Ausstellungseröffnung

Warum Adolf Hitler die Widerständler der Roten Kapelle so hasste

Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand räumt mit den Verunglimpfungen und Legenden um die Rote Kapelle auf und blickt auf die Menschen.

Harro und Libertas Schulze-Boysen um 1938. Beide wurden am 22. Dezember in Berlin-Plötzensee von den Nationalsozialisten ermordet.
Harro und Libertas Schulze-Boysen um 1938. Beide wurden am 22. Dezember in Berlin-Plötzensee von den Nationalsozialisten ermordet.Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Den Namen Rote Kapelle hat die Gestapo selbst der Widerstandsgruppe gegeben. Man hielt die um den Luftwaffenleutnant Harro Schulze-Boysen und den Nationalökonomen Arvid Harnack versammelten Männer und Frauen für eine von der Sowjetunion gelenkte, straffe Organisation von Vaterlandsverrätern. „Kapelle“ steht für den Zusammenschluss von „Pianisten“, wie die Gestapo Spione nannte, weil sie mit den Tasten von Morsegeräten dem Feind Geheimnisse durchgaben. Und das Rot sollte für ihre kommunistische Ausrichtung stehen. Beides trifft nicht zu und verzerrt die Perspektive.

Mehr als 120 Menschen nahm die Gestapo im Herbst 1942 fest. Ein Funkspruch des sowjetischen Militärgeheimdienstes von Brüssel nach Moskau beinhaltete Adressen und Treffpunkte der Widerständler. Den Nazis gelang es, ihn abzufangen und zu entschlüsseln. Fast 50 Mitglieder der Roten Kapelle wurden in den folgenden Wochen zum Tode verurteilt, weitere ohne ein Verfahren ermordet. Weil sich diese Ereignisse 2022 zum 80. Mal jähren, wurde am 14. Juli die Sonderausstellung „Überlebende der Roten Kapelle sprechen“ in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand eröffnet. Stefan Roloff, Künstler und Sohn eines Überlebenden, hat sie kuratiert.

Hitler ließ in Plötzensee einen Galgen für die Widerständler errichten

Die Rote Kapelle war gerade keine straff organisierte homogene kommunistische Widerstandsgruppe, sondern, wie Kurator Roloff sagt, eine „Diagonale durch die Gesellschaft“. Unter ihren Mitgliedern waren gläubige Christen, Sozialdemokraten, Kommunisten und vor allem auch Militärs und Ministerialbeamte. Eben dies erboste Hitler umso mehr, sodass er befahl, die Widerständler zu erhängen. Zum ersten Mal wurde diese Art der Todesstrafe unter den Nationalsozialisten angewandt. Die „Verräter“ sollten den erniedrigenden Tod am Galgen sterben.

In seiner Rede zur Ausstellungseröffnung am Donnerstag sagte Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand: „Außer den Verschwörern vom 20. Juli gab es keine Gruppe, die Hitler derart hasste, wie die Rote Kapelle. Der Widerstand kam aus Teilen der Gesellschaft, die der Nationalsozialismus längst vereinnahmt zu haben glaubte.“

Künstler und Kurator Stefan Roloff vor den Installationen seiner Ausstellung „Zeitzeugnisse – Überlebende der Roten Kapelle sprechen“
Künstler und Kurator Stefan Roloff vor den Installationen seiner Ausstellung „Zeitzeugnisse – Überlebende der Roten Kapelle sprechen“Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Unter den zum Tode Verurteilten war auch die neunzehnjährige Liane Berkowitz. Sogar das Reichskriegsgericht hatte empfohlen, die junge Frau zu begnadigen. Hitler aber setzte sich darüber hinweg und befahl, auch sie hinzurichten. Ihr sogenanntes Vergehen: Sie hatte ungefähr 50 regierungskritische Klebezettel an Hauswänden angebracht. Allein diese Anweisung zeigt für Tuchel, mit welchem „blindwütigen Hass“ Hitler gegen die Rote Kapelle vorging.

Widerstand gegen die Nazis war in der Mitte der Gesellschaft möglich

Es ist die weltanschauliche und soziale Vielseitigkeit des lockeren, vor allem freundschaftlich verbundenen Kreises um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack, die ihn auszeichnet – und die Entschlossenheit, ernsthaft gegen die nationalsozialistische Diktatur vorzugehen. Viele junge Paare, viele Frauen waren unter den Verschwörern. Sie zeigen, dass Widerstand gegen die Nazis nicht nur vom Militär ausgehend, sondern mitten in der Gesellschaft möglich war. Durch Flugblätter, Aufkleber und Treffen versuchten die Widerständler eine Art der Gegenöffentlichkeit herzustellen und die Gesellschaft auf die Verbrechen und Morde der Nazis aufmerksam zu machen, sie gegen Hitler aufzubringen.

Trotzdem war die Erinnerung an die Rote Kapelle noch viele Jahrzehnte nach Kriegsende von der Diffamierung ihrer Mitglieder und historisch falschen Darstellungen geprägt. Während man in Westdeutschland lange das Narrativ der Gestapo über eine volksverräterische Spionageorganisation fortschrieb, wurde die Gruppe in der DDR auf ihre Verbindungen zur Sowjetunion reduziert und eine kommunistische Ausrichtung behauptet. Erst 2009 wurden die Urteile des Reichskriegsgerichts über die meisten Mitglieder der Roten Kapelle gemeinsam mit allen Urteilen wegen Kriegsverrats pauschal aufgehoben. Bis dahin waren alle Versuche, die Gesamtheit dieser Urteile zu kippen, gescheitert.

Was ist in der neuen Ausstellung zu sehen?

Stefan Roloffs Ausstellung will mit den fehlerhaften und verunglimpfenden Erinnerungen an die Rote Kapelle aufräumen. Auf Bildschirmen sprechen Überlebende und Angehörige direkt zu den Besucherinnen und Besuchern. In seltsam farbenfroh tapezierten Kabinen kann man so unter anderem dem Bruder von Harro Schulze-Boysen zuhören, der erklärt, warum sein Bruder „Hitler kein Kind schenken“ wollte und dass er ein „Antinazi der allerersten Stunde“ war.

Und warum die Tapeten? Stefan Roloff: „Ich habe einmal versehentlich eine Tapete aus den 20er-Jahren freigelegt. Das Muster zeugte für mich von einer Zeit vor den Nazis, die von immenser Freiheit und auch Lebenslust geprägt war. Warum Menschen, die so frei waren, dann den Nazis anhingen, ist für mich bis heute schwer nachvollziehbar.“ Sehr wenige hatten den Mut, sich dagegenzustellen. Stefan Roloffs Ausstellung hilft dabei, sie nicht zu vergessen und sie endlich als das zu verstehen, was sie waren: Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen und sozialer Prägungen mit einer gemeinsamen Vision: den Verbrechen der Nationalsozialisten ein Ende zu setzen.

Zeitzeugnisse – Überlebende der Roten Kapelle sprechen. Eine Sonderausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13–14, bis 4. Dezember. Mo–Fr 9–18 Uhr, Wochenende, Feiertage: Informationen unter Tel.: 26 99 50 00 oder: www.gdw.de