Dies ist ein Open-Source-Beitrag. Der Berliner Verlag gibt allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.
Am 7. Oktober 2025 wurde im Potsdamer Landtag die Ausstellung mit Bildern von Lea und Hans Grundig unter dem Titel „Krieg und Frieden“ eröffnet, die über 200 Werke beider Künstler zeigt. Da die Ausstellung in der Mehrzahl der Medien durch die Anwesenheit des schweigenden russischen Botschafters breit diskutiert wurde, die Ausstellung jedoch in fast entwürdigender Art unbeachtet blieb, möchte ich mich als Familienmitglied von Lea Grundig etwas ausführlicher der Künstlerin und ihrem Werk widmen.
Mein Mann und ich erhielten eine Einladung von der Leihgeberin Maria Heiner aus Dresden für die Eröffnung der Ausstellung und freuten uns, wie immer, wenn Leas und Hans’ Werke gezeigt, wieder ins Gedächtnis gerückt und einer neuen Rezipientenschaft zugänglich gemacht werden. Mein Mann ist der Großcousin von Lea Grundig und mehr als das: Der Vater meines Mannes, Cousin von Lea, ist teilweise bei Leas Familie aufgewachsen. Deshalb möchte ich mich in meinem Beitrag auf Lea Grundig konzentrieren.
Wir hatten zu Lea zu ihren Lebzeiten engen familiären Kontakt und haben viele persönliche Erinnerungen an ihr fröhliches und gleichzeitig ernstes Wesen, das bis ins hohe Alter von Arbeitslust, Selbstdisziplin und Neugierde geprägt war. Sie arbeitete, auch noch im Alter, fast jeden Tag in ihrem Atelier oder unterrichtete an der Kunstakademie in Dresden, war ständig auf der Suche nach neuen Themen und der Überlegung, wie sie diese künstlerisch umsetzen könnte. Sie war immer von dem Gedanken beseelt, wie sie die Welt mit ihrer Kunst ein bisschen besser machen könnte, gerechter und vor allem friedlicher.
Sie konnte das Leben, das bei ihr oft auf dem Spiel stand, sehr wohl schätzen
Lea war kein einfacher Mensch, mit ihr hatten es alle schwer, die Erfolg an Karriere, Vorteilsnahme und Gewinn maßen. Diese Frau, die längere Zeit im Gefängnis gesessen hatte, von der Gestapo verhört worden war, deren meisten Familienangehörige von den Nazis brutal ermordet wurden, die von ihrem Mann gewaltsam getrennt wurde, eine gefährliche Flucht nach Palästina hinter sich hatte und sich in dem für sie fremden Land zurechtfinden musste, wurde nach ihrer Rückkehr nicht unbedingt hartherzig, aber moralisch anspruchsvoll und konnte das Leben, das bei ihr zahlreiche Male auf dem Spiel stand, sehr wohl schätzen.
Egal, wie groß die Gefahren und egal wie widrig die Umstände waren, Lea blieb immer Künstlerin und ein politischer Mensch. Es war ihre Bestimmung. Wie selten ein anderer Mensch, dem ich in meinem Leben begegnete, konnte sie zwischen „wichtig“ und „unwichtig“ unterscheiden. Und ihre Arbeit als Malerin hatte für sie absolute Priorität. Wenn Lea zum Beispiel auf einem Familienfest anwesend war, brach sie trotz aller Bitten, länger zu bleiben, immer punkt 21 Uhr auf, um zeitig schlafen zu gehen und am nächsten Tag für ihre Arbeit wieder fit zu sein.

Mir stand Lea innerhalb der Familie Zimmering besonders nahe, vielleicht weil ich selbst aus einer Künstlerfamilie stammte und mir viele ihrer Lebenseinstellungen und Sichtweisen vertraut waren, ich mich beim Geruch von Farbe und Papier heimisch fühlte, aber vielleicht auch deswegen, weil uns oft dieselben Themen bewegten. Als ich sie kennenlernte, studierte ich gerade Geschichte. Wir diskutierten viel miteinander. Unsere beiden Hauptthemen in dieser Zeit waren der „Deutsche Bauernkrieg“ und Thomas Münzer, zu dem ich als Historikerin, wie auch mein Vater als Maler, eine besondere Affinität als revolutionäres Erbe empfanden.
