An Sonnabenden setzte ich mich manchmal – ganz altmodisch – mit einem Bündel Zeitungen unterm Arm abseits des Friedenauer Wochenmarktes auf eine Parkbank am Renée-Sintenis-Platz. Gleich nebenan steht das „Grasende Fohlen“, eine Bronze-Skulptur der Berliner Bildhauerin Renée Sintenis, die nach Überwindung des NS-Regimes einige Berühmtheit durch die Gestaltung des Berlinale-Bären erlangte. Die ästhetische Spannung, die aus der Verletzlichkeit des dargestellten Tieres und dem witterungsfesten Material, aus dem es geschaffen ist, entsteht, verleiht diesem Platz eine markante Aura aus Idyll und Urbanität, als bedingten sie einander. Täusche ich mich oder meine ich den nur wenige Meter entfernt den Platz umfließenden Verkehr kaum zu vernehmen?
Das Friedenauer Viertel, wo Uwe Johnson, Max Frisch und Günter Grass einst nur wenige Meter entfernt gelebt und geschrieben haben, zeichnet sich durch die liebliche Gründerzeitarchitektur einiger gut erhaltener Stadtvillen aus. Fußgänger, Rad- und Autorfahrer wissen einander achtsam zu arrangieren. Letztere sind hier vor allem unterwegs, um einen Stellplatz zu suchen. Autofahrer mit Ortskenntnis meiden das enge Viertel und versuchen gar nicht erst, von hier nach da zu kommen.
Radfahrer – die Günstlinge eines historischen Augenblicks
Seit ein paar Jahren aber tobt ein unerbittlicher Straßenkampf, schon 2015 wurde in der Bezirksverordneten-Versammlung (BVV) die Umwidmung der Handjerystraße, in deren Mitte der Renée-Sintenis-Platz liegt, in eine Fahrradstraße beschlossen. In den zurückliegenden sieben Jahren ist vergleichsweise wenig passiert, noch immer hakt es bei der Umsetzung, und selbst Anwohnern und beteiligten Politikern fällt es inzwischen schwer, das Pro und Kontra der Neuausrichtung der Verkehrsführung ohne emotionale Aufwallungen darzustellen. Wenn es eine verkehrspolitische Vernunft gibt, dann scheint sie in Friedenau gerade nicht vorrätig.
Autofahrer kommen in dieser Auseinandersetzung als traurig-überkommene Spezies vor, der nachgesagt wird, die Zeichen der Zeit nicht erkannt zu haben. Sie sollen verschwinden. Radfahrer treten auf, als sei ihre Fortbewegungsart der Günstling eines historischen Augenblicks, scheinen dabei aber nicht mit jener Empfindsamkeit von Fußgängern gerechnet zu haben, die doch gerade in dem „Grasenden Fohlen“ der Sintenis ins Bild gesetzt ist, als sei sie eine Göttin des Schutzbedürftigen. Was eben noch den Eindruck eines gut durchdachten Argumentes zukunftsweisender Mobilität erweckte, wird alsbald von der Kakophonie aus Einwänden und Beschimpfungen geschluckt. Twitter und Facebook sind meine Zeugen. Die neuen Straßenkämpfe sind auch kommunikative Behauptungskämpfe.


