Unbehagen beim Zeitungskauf. Am Kiosk liegen die beiden großen deutschen Magazine nebeneinander. Der Spiegel zeigt Wladimir Putin auf dem Hoodie eines Russen: „Er ist das Volk“, lautet die Schlagzeile. Das Nachrichtenmagazin geht der Frage nach, warum so viele Russen für Putins Krieg sind. Vom Heraufziehen eines neuen Faschismus war zuletzt vielfach die Rede, historische Analogien wurden ebenso aufgestellt wie Mutmaßungen über den Sozialtypus des Russen und dessen Verhältnis zur Gewalt. Zu Beginn des Krieges wurden derlei Äußerungen noch als rassistisch verdächtigt. Inzwischen liest man die oft gut begründeten Thesen als erschreckende Prognosen für das, was bevorsteht.
Das Hamburger Spiegel-Pendant, der Stern, hat mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder gesprochen. „Warum soll ich mich entschuldigen?“, lautet die Zeile. Der Titel zeigt einen schwer gealterten Mann. Es wirkt so, als seien die Furchen in Schröders Gesicht eine Reaktion auf die öffentliche Abweisung, die er durch seine scheinbar unverbrüchliche Treue zu Putin erfahren hat. Sein Antlitz drückt Trotz aus, aber auch den Schmerz, selbst von engen Freunden verschmäht worden zu sein.
Schröders Kläglichkeit
Die abgegriffene Phrase von den weißen alten Männern übergeht die Dramen, die sich in den Biografien der einst Mächtigen abspielen, wenn sie erkennen müssen, dass die Zeit über sie hinweggegangen ist. Erwächst die Würde des Alters nicht auch aus der Einsicht in die abnehmende Bedeutung? Schröders Kläglichkeit besteht vor allem in der fatalen Fixierung auf einen diabolischen Machtmenschen, der seine Herrschaft ausbauen, aber zu keinem Zeitpunkt übergeben wollte.
Wer in den 60er- und 70er-Jahren sozialisiert wurde, war ebenfalls mit alternden Spielern der Macht konfrontiert: Adenauer, Strauß, Kiesinger. Diese hatten gesellschaftliche Pendants, die als Vorbild galten, weil sie in jungen Jahren dem Nationalsozialismus getrotzt und noch einiges für die gesellschaftliche Modernisierung zu bieten hatten. Der Journalist Axel Eggebrecht hatte zu Beginn der 80er-Jahre bei Rowohlt einen Band unter dem Titel „Die zornigen alten Männer“ herausgebracht, in dem u. a. Heinrich Böll, Henrich Albertz, Jean Améry, Eugen Kogon und Ossip Flechtheim ihre Gedanken über Deutschland seit 1945 formulierten. Sie schienen den Zugriff auf eine Geschichtserfahrung zu ermöglichen, die in die Zukunft weist.

