Kommentar zum Infektionsschutz

Corona: Eine Rückkehr zu alten Fehlern darf es nach der Pandemie nicht geben

Deutschlands Gesundheitspolitik hat gezeigt, dass sie lernfähig ist. Ob sie einen überfälligen Systemwechsel schafft, muss aber bezweifelt werden.

Ärzte und Pflegekräfte betreuen Patienten in einem der Behandlungszimmer der Intensivstation in der Universitätsmedizin Rostock. 
Ärzte und Pflegekräfte betreuen Patienten in einem der Behandlungszimmer der Intensivstation in der Universitätsmedizin Rostock. dpa/Jens Büttner

Die erste gute Nachricht zum Thema Corona: Der Abschwung der Sommerwelle erreicht die Intensivstationen der Republik. Die schweren Krankheitsverläufe nehmen ab, der Höhepunkt ist überschritten. Das meldet das Robert-Koch-Institut in seinem aktuellen Wochenbericht.

Die zweite gute Nachricht stammt ebenfalls aus der zurückliegenden Woche, sie lautet: Deutschland rückt endlich von der Eindämmungsstrategie ab, gibt einen Kampf auf, der sich nicht gewinnen lässt. Infektionen mit der weiter dominierenden, hoch ansteckenden Virusvariante Omikron lassen sich nicht auf niedrigem Niveau einpegeln, nicht in der breiten Bevölkerung. Dieses Ziel muss den Schutzbedürftigen vorbehalten bleiben. Der Rest ist irgendwann weitgehend geschützt, weil er sich ansteckt oder impfen lässt oder beides geschieht.

Die dritte gute Nachricht bleibt abzuwarten, zusammengefasst in einem Satz: Wir haben aus der Pandemie gelernt. Immer wieder war während der zurückliegenden zweieinhalb Jahre die Rede davon, Sars-Cov-2 lege sich wie ein Brennglas über gesellschaftliche Probleme. Das Virus sei nicht Ursache, sondern lediglich Verstärker.

Die Gefahr ist groß, dass diese Probleme wieder in den Hintergrund treten, sobald das Brennglas nicht mehr da ist. Dass sie nur noch von jenen wahrgenommen werden, die unmittelbar betroffen sind. Patienten auf hoffnungslos überfüllten Rettungsstationen zum Beispiel, die auf überfordertes Personal treffen und stundenlang warten, bis man sich um sie kümmert. Überlastung des Systems und ein mangelndes öffentliches Interesse daran – zu dieser schädlichen Kombination sollte es nicht mehr kommen.

Gerade die Medizin lehrt, dass es wenig Erfolg verspricht, an Symptomen herumzudoktern, statt die Ursachen einer Krankheit aufzuspüren und zu beseitigen. Eines der Symptome zum Befund „System unter Dauerdruck“ ist die Hygiene in Krankenhäusern und Einrichtungen der Altenpflege. Sie ist lebenswichtig,  überlebenswichtig.

Corona deckt Schwachstellen deutlich auf

Corona hat das deutlich gezeigt. Es reicht nicht, auf einer Intensivstation Beatmungsgeräte zu installieren, ohne qualifiziertes Personal bereitzustellen. In Skandinavien kommt auf einen beatmeten Patienten eine Intensivpflegekraft. In deutschen Kliniken der Maximalversorgung gilt das Verhältnis 2:1 als optimal, liegt zum Teil jedoch bei 3:1 oder 4:1. Unter solchen Bedingungen sind Mängel in der Hygiene nicht immer zu vermeiden, während einer Pandemie zumal, wenn Pflegekräfte ständig ihre Schutzkleidung wechseln müssen und sich der Zeitdruck nochmals verstärkt.

Hygiene erfordert Spezialisten, die die Belegschaft schulen und die Prozesse in einer Klinik überwachen. Hygiene erfordert Patientenzimmer, die sich gut belüften lassen, sie verlangt nach Möglichkeiten, Infizierte von Nichtinfizierten zu trennen, benötigt Gebäude, die sich dafür eignen. Hygiene kostet Geld.

Für Krankenhäuser bedeutet das: Da momentan zusätzliches Personal nicht zu gewinnen ist, sondern eher abwandert, müssten weniger Patienten stationär aufgenommen, deshalb weniger operiert werden. Die Operationssäle aber sind die Cashcows einer Klinik, bringen wichtige Einnahmen. Sind sie nicht ausgelastet, droht schlimmstenfalls die Insolvenz. 

Das ist die Logik eines Systems in Schieflage. Sie erzeugt wirtschaftlichen Druck, der krank machen kann, anstatt zu heilen. Dieser Befund ist unabhängig von den Symptomen einer Pandemie. Er verlangt nach einer grundlegenden Therapie.