecuador nach Deutschland geschmuggelt worden. Insbesondere belgische und niederländische Häfen werden von den Kartellen genutzt, um Kokain nach Europa zu schmuggeln. Mitte Januar meldeten beide Länder einen starken Anstieg der konfiszierten Mengen, in Antwerpen habe der Umfang mit 116 Tonnen gar einen Höchststand erreicht. In den Niederlanden waren es 59,1 Tonnen, in Deutschland rund 35 Tonnen.

Angesichts dieser Zahlen führte der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher Anfang des Monats gemeinsam mit seinen Amtskollegen aus Rotterdam und Antwerpen Beratungen mit der ecuadorianischen Regierung in Quito durch. Dabei erklärte er, man werde „alle Möglichkeiten nutzen, um die Lieferketten der Kartelle zu unterbrechen“, unter anderem solle der Austausch zwischen den Ermittlern verstärkt werden. Zudem ist für Mai in Hamburg eine Konferenz mit Staaten aus der EU und Südamerika geplant. Auch dort soll über Strategien im Kampf gegen den internationalen Drogenschmuggel beraten werden. Im Januar hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser betont, es brauche eine „Sicherheitspartnerschaft, die von Peru bis Deutschland reicht“.

Paladines spricht von einer „Neugestaltung der internationalen kriminellen Ordnung“. Traditionell fungierten die ecuadorianischen Banden als Händler zwischen kolumbianischen Kokainproduzenten und mexikanischen Kartellen. Mit dem Ende der kolumbianischen Guerilla FARC im Rahmen des Friedensvertrags von 2016 organisierte sich auch die „kriminelle Ordnung“ in Kolumbien neu, andere Akteure traten auf den Plan. Der Anstieg des Kokainkonsums in Europa, in Neuseeland und Australien sowie der Anstieg der Preise beispielsweise in Saudi-Arabien veränderten die Strukturen im Geschäft. Heute mischen vermehrt nichtlateinamerikanische Organisationen mit, so die italienische ’Ndrangheta oder die albanische Mafia.

Ecuadors Präsident Daniel Noboa bei der feierlichen Übergabe von Schutzwesten, Funkgeräten und technischer Ausrüstung an die nationale Polizei.
Ecuadors Präsident Daniel Noboa bei der feierlichen Übergabe von Schutzwesten, Funkgeräten und technischer Ausrüstung an die nationale Polizei.Daniel Molineros/imago

Drogenkartelle kämpfen um die Vormachtstellung

Die Zersplitterung der im internationalen Kokainhandel tätigen Akteure führte auch in Ecuador zu Machtkämpfen, insbesondere nach der Ermordung des damaligen Anführers der Choneros, Jorge Zambrano alias Rasquiña, Ende 2020. Im Kampf um seine Nachfolge entstanden neue Drogenbanden, die Gewalt im Land explodierte. Zwar gelten die Choneros, die mit dem Sinaloa-Kartell kooperieren, bis heute als größte und bedeutendste kriminelle Organisation in Ecuador. An zweiter Stelle stehen jedoch Los Lobos, denen Verbindungen zum Kartell Jalisco Nueva Generación nachgesagt werden.

Wie viele Mitglieder die Banden in Ecuador haben, könne nur geschätzt werden, erklärt Paladines. Bis zu 50.000 könnten es jedoch sein, oftmals „Teenager aus marginalisierten Schichten, die keinen Zugang zu Bildung oder staatlicher Unterstützung und keine Perspektive haben“. Den Aufstieg der organisierten Kriminalität erklärt der Experte daher auch als Folge der neoliberalen Politik der vergangenen Regierungen. Diese hätten den Sozialstaat praktisch abgeschafft und staatliche Institutionen geschwächt. „Das schwache ecuadorianische System konnte so relativ einfach vom internationalen Kokainhandel übernommen werden.“

Noch am 9. Januar, dem Tag des Überfalls auf den Fernsehsender in Guayaquil, rief Präsident Noboa einen 60-tägigen Ausnahmezustand aus. Einen Tag später erließ er ein Dekret, mit dem festgestellt wird, dass sich Ecuador in einem „internen bewaffneten Konflikt“ befindet. 22 Banden erklärte Noboa so zu „Terroristen und nichtstaatlichen Kriegsakteuren“. Auf der Plattform X fügte er hinzu: „Ich habe die Streitkräfte angeordnet, militärische Operationen auszuführen, um diese Gruppen zu neutralisieren.“

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Arbeit mit dem Pentagon soll „erleichtert“ werden

Paladines kritisiert den Schritt. Mit dem Dekret werde den Drogenhändlern der Status einer Kriegspartei verliehen und impliziert, dass kriminelle Organisationen Gebiete beherrschen, auf die der Staat keinen Zugriff hat. „Für den ecuadorianischen Kontext ist das nicht zutreffend“, sagt der Kriminologe – und außerdem nicht hilfreich. Hinter dem Schritt sieht er daher vielmehr Noboas Motivation, Unterstützung in der Bevölkerung zu gewinnen, um 2025 wiedergewählt zu werden.