Das zweite Thema war „Chile“, erst die Hoffnung auf eine „friedliche Revolution“ unter Salvador Allende und dann der Schrecken des Putsches unter Pinochet. Ich schrieb damals gerade an der Humboldt-Universität meine Diplomarbeit zu diesem Thema. Lea malte sowohl zum ersten als auch zum zweiten Thema beeindruckende Zyklen. Stundenlang sprachen Lea und ich über diese Ereignisse mit dem Fokus auf gesellschaftlichen Wandel und die Möglichkeiten und Bedingungen von sozialen Revolutionen. Lea wollte immer wissen, was ich als junger Mensch und Historikerin dazu dachte. Beide teilten wir unsere Freude über die Visionen dieser Ereignisse und den Mut der Akteur:innen, aber auch unsere Ratlosigkeit und Traurigkeit über deren Scheitern. Wir suchten gemeinsam nach Erklärungen.
Lea Grundig wollte die Wahrheit hinter den Erscheinungsbildern erkunden
Obwohl sich Lea als Malerin in erster Linie vom Visuellen und Sensitives leiten ließ, recherchierte sie immer gründlich zu ihren Themen. Sie wollte sich nicht vom äußeren Erscheinungsbild „verführen“ lassen, wollte die Wahrheit dahinter erkunden und diese dann mit einer überhöhenden Symbolik in ihren Bildern dem Zuschauer zugänglich machen. Sie wollte über die Interessen hinter Handlungen aufzuklären. Diese Charakteristika prägen immer wieder ihre Bilder. In den frühen Bildern der 1930er-Jahre, die das Gros der Ausstellung im Brandenburger Landtag ausmacht, wird das sehr deutlich. Immer wieder warnt sie vor dem heraufziehenden Krieg, verweist darauf, dass das Elend der Hinterhofkinder und der armen Mütter der Vorhof zum Krieg sind. Besonders eindrucksvoll sind die Bilder über die Schrecken des Krieges. Durch ihre gesellschaftliche und politische Analysefähigkeit konnte sie den Krieg in den 1930er-Jahren vorauszusehen, bevor der Krieg überhaupt begonnen hatte.

Diese Motive verkörpern besonders die Bilder der trotzig aufrecht stehenden, anklagenden „Pieta“ mit ihrem toten Mann in den Armen von 1937, der „Schrei“ von 1937, in dem man den Schmerz des Krieges fast körperlich spüren kann, und das Bild „Krieg droht“ aus dem selben Jahr, auf dem Menschen taumelnd in einen bodenlosen Graben wie bei Hieronymus Bosch abrutschen. In der Zeit des Vorkrieges denkt Lea schon den Krieg voraus, der immer unausweichlicher und schon lange vorbereitet wurde. Aber auch in dem Bild „Tausenfach Hieroschima“ von 1977, eines ihrer letzten Bilder, auf dem ein nacktes Baby mit entsetztem gen Himmel gerichteten Blick von krallenden Händen aus dem Feuer gehoben wird, warnt Lea vor der Gefahr eines Atomkrieges. Unwillkürlich denkt man beim Anblick dieses hilflosen, schutzlosen Babys an die Kinder von Gaza.
Diese Ausstellung ist nicht nur historisch. Es war nicht „früher“. Die Sprache von Lea trägt Gegenwart in sich. Es ist das, was eine große Künstlerin ausmacht, allgemein und über die Zeiten gültig zu sein. In der düsteren Vision der 1930er-Jahre scheint plötzlich ein gegenwärtiges grelles Erschrecken auf. Auch damals wurde aufgerüstet, bildeten sich totfeindliche hochgerüstete Blöcke, war die Rüstungsindustrie in Deutschland Wirtschaftstreiber und es wurden schreckliche Feindbilder produziert.
