Dass seine Majestät zur Verschrobenheit neigt, scheint gut belegt. König Charles III. hat irgendwann seine eigene Meinung entdeckt, seine Haltung. Nicht dass er sie vorher nicht gehabt hätte, doch begann er in den 1980ern auch zu glauben, sie sei von öffentlicher Bedeutung. Der Mann hat Visionen für eine bessere Welt, etwa für ein menschengemäßes Wohnen in landhaushaft gediegenen Spießeridyllen, für eine menschengemäße Medizin durch homöopathisch geschulte Kassenärzte, für total gesunde Nahrungsergänzungsmittel mit Artischocke und Löwenzahn, für iridologische und osteopathische Diagnoseverfahren …
Nennen wir das ein beeindruckendes Potpourri, zu dem auch noch Charles Liebe zur – mittlerweile in England verbotenen – Fuchsjagd und zur Landschaftsmalerei gehören. Oder zur „Harmonie“, so der Titel einer Art philosophischen Manifests, ein „Aufruf zur Revolution“ und gegen die seelenlose Moderne und den zerstörerischen Kapitalismus, gegen die kriegerische Raffgier und tödliche Hässlichkeit unserer Warenwelt und für ein nachhaltiges, umweltverträgliches Wirtschaften, für lebenswerte Städte und ein re-spiritualisiertes Leben. Ein Plädoyer zwischen quasi-marxistischer und ultrareaktionärer Stoßrichtung.
Wir wissen mehr über Charles, als wir eigentlich wissen wollen und sollten
Das alles und noch viel mehr scheint aber nicht nur den typisch britisch anmutenden Spleen des Königs anzuzeigen, sondern ist allein schon deswegen bemerkenswert, dass es bekannt ist. Seit rund 70 Jahren bereitet sich Charles aufs Königsamt vor und hat seine Zeit eben nicht nur für Skandale genutzt, von denen der wohl größte – seine in jeder Hinsicht tragisch gescheiterte Ehe mit Lady Diana – die Monarchie bis heute erschüttert. Und zu denen auch die Mitschriften der intimen Telefonate zwischen ihm um Camilla gehören („Tampon-Gate“). Wir wissen mehr über Charles, als wir eigentlich wissen sollten und auch wollen.
Der König fängt also nicht neu an – so wie seine Mutter Elizabeth II. vor 70 Jahren. Charles ist ein guter Bekannter des Boulevards, ein prägender Charakterdarsteller in der täglich aufgeführten, weltweit übertragenden „Royal Soap“ der Briten. Und er steht unter enormen Druck, in der ersten Woche seiner Regentschaft, in der er sich nicht nur mit den Beisetzungsmodalitäten seiner Mutter zu beschäftigen hatte, war das deutlich zu sehen. Der Mann wird nun auf Schritt und Tritt beobachtet, mehr denn je, und zeigte sich sogar überfordert von einfachen Verrichtungen wie einer Unterschrift auf einem Dokument oder in einem Gästebuch.
Charles III. allzu menschlich: Wenn der König mal die Contenance verliert
Seine Majestät verlor fernsehöffentlich die Contenance, weil der Füller kleckerte. Und schon hieß es aus den üblichen, ungewöhnlich gut informierten Kreisen, Charles habe ein reizbares, forderndes, ungeduldiges und damit gar nicht so vornehmes Wesen. Andere wussten zu berichten, er sei schnell beleidigt und neige zu weinerlichem Selbstmitleid. Auch das wäre mit dem Auftreten eines Königs eher unvereinbar. Kurzum, Charles III. führt sein bisheriges Leben unter nunmehr verschärften Bedingungen fort. Seinen ersten Shitstorm wegen der Tintenfass- und Füllersache hat er schon hinter sich. Weitere Stürme und Skandale werden folgen.
"I can't bear this bloody thing!": King Charles' signing ceremony at Northern Ireland's Hillsborough Castle made one thing clear – even royalty can't escape the frustration of an inadequate pen. pic.twitter.com/nzygNTLslX
— CBS News (@CBSNews) September 13, 2022
Eigentlich hat Charles keine Chance. Ob er sie nutzen wird? Viel war in den letzten Tagen von seinen ökologischen Ambitionen die Rede. Seinem schon Jahrzehnte währenden Engagement für den Schutz der Regenwälder und des Weltklimas – lange vor Greta Thunberg. Doch ob wir uns einen Öko-Prinzen wünschen sollen, der nun einmal in der Woche die britische Regierung mit seinen Überzeugungen berät, ist wegen des tendenziell reaktionären, esoterischen bis elitären Spins seiner durchlauchtigen Überzeugung doch eher fraglich. Nein, einen Öko-Prinzen braucht es so wenig wie einen Öko-Diktator. Der Zweck heiligt die Mittel auch hier nicht.
Charles soll sich um den Kolonialismus des Königshauses kümmern
Das Gewicht des Königsamts würde sich bei allzu viel politischem Gewese ohnehin alsbald in nichts auflösen. Die konstitutionelle Monarchie kennt nur den protokollarischen Ernst. Böse gesagt: die Show. Und die beherrschen die Briten wie allerdings kein anderes Königshaus, wie nun auch das bildstarke Buhei um die Besetzung der Königin eindrucksvoll bestätigt. Was soll Charles da mehr wollen? Im März dieses Jahres nannte er den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vollkommen richtig einen „Angriff auf die Demokratie, auf eine offene Gesellschaft, auf die Freiheit selbst“. Der König als Kämpfer für Demokratie und Freiheit?
Elizabeth II. öffnete das Königshaus dereinst für die Massenmedien, sie wollte als moderne und menschliche Königin erscheinen. Doch setzte sie mit der Öffnung eine unheilvolle, zerstörerische Dynamik frei – die aggressive Boulevardpresse setzt der britischen Monarchie bis heute zu. Das ist ihr unheilvolles Vermächtnis. Charles III. könnte sich politischer geben, die ziemliche Zurückhaltung aufgeben, die Folgen für das Königshaus wären unabsehbar, sehr wahrscheinlich noch desaströser. Wenn schon politisch, dann sollte Charles sich mit allem Nachdruck um die koloniale Vergangenheit des Königshauses kümmern.






