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Die „Rote Kapelle“: Der Deutsche Widerstand darf nicht vergessen werden

Wie wird die Erinnerung an den Deutschen Widerstand wachgehalten? Unser Autor reflektiert über seine Bekanntschaft zu Hans Coppi – und seine Bildung in der DDR.

Der Berliner Historiker Hans Coppi, Veranstalter der Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch, 2007
Der Berliner Historiker Hans Coppi, Veranstalter der Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch, 2007dpa/Patrick Pleul

Vor 80 Jahren, im Jahre 1942, entdeckte die Gestapo eine Widerstandsgruppierung, die sie mit dem Namen „Rote Kapelle“ versah. Aus diesem breiten und Menschen aus den unterschiedlichsten politischen und sozialen Milieus erfassenden Widerstandsnetzwerk wurden 50 Menschen zum Tode verurteilt und Ende 1942 und 1943 ermordet. Vor einiger Zeit gab es in dieser Zeitung einen ausführlichen Beitrag zur Roten Kapelle.

Auch brachte die Diskussion um eine neue Biografie über Mildred Harnack diesen Widerstand in eine Medienöffentlichkeit. Die Literaturwissenschaftlerin war USA-Bürgerin und mit Arved Harnack, hoher Beamter im damaligen Reichswirtschaftsministerium, verheiratet. Ihr Name zählt zu den bekanntesten dieser Widerstandskämpferinnen. Ihr Schicksal ist sehr gut auch schon in der DDR erforscht und publiziert worden.

Zum Schuljahresbeginn schlug eine Kolumnistin in der Superillu einen Bogen von ihrer Schulzeit zu einer ihrer Lehrerinnen, die ihr damals (wohl Mitte der 1970er-Jahre) von ihrem Mann erzählte. Dessen Name: Hans Coppi, der 1942 geborene Sohn von Hans und Hilde Coppi, Mitglieder der Roten Kapelle, die dem Fallbeil der Faschisten zum Opfer fielen. Sein Vater Hans mit 26 Jahren am 22. Dezember 1942 und die junge Mutter am 5. August 1943, nicht einmal ein dreiviertel Jahr nach der Geburt ihres Sohnes.

Die Autorin bewertete in diesem Zusammenhang das ihr als Kind und Jugendliche in der DDR vermittelte Geschichtswissen „selbstbewusst“ mit der Note zwei bis drei. Sie stellte sich dabei die Frage, wie viel sie in der Schule über die Zeit des Faschismus gelernt hat. Mich lässt die Frage nicht los. Wie wird die Erinnerung an den Widerstand gegen die verbrecherische Nazidiktatur wachgehalten und wie entsteht überhaupt ein geschichtliches Wissen bei heranwachsenden Menschen?

Mildre Harnack (l. ,„Rote Kapelle“) und Sophie Scholl („Weiße Rose“) – undatierte Archivbilder
Mildre Harnack (l. ,„Rote Kapelle“) und Sophie Scholl („Weiße Rose“) – undatierte Archivbilderdpa

DDR: Erinnerung an deutschen Widerstand war omnipräsent

Dazu meine kleine Geschichte. Meine Mutter wurde 1954 nach einem Studium Leiterin einer Jugendherberge in Jonsdorf, einem kleinen Kurort im Zittauer Gebirge. Diese Herberge trug den Namen Hilde Coppi. Wir wohnten auch in dem großen Haus, ein in der Weimarer Republik von Arbeitersportlern errichtetes Landheim. Für uns Kinder also auch Lebens- und Erlebnisort.

Alle Schlafräume der Herberge trugen ebenfalls Namen von Antifaschisten, von Widerstandskämpfern, wie auch zwei weitere, kleinere Herbergen in Jonsdorf nach Bruno Tesch und Walter Husemann benannt waren. Ein größeres Zimmer hieß „Weiße Rose“. Der Name fiel nicht nur für uns Kinder aus dem Rahmen, aber wir erfuhren, dass dahinter die Geschwister Scholl standen. Das Schicksal Hilde Coppis bewegte meinen Bruder und mich, neun und zehn Jahre alt, sehr. Sie musste sterben, als sie so jung wie unsere Mutter damals war.

Ich versuche, mich in diese meine Schulzeit der 1950er-Jahre bis zu meinem Abitur zurückzuversetzen. Ich finde eine in der siebten oder achten Klasse selbst gezeichnete Karte vom Verlauf des Zweiten Weltkrieges und dem Sieg der Roten Armee. Ich erinnere mich an unseren Russischlehrer, von dem wir wussten und auch schon begriffen, dass ihm zehn Jahre seiner Jugend als 1938 eingezogener Soldat der Wehrmacht im Krieg und in sowjetischer Gefangenschaft genommen wurden. Er brachte uns die russische Sprache übrigens gut bei.

Ich halte ein mit „letzten Briefen“ von verurteilten Widerstandskämpfern gedrucktes Heft aus dieser Zeit in der Hand, das damals wohl für eine gute schulische Leistung überreicht wurde.  Für uns war in dieser Zeit Bücher lesen, Kinderhörspiele im Radio hören und ins Kino gehen ein wichtiger Zeitvertreib. Nolls Buch „Werner Holt“ habe ich zuerst als damals noch üblichen Fortsetzungsroman in der Zeitung gelesen – immer gespannt auf die nächste Ausgabe.

Ich erinnere mich an Geschichten und Filme, die zum Teil auch Schulstoff waren. In der Oberschulzeit sahen wir unter anderem sowjetische Filme wie die drei Teile des „Stillen Don“, „Die Kraniche ziehen“, „Ein Menschenschicksal“, die Defa-Filme „Das Lied der Matrosen“, „Nackt unter Wölfen“. Die Dokumentarfilme „Du und mancher Kamerad“ der Thorndikes oder später Michail Romms „Der gewöhnliche Faschismus“ hatten eine große Wirkung.

Auch aus heutiger, durch Lebenserfahrung und ein differenzierteres Geschichtsbild geprägter Sicht haben mich diese Literatur, diese Filme neben dem Lebensalltag geprägt, wissender gemacht – und das mit nur wenigen Abstrichen. Ich denke, das ging auch vielen anderen Alters- und Zeitgenossen in der DDR so. Das gilt auch für den Defa-Film „KLK an PLX – Die Rote Kapelle“ von 1970. Auch wenn die überhöhte, nicht belegte Darstellung der Verbindungen zur sowjetischen Seite zu kritisieren ist, der im Film zu erlebende Mut, die Hingabe und die Lebensbejahung der geehrten Menschen bleiben für mich gültig.

Erst später gab es in der alten BRD vergleichbare Spielfilme; ganz abgesehen von der nach 1945 lange gepflegten Denunziation gerade dieses Widerstandes als „Vaterlandsverrat“, als kommunistisches Spionagenetzwerk. So unterscheiden sich meine Kindheitserinnerungen sicherlich von den Kino- oder Bucherlebnissen der gleichaltrigen Generation in dem anderen deutschen Staat.

Hans Coppi (l.) und Fritz Gabbe in Velten, 1940
Hans Coppi (l.) und Fritz Gabbe in Velten, 1940CC BY-SA 4.0

Meine Bekanntschaft mit Hans Coppi

Hans Coppi begegnete ich zum ersten Mal persönlich am Ende beziehungsweise nach meinem Studium an der Humboldt-Universität Anfang der 1970er-Jahre. Uns führte – fast gleichaltrig – die gesellschaftliche Arbeit zusammen. Meine Kindheitsgeschichte bildete eine besondere Brücke zu ihm. Erst nach 1990 trafen wir uns wieder. Hans Coppi in seiner Arbeit in der Berliner „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN-BdA), er war von 2004 bis 2017 ihr Vorsitzender, ich als Bezirksstadtrat in Marzahn-Hellersdorf.

So sprach er auf Gedenkveranstaltungen unserer Bezirksverordnetenversammlung. Beklemmend ein Zusammentreffen auf dem Parkfriedhof in Marzahn vor wenigen Jahren, als der Polizei nichts Besseres einfiel, als den Zugang von Teilnehmer:innen, darunter auch von Hans Coppi, zu einer antifaschistischen Veranstaltung in Erinnerung an die Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945 zu verhindern. Denn die AfD hatte versucht, dieses traditionelle Gedenken für sich zu vereinnahmen.

Hans Coppi hat sich als Historiker der Erforschung des Widerstandes gewidmet, unter anderem gemeinsam mit Stefan Heinz als Herausgeber des von der International Labor History Association gewürdigten Buches „Der vergessene Widerstand der Arbeiter. Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten, Zwangsarbeiter“.

Stolperstein für Hans Coppi vor der Seidelstraße 23 (Berlin-Tegel)
Stolperstein für Hans Coppi vor der Seidelstraße 23 (Berlin-Tegel)CC BY-SA 3.0

In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand kann man seine Gedanken und sein Wissen nicht nur über seine Eltern, sondern die Rote Kapelle bewegend hören und erfahren. Es gibt heute in der Bundesrepublik noch Straßen und Einrichtungen, die an Hans und Hilde Coppi erinnern. Meiner Jugendherberge allerdings wurde nach fast 40 Jahren mit der deutschen Einheit ihr Name genommen, wie an manch anderen Orten in der ehemaligen DDR solche Namen nicht mehr opportun schienen und abgelegt wurden. Sie hieß nun bis zu ihrer Schließung Dreiländereck.

Hans Coppi wird am 27. November 80 Jahre alt. Ein Gruß zu seinem Geburtstag.

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