Der amerikanische Philosoph Harry Gordon Frankfurt war schon über 70, als er mit der philosophischen Betrachtung eines umgangssprachlichen Kraftausdrucks einen veritablen Bestseller landete. Innerhalb weniger Wochen verkaufte sich der 2005 erschiene Band „On Bullshit“ allein in den USA eine halbe Million Mal. Es gab wohl ein Brevier für die Jackentasche, mit dem viele meinten, mitreden zu können. „Jeder kennt Bullshit. Jeder trägt sein Scherflein dazu bei“, schreibt Harry Frankfurt in luzider Einfachheit über das Phänomen des galoppierenden Unsinns. „Und doch neigen wir dazu, uns damit abzufinden.“
Hohlsprech, Geschwurbel, Quatsch
Die große Akzeptanz des Quatsches, Humbugs, Schwurbelns et cetera sieht Harry Frankfurt in einem falschen Selbstbewusstsein, in dem die meisten davon ausgehen, das Wahre vom Falschen unterscheiden zu können. Tatsächlich aber hat sich ein undurchdringliches Gestrüpp aus „Hohlsprech“ – so eine mögliche Übersetzung von Bullshit – in Medien, Politik und Alltag breitgemacht, dass einerseits der Widerspruchsgeist erlahmt und die Macht der Halbwahrheiten und des sprachlichen Bluffs andererseits tief in die Kommunikation eingesickert ist.
Der Umstand, dass das Wort Bullshit nicht ganz leicht zu übersetzen ist, markiert bereits ein Problem, das Harry Frankfurt mit feinem Gespür und großer Neugier bearbeitet. Man würde es sich denn auch zu einfach machen, Bullshit kurzerhand als Synonym für Lüge abzutun. In dem Wort „Bullenscheiße“ steckt denn auch eine Anmaßung, eine Form demonstrativer Selbstbehauptung, die nicht einfach nur im Stillen darauf hofft, mit einer alternativen Wahrheit durchzukommen. Bullshit, so arbeitet Harry Frankfurt heraus, ist nicht nur das sprachliche Äquivalent einer besonders lauten Durchsetzungsstrategie. Vielmehr wirkt darin auch ein Zwang, aus der jeweiligen Situation heraus über Dinge zu reden, von denen der Sprecher keine oder nur wenig Kenntnis hat.
In dem erst später zum Thema gewordenen Phänomen der Fake News findet sich der Vorwurf der absichtsvollen Manipulation, der es politisch entgegenzuwirken gilt. Sehr viel früher jedoch hat Harry Frankfurt darauf aufmerksam gemacht, dass die öffentliche und politische Rede geradezu zwanghaft davon bestimmt ist, dass jeder meint, zu allem etwas zu sagen zu haben. Bullshit ist so gesehen das markante Merkmal einer überforderten Demokratie, die sich ihrer Arbeitsteilung und Spezialisierung nicht mehr sicher ist. Wenn alle überall mitreden, entsteht Bullshit.