Kunst kann eine wichtige Brücke zum Frieden sein
Ist nicht „Kriegstüchtigkeit“ schon Vorkrieg oder befinden wir uns bereits im Krieg? Diesen Fragen kann man beim Anblick der Bilder nicht ausweichen. Ist es der Spiegel, der in diesen Kunstwerken blinkt, der jetzt in Zeiten der offiziellen Kriegstüchtigkeit, so verstörend wirkt, dass es von derartigen Ausstellungen und Warnungen vor den Schrecken eines Krieg überhaupt immer weniger gibt? Der Spiegel erblindet allmählich und der „Schrei“ in Leas Bild erstickt. Der „Schreienden“ wird mehr und mehr der Mund zugehalten.
Wir fragen uns, und diese Frage wurde zur Ausstellungseröffnung auch in den Reden von Dr. Maria Heiner und des Fraktionsvorsitzenden des BSW Niels Olaf Lüders, und später vom Moderator an die Diskutant:innen gerichtet, unter denen sich die Publizistin Daniela Dahn, der Regisseur Reinhard Simon und der Autor Torsten Harmsen befanden: „Wie kommt man aus der Situation des Vorkrieges und der schon laufenden Kriege heraus? Wie kann man Frieden schließen?“
Es wurde keine befriedigende Antwort gefunden, außer dass man sich sicher war, dass viele Schritte nötig sind und nichts umsonst ist, was dem Frieden dient, wie Daniela Dahn sinngemäß sagte. Dazu gehören die Aufklärung durch die Kunst, die Friedensbewegung, aber auch das „Miteinander-Reden“ und die Diplomatie. Das Töten und die schrecklichen Kriege in der Ukraine, in Gaza und anderswo müssen beendet werden, wie am Anfang der Veranstaltung Maria Heiner in ihrer Rede eindringlich forderte.
Diplomatie gehört zum Frieden und dort, wo die Diplomatie aufhört, hat der Krieg freie Bahn. Und Kunst kann eine wichtige Brücke zum Frieden sein. Und deshalb war es auch gut, dass der russische Botschafter zur Ausstellungseröffnung zum Thema „Krieg und Frieden“ anwesend war. Eingeladen waren 40 Botschafter, auch der US-amerikanische und ukrainische. Gekommen ist nur Sergej Netschajew. Für mich war das ein Zeichen des Friedens in Zeiten zunehmender Konfrontation und Eskalation. Aber es gibt auch wichtige Schritte in Richtung Frieden: zuallererst die riesigen Antikriegsdemonstrationen in der ganzen Welt, aber auch tastende politische Initiativen und Anfänge des Überdenkens von wichtigen politischen Akteuren.
Die Enkelin fragte, ob nun der „russische Postbote“ da gewesen sei
Ich verstehe nicht, warum die Anwesenheit des russischen Botschafters schlecht gewesen sein sollte, wie es in der Mehrzahl der offiziellen Medien in großer Übereinstimmung heißt und wie es eine Reihe von Abgeordneten des Brandenburger Landtages zum Ausdruck bringt. Meine kleine Enkelin fragte mich nach der Veranstaltung, ob nun der „russische Postbote“ da gewesen sei. Erst wusste ich nicht, was sie meint und verstand erst nach einer Weile, dass sie „Botschafter“ mit „Postbote“ verwechselte. Erst musste ich schallend lachen, dann dachte ich mir, vielleicht ist dieser Begriff gar nicht so schlecht, denn durch die Anwesenheit des Botschafters werden Botschaften ausgetauscht, sie werden im „Postboten-Modus“ hin und her getragen. Und von der Ausstellung ging die Botschaft des Friedens aus.
Ich denke, dass Lea Grundig die Ausstellungseröffnung gefallen hätte, denn sie war jemand, der immer gegen den Strom schwamm, aber immer auch diplomatisch war und deshalb vieles bewegen konnte. Vielleicht war die Anwesenheit des russischen Botschafters ein erster kleiner Schritt im „Miteinander“ in der gemeinsamen Betrachtung der gegen den Krieg gerichteten Bilder und ein kleiner Schritt zum „Vorfrieden“. Denn der Mund der Schreienden auf Leas Bild darf nie zugehalten werden, von wem auch immer!





