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Berlin-Pass oder Ticket S? Egal, für die betroffenen Bürger nimmt der Ärger kein Ende

Die Posse um das Sozialticket zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs treibt immer neue Blüten. Unser Autor flüchtet sich in Sarkasmus.

Eigentlich sollte der Berlin-Pass Bürgern, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben erleichtern, etwa durch eine Ermäßigung beim Museumsbesuch.
Eigentlich sollte der Berlin-Pass Bürgern, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, die Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben erleichtern, etwa durch eine Ermäßigung beim Museumsbesuch.Thomas Trutschel/imago

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Neulich erschien in dieser Zeitung ein Artikel mit dem Titel: „Dysfunktionale Verwaltung“. Ein weiteres Beispiel dafür findet man in der Abschaffung des Berlin-Passes: Mit dem einfachen Ausweisdokument konnten sich Rentner mit Bezug von Grundsicherung einst an einigen Stellen als ermäßigungsberechtigt ausweisen.

Bis Ende 2022 gab es diesen nahezu fälschungssicheren, mit Foto und amtlichem Stempel versehenen Ausweis sehr unbürokratisch und einfach bei den Bürgerämtern. Unter Vorlage eines aktuellen Leistungsbescheides und des Personalausweises wurde – ohne einen Termin buchen zu müssen – am Anmeldungstresen der jeweiligen Amtsstelle eine kleine Karte aus umweltschonendem Papier ausgestellt, das Dokument konnte sogar dreimal verlängert werden. Diese Amtshandlung dauerte in der Regel nur wenige Minuten und wurde zumeist fachgerecht durchgeführt.

Umweltschädliche Plastikkarte

Dann änderte sich dieses Verfahren. Vermutlich wollte das Bürgeramt diesen lästigen Verwaltungsakt wegen der immer größeren Sparzwänge loswerden. Eine Vereinfachung fand jedoch in keinem Fall statt, für niemanden. Das Gegenteil war der Fall.

Ursprünglich ein unkompliziert zu beantragender Pass aus Papier: der Berlin-Pass
Ursprünglich ein unkompliziert zu beantragender Pass aus Papier: der Berlin-PassBritta Pedersen/dpa

Nun wurde die BVG ermächtigt, eine sogenannte Kundenkarte Berlin S stellvertretend für das bisherige Ausweisdokument zu entwickeln. Die BVG als ausführende Kontrollbehörde für das Bürgeramt? Wer hat dies veranlasst? Wie hoch waren die Kosten dafür? Und wer bezahlt diese Rechnung? Von welchem Konto?

Kreiert wurde eine umweltschädliche Plastikkarte für den jeweils geltenden Zeitraum, die man nur erhielt, wenn man seine sämtlichen persönlichen und durchaus sensiblen Daten einreichte. Danach ging das Ganze wieder von vorne los. Notwendig war nun die Vorlage folgender Dokumente: eine Kopie des Personalausweises, ein sogenannter Berechtigungsnachweis von der entsprechenden Behörde, ausgegeben als zusätzlicher, händisch ausgefertigter OR-Code, und ein biometrisches Foto.

Klingt kompliziert? War es auch! Anfänglich gab es für Menschen ohne Online-Anschluss keine Möglichkeit, einen Antrag zu stellen, was offensichtlich vorher niemandem aufgefallen war. Drei Monate später wurde in der Halle vor (!) dem BVG-Kundenzentrum am Bahnhof Zoo immerhin ein Briefkasten für schriftliche Anträge aufgestellt.

Gedenkstele für digitale Ausgrenzung

Ich hatte den Eindruck, dass dieser niemals geleert wurde, denn aus dem Briefschlitz dieses mannshohen Kastens quollen viele dieser schriftlichen Anträge, wodurch die persönlichen Daten der Antragsteller für jedermann tagelang frei zugänglich waren. Da meine drei dort eingeworfenen Testanträge niemals bearbeitet worden sind, nenne ich diesen Kasten Rundablage. Diese steht dort noch immer und ist für mich eine Gedenkstele für digitale Ausgrenzung.

Aber auch sonst war dieses unausgegorene Projekt von Anfang an ein Bürokratiemonster mit ständigen Fristverlängerungen, Übergangslösungen und einem unglaublichen Verwaltungs-, Personal- und Kostenaufwand. Neben dem Fehlen jeglichen Datenschutzes waren auch die verschiedenen Zuständigkeiten so ungeklärt, dass kaum jemand eine solche Karte erhielt. Natürlich war die BVG mit dieser Aufgabe vollkommen überfordert, sodass die „Reform“ erst nach neun Monaten einigermaßen funktionierte. Auf meine Hinweise an den zuständigen Datenschutzbeauftragten in Moabit, an Frau Giffey und Frau Kiziltepe wurde entweder nur der Kopf geschüttelt, auf die eigene Nichtzuständigkeit hingewiesen, oder ich bekam erst gar keine Antwort.

Die Kundenkarte S der BVG als Ersatz für den Berlin-Pass war erwartungsgemäß mangelhaft.
Die Kundenkarte S der BVG als Ersatz für den Berlin-Pass war erwartungsgemäß mangelhaft.Schöning/imago

Alles andere als fälschungssicher

Nach schon zwei Jahren hat man nun offensichtlich selbst bemerkt, wie unsicher, aufwendig und unprofessionell dieses Verfahren war und hat es zum Ende des Jahres wegen des zweifelhaften Datenschutzes – diesmal ersatzlos – eingestellt. Nun gibt es überhaupt kein Dokument mehr, um sich als ermäßigungsberechtigt auszuweisen.

Jetzt hat der betreffende Bürger – je nach Personenkreis – das Original oder eine Kopie seines Leistungsbescheides im DIN-A4-Format sowie den Personalausweis mitzuführen und vor jeder Kasse auszubreiten, was nicht nur diskriminierend, sondern auch alles andere als fälschungssicher sein dürfte. Jetzt werden mit der Überprüfung der Berechtigung einer Ermäßigung die jeweiligen dafür nicht ausgebildeten und schon gar nicht bezahlten Kassenkräfte beauftragt. Ob dort die verschiedenen komplizierten Regelungen des Senats von Berlin tatsächlich bekannt sind, bleibt zu bezweifeln.

Auf die Ratlosigkeit oder Willkür der – mit Verlaub – legendär unfreundlichen Fahrscheinkontrolleure der BVG bin ich gespannt. Auch diese Maßnahme gilt natürlich wieder nur vorläufig bis zum 30. Juni 2025. Ein ewiges Provisorium.

Eine Rückkehr zu dem bewährten einfachen System mit Papier und Stempel scheint ausgeschlossen zu sein. Wer möchte sich schon eine Blöße geben und einen Fehler einräumen. Aber in gegenseitigen Schuldzuweisungen oder fehlender Zuständigkeit sind unsere Behörden weiterhin Weltklasse.

Bezahlen darf das Ganze der Bürger. Als gerechter Ausgleich für den jahrelangen Ärger der Betroffenen wird der Preis für das unter der Bezeichnung Berlin-Ticket S eingeführte Ausweisdokument ab April 2025 von neun auf 19 Euro mehr als verdoppelt.

Michael Hellebrand hat als Taxifahrer, Beleuchter an der Volksbühne, Filmvorführer am Zoo-Palast und Musiker gearbeitet. Bis 2023 war er Stadtführer und Rikschafahrer in Berlin. Heute ist der Lebenskünstler zweifacher Großvater.

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