Kommentar

Affenpocken: Wir müssen aus den Fehlern lernen für die nächste Pandemie

Der Tag der sexuellen Gesundheit ist eine gute Gelegenheit, über den künftigen Umgang mit globalen gesundheitlichen Krisen nachzudenken.

Eine kolorierte transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme von Partikeln des Affenpockenvirus
Eine kolorierte transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme von Partikeln des Affenpockenvirusimago/ZUMA Press

Gedenktage haben eine wichtige Funktion. Sie sollen ein Thema in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Dieser Sonntag ist der internationale Tag der sexuellen Gesundheit. 2010 hat ihn die World Association for Sexual Health ins Leben gerufen. Diesmal fällt er in eine Zeit, in der die westliche Welt mit einem Virus konfrontiert wird, das sich vor allem über sexuelle Kontakte verbreitet: MPXV, besser bekannt unter dem Namen Affenpocken. Ein neuartige Krankheit hierzulande.

Doch nach anfänglicher Aufregung ist es in Deutschland ruhig geworden um diesen Erreger. Das dürfte verschiedene Gründe haben. Affenpocken betreffen momentan vor allem eine Bevölkerungsgruppe, nämlich Männer, die intime Kontakte mit Männern haben. In ganz Deutschland erkrankten laut Robert-Koch-Institut bislang nur 14 Frauen an Affenpocken bei rund 3500 Infektionen insgesamt. Weltweit wurden etwa 52.000 Fälle gemeldet, MPXV breitet sich damit auf vergleichsweise moderatem Niveau aus. Nur wenige Menschen verstarben seit Ausbruch daran. Die Krankheit kann sehr schmerzhaft sein, schwere Komplikationen bleiben jedoch die Ausnahme.

Der internationale Tag der sexuellen Gesundheit kommt in diesem Jahr also zum richtigen Zeitpunkt. Es wäre verfrüht, Entwarnung zu geben. Die US-Behörde CDC zum Beispiel befürchtet, dass auf den derzeit leichten Abschwung wieder ein starker Anstieg folgen könnte. Die Experten für Infektionsschutz aus Atlanta vermuten, dass sich Affenpocken künftig über die derzeit besonders exponierte Personengruppe hinaus verbreiten werden. Dass aus dem begrenzten Problem eines der Allgemeinheit werden kann.

Nicht nur aus dieser Perspektive gesehen ist es das bereits, eine Herausforderung für die Allgemeinheit. Unabhängig von Fallzahlen, Verbreitungsgebieten, Infektiosität oder Krankheitsverläufen handelt es sich um eine gesamtgesundheitliche Aufgabe. Die Gesellschaft muss ihren Umgang mit medizinischen Krisen finden, einen Mittelweg zwischen übertriebener Gelassenheit und übertriebener Vorsicht. Beides schadet der Gesundheit.

In einer Pandemie ist Kommunikation entscheidend

Noch befindet sich Deutschland in diesem Prozess. Eine globale Krise von weit größerem Ausmaß macht das deutlich, die Corona-Pandemie. Auch bei Sars-CoV-2 wäre es verfrüht, Entwarnung zu geben. Nach wie vor ist unklar, wie sich das Virus entwickeln, wie bedrohlich es im Herbst und Winter sein könnte. Doch auch bei diesem Erreger verunsichert Panik und das dadurch motivierte Handeln nur diejenigen, die es eigentlich vor Schaden zu schützen gilt, körperlich, seelisch.

Corona hat gezeigt, wie wichtig Kommunikation ist. Eine Debatte findet statt, doch sie ist meist medial getrieben, von Schlagzeilen, Einschaltquoten, Reichweiten, wird quasi in Talkshows betrieben. Es wird viel geredet, gern über Randaspekte, verloren in Details. Grundlegende Positionen erscheinen unverrückbar, die argumentativen Gräben sind ausgehoben, schweres rhetorisches Geschütz aufgefahren. Lautstärke ersetzt  Relevanz.

Darum aber geht es beim internationalen Tag der sexuellen Gesundheit: um offene Kommunikation. Um sexuelle Freiheit, Zwänge, Gewalt und eben den Schutz vor Infektion und Krankheit. Und deshalb ist dieser Tag auch eine gute Gelegenheit, sich an ein anderes Virus zu erinnern, HIV, das Anfang der Achtzigerjahre zunächst Panik auslöste, das sich längst jedoch medizinisch beherrschen lässt. Es macht nur noch bei Diskriminierung krank, gegen die es jedoch ebenfalls ein Mittel gibt. Frühzeitig angewandt, hat es gut gewirkt: lösungsorientiertes Handeln, problemorientierter Dialog.

Globale Krisen nach Corona-Art wird es immer wieder geben

Affenpocken haben eine andere Dimension, ohne Frage, sind nicht annähernd so lebensbedrohlich wie ehedem HIV. Noch jedenfalls nicht. Doch selbst wenn es dabei bleiben sollte, wird sich die Menschheit an die Perspektive gewöhnen müssen, dass sie künftig immer wieder von Pandemien heimