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Diskriminierung: Novak Djokovic darf bei den US Open nicht mitmachen, weil er ungeimpft ist

Der Start der diesjährigen US Open wird überschattet von der Politik: Novak Djokovic darf nicht teilnehmen. Das ist fatal.

Novak Djokovic hält einen Tennisball in der Hand.
Novak Djokovic hält einen Tennisball in der Hand.imago/Nedim Grabovica

Champions League ohne Real Madrid? Bundesliga ohne Bayern? NBA-Saison ohne die Lakers? Irgendwie unvorstellbar, oder? Im Tennissport ereignet sich gerade aber genau das. Der von vielen als bester Spieler aller Zeiten eingeschätzte Serbe, Novak Djokovic, ist bei den diese Woche gestarteten US-Open nicht dabei.

Grund: Er ist nicht geimpft gegen Covid-19 und er hat die falsche Staatsbürgerschaft. Sportlich gesehen war er bereit. Er ist nicht verletzt und als aktueller Wimbledon-Champion wäre er bei einem Start einer der Turnierfavoriten. Aber die Einreiseregelung in die USA sieht weiterhin vor, dass nicht geimpfte Ausländer das Land nicht betreten dürfen. Bei US-Amerikanern besteht dieses Problem nicht. Unabhängig vom aktuellen Impfstatus ist die sportliche Leistung ausreichend für eine Teilnahmeberechtigung. Bei allen anderen wird der Impfpass abgefragt.

Änderungen kommen zu spät

Die Erinnerung an das Debakel von Australien zu Beginn des Jahres drängt sich geradezu auf. Im Januar war zum ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres eine ähnliche Konstellation gegeben. Der nicht geimpfte Titelverteidiger und Rekordchampion der Australian Open, Novak Djokovic, scheiterte aufgrund seines Impfstatus an der Einreise. Trotz Ausnahmegenehmigung, die erwirkt wurde wegen vorheriger Genesung, und einem gültigen Visum wurde Djokovic am Ende sogar ausgewiesen. Zuvor gab es zwei Gerichtsverfahren und einen Aufenthalt in einem Hotel für Ausreisepflichtige für den Champion. Sehr fraglich ist daher, ob Djokovic sich nach diesen Erfahrungen auf ein ähnliches Risiko überhaupt eingelassen hätte, wenn die US-Open-Veranstalter auch eine Sondergenehmigung für ihn erwirkt hätten. Dazu kam es aber gar nicht. Ein Turnier, dessen Sponsor der US-Pharmakonzern Moderna ist, bekannt für seinen mRNA-Impfstoff, würde wahrscheinlich ungern die Siegertrophäe an einen nicht geimpften Spieler überreichen.

Bis zuletzt bestand bei Djokovic und seinen Fans – und wahrscheinlich auch bei allen neutralen Tennisliebhabern – Hoffnung. Die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) hatte Mitte August eine gelockerte Richtlinie der Covid-Gesetzgebung verabschiedet. Die Quarantänepflicht sowie Kontaktverfolgung und Testpflicht wurden aufgehoben. An den Einreisebestimmungen für Ausländer änderte sich allerdings nichts. Die Hoffnung galt also, dass auch diese Regelung möglichst bald aufgehoben wird, wovon viele Experten immer noch ausgehen. Sogar in Australien ist diese Gesetzgebung mittlerweile abgeschafft. Darauf hoffte wohl auch Novak Djokovic, der seine endgültige Turnierabsage erst letzte Woche Donnerstag, kurz vor der Auslosung, bekannt gab. Für ihn kommen eventuelle zukünftige Änderungen zu spät.

Wer wird der GOAT?

Die ganze Problematik kommt sporthistorisch zur Unzeit. Denn im Männertennis geht es gerade um den sogenannten GOAT-Titel! GOAT übersetzt man auf Deutsch mit „Ziege“. Zugleich ist es in der Sportwelt disziplinübergreifend auch ein Akronym, das der „Beste aller Zeiten“ (Greatest Of All Time) bedeutet. Im Tennissport ist der Kampf um den GOAT-Titel in vollem Gange.

Die letzten 15 Jahre gelten als goldenes Zeitalter, weil die drei besten (oder erfolgreichsten) Spieler aller Zeiten sich gegenseitig duellierten. Die Rede ist vom Schweizer Roger Federer, dem Spanier Rafael Nadal und eben Novak Djokovic. Lange Zeit führte Federer in fast allen relevanten statistischen Kategorien. Mittlerweile haben ihn Nadal und Djokovic überholt bei der wohl wichtigsten Kategorie, die Anzahl der Grand-Slam-Turniersiege.

Novak Djokovic
Novak DjokovicAP/Gerald Herbert

Federer steht derzeit bei 20, Djokovic hat 21 und Nadal führt mit 22 Titeln. Roger Federer ist bereits 41 Jahre alt. Sein letzter Grand-Slam-Sieg liegt viereinhalb Jahre zurück. Zudem ist er seit über einem Jahr verletzt. Die Chancen stehen also gering, dass er in diesem Rennen noch mal angreifen kann. Nadal und Djokovic werden den GOAT-Titel höchstwahrscheinlich unter sich ausspielen.

Auch bei ihnen neigen sich die erfolgreichen Karrieren dem Ende zu. Nadal ist 36 und Djokovic 35 Jahre alt. Bei professionellen Athleten bedeutet das meistens, dass die sportliche Rente naht. Dennoch haben beide in diesem Jahr mal wieder die Tennissaison dominiert und die drei bisherigen Gand Slams gewonnen. Nadal profitierte in Australien von Djokovics Fehlen und holte sich Titel Nummer 21. Beim darauffolgenden Sandplatz-Slam in Paris war der „King of Clay“ fast schon traditionell unschlagbar. Titel Nummer 22.

Djokovic unterstrich seine Stellung als einer der besten Rasen-Spieler aller Zeiten und holte sich seinen 7. Wimbledon-Titel im Juli in London. Einer mittlerweile allzu bekannten Marotte folgend, verspeiste er wieder nach verwandeltem Matchball ein paar Grashalme des heiligen Londoner Rasens. Wer isst noch mal Gras? Ziegen! Ganz genau. Dennoch wird auch der siebte Grasverzehr nicht ausreichen zum GOAT-Titel für Djokovic. Aber für insgesamt Titel Nummer 21 reichte es allemal.

Sollte Nadal also beim derzeit laufenden US-Open-Turnier gewinnen, würde er mit 23 Titeln davonziehen. Zudem muss bedacht werden, dass Djokovic nach aktuellem Stand eine dreijährige Einreisesperre nach Australien abzusitzen hat und auch beim nächsten Grand Slam in Melbourne aller Wahrscheinlichkeit nach nicht teilnahmeberichtigt ist.

Warum lässt er sich nicht impfen?

Natürlich wäre alles einfacher und wir hätten das Problem nicht, wenn Djokovic geimpft wäre. Ist er aber nun mal nicht. Es mangelt auch nicht an Kritik diesbezüglich. Dem einflussreichen Tennisjournalisten Ben Rothenberg (The New York Times u. a.) fiel als Erstes ein, nachdem Djokovic in Wimbledon triumphierte, ihn als „Posterboy“ für Impfgegner-Kampagnen zu bezeichnen. Benjamin Butterworth von der Washington Post forderte gar, dass Djokovic sein Wimbledon-Preisgeld nicht bekommen sollte, als Gefährder des Gemeinwohls!

Der größte Vorwurf seiner Kritiker ist die mangelnde Vorbildfunktion. Heutzutage genügt es nämlich nicht mehr, ein Spitzenathlet zu sein. In einer Welt, die von Social Media dominiert wird, werden von Sportlern ähnliche Verhaltenskodizes verlangt wie von Politikern. Wenn jemand aus der Bahn läuft, werden Fachpresse und Influencer schon für die notwendige Diskreditierung sorgen, um die sportliche Leistung zu übertönen.

Richtig ist, dass Djokovic nicht geimpft ist. Im Tenniszirkus ist allgemein bekannt, dass er wohl mehr als jeder andere darauf achtet, was in seinen Körper gelangt. Der Mann ernährt sich glutenfrei und wohl auch vegan. Er setzt bei Verletzungen auf Selbstheilung und meidet Operationen, solange es möglich ist. Bei der Einnahme von Medizin oder Impfungen scheint sich dieses Gehabe zu tradieren. Ob das richtig oder falsch ist für ihn persönlich, sein Umfeld oder gar die Gesellschaft, kann diskutiert werden. Aber jemanden als allgemeinen Impfgegner zu bezeichnen, der mit seinem Impfstatus nie hausieren gegangen ist, sondern durch die Turnierregeln gezwungen wurde, die Öffentlichkeit einzuweihen, der beim selbst organisierten Tennisturnier in Belgrad Impfungen für Spieler, Coaches, Journalisten und Zuschauer ermöglichte, zu einer Zeit, als die Vakzine in den meisten Ländern noch ein rares Gut war, grenzt schon an Hohn.

Unabhängig davon, sollte die eigentliche Frage nicht eher lauten: Warum darf ein nicht geimpfter Spieler in Paris und London spielen, aber nicht in Melbourne und New York?

Tennis sollte auf dem Platz entschieden werden

Nach dem Australien-Fiasko gab Djokovic der BBC ein ausführliches Interview, in dem gefragt wurde, ob er aufgrund seiner mangelnden Impfbereitschaft tatsächlich auf die Chance verzichten würde, der beste Spieler aller Zeiten zu werden. Er bejahte. Seine Entscheidung, ob richtig oder falsch, sei ihm wichtiger als Tennisturniere.

Rafael Nadal sagte bei einer Pressekonferenz im Vorfeld des Turniers, dass ihm die Nichtteilnahme seines größten Konkurrenten leidtäte. Gleichzeitig betonte er wieder, wie auch im Januar bei den Australian Open, dass das Turnier größer sei als einzelne Spieler und weitergehen werde. Damit hat er sicherlich recht. Wir werden garantiert auch ohne Djokovic zwei großartige Tenniswochen vor uns haben und am Ende einen würdigen Sieger. Dennoch bleibt wieder ein sportlich fader Beigeschmack. Wenn die Konkurrenz aus nicht sportlichen Gründen ausgeschlossen ist, entsteht ein Makel, der vermeidbar gewesen wäre.

Auch Mats Wilander, Tennislegende und ehemaliger Grand-Slam-Champion aus Schweden, relativierte kürzlich bereits die GOAT-Debatte, weil Djokovic schon an zwei Turnieren nicht spielberechtigt war. Sollte das so weitergehen, so der Schwede, wird die Tennisgeschichtsschreibung über die Ära der drei Besten aller Zeiten sprechen müssen, anstatt vom alleinigen GOAT, weil unter diesen Bedingungen der Allerbeste nicht benannt werden könne.

Dennoch bleibt zu hoffen, dass zumindest die nächste Saison nicht von politischen Entscheidungen beeinflusst wird. Djokovic und Nadal können vielleicht noch ein bis zwei Jahre auf Topniveau spielen. Sie werden nicht jünger und die Konkurrenz auch nicht schlechter. Jeder Tennisfan auf der Welt kann sich doch nur wünschen, dass dieses Duell auf dem Platz entschieden wird und nicht durch diverse Einreisebestimmungen an den Austragungsorten.

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