Die Amtszeit des noch jungen Präsidenten, der erst Ende November 2023 vereidigt wurde, beträgt gerade einmal 18 Monate, nachdem sein Vorgänger Guillermo Lasso frühzeitig zurückgetreten war. Noboa setze – sehr erfolgreich – darauf, eine extrem autoritäre Stimmung in der Bevölkerung zu schaffen. So mobilisiere er Unterstützung für seine Projekte: „Die ecuadorianische Öffentlichkeit unterstützt derzeit die laufende Militarisierung der Gesellschaft, die Inhaftierungen, die Politik der harten Hand“, erläutert Paladines.

Und auch die USA versuchen, die Lage für sich zu nutzen. In Quito haben sie seit geraumer Zeit wieder einen treuen Verbündeten, wie auch Zahlen zur militärischen Zusammenarbeit zeigen. So beziffert das Lateinamerikanische Strategische Zentrum für Geopolitik (CELAG) die amerikanische Militärhilfe für Ecuador für die Jahre 2021 und 2022 auf 172 Millionen US-Dollar. Das macht das Land zu dem Staat der Region, der am meisten Geld erhalten hat.

Laura Richardson (M.), die Leiterin des Südkommandos der amerikanischen Streitkräfte (Southcom) in Begleitung des Chefs des Gemeinsamen Kommandos der ecuadorianischen Streitkräfte, Jaime Vela (l.), und des Befehlshabers der ecuadorianischen Landstreitkräfte, General Edwin Fernando Adatty (r.), am 25. Januar im Militärfort Huancavilca in Ecuador.
Laura Richardson (M.), die Leiterin des Südkommandos der amerikanischen Streitkräfte (Southcom) in Begleitung des Chefs des Gemeinsamen Kommandos der ecuadorianischen Streitkräfte, Jaime Vela (l.), und des Befehlshabers der ecuadorianischen Landstreitkräfte, General Edwin Fernando Adatty (r.), am 25. Januar im Militärfort Huancavilca in Ecuador.Gerardo Menoscal/AFP

Und in der nächsten Zeit werden die Mittel weiter steigen. Kurz nach der Gewalteskalation schickte Washington hochrangige Vertreter nach Ecuador, darunter die Leiterin des Südkommandos der amerikanischen Streitkräfte (Southcom), Laura Richardson. Vereinbart wurde ein Fünfjahresplan, in dessen Rahmen insgesamt 93,4 Millionen US-Dollar nach Ecuador fließen sollen. Im Gespräch mit dem Onlinemedium Primicias erklärte Richardson, der Plan umreiße die Sicherheitskooperation und sehe eine „binationale Arbeitsgruppe vor, die den Austausch zwischen dem Pentagon und Ecuador erleichtert“.

Zudem warten derzeit drei bilaterale Abkommen auf ihre Ratifizierung. Sie waren bereits unter Guillermo Lasso ausgehandelt worden und sehen gemeinsame Militäroperationen auf See und an Land vor. Auch Ausbildungstätigkeiten sollen von Angehörigen des amerikanischen Militärs übernommen werden, die im Gegenzug Immunität in Ecuador und andere Privilegien garantiert bekommen. Flugzeuge, Schiffe und Fahrzeuge der Streitkräfte der USA dürfen sich demnach frei auf ecuadorianischem Staatsgebiet bewegen.

An den Plänen gibt es durchaus Kritik – auch, weil die ecuadorianische Verfassung der militärischen Zusammenarbeit mit anderen Ländern enge Grenzen setzt. So verbietet Artikel 5 ausländische Stützpunkte, was 2009 zur Schließung der US-Basis in Manta geführt hatte. Paladines argumentiert, dass sich der Artikel generell auf die Gefahr militärischer Besatzung bezieht. „Darunter fällt meiner Meinung nach auch, ausländischen Armeen zu erlauben, sich in Ecuador aufzuhalten.“ Das Verfassungsgericht hingegen entschied kürzlich, dass die Abkommen „weder ein Militär- oder Kriegsbündnis noch gegenseitige Verteidigungsaktivitäten oder Gegenseitigkeit bei militärischen Aktionen beinhalten“.

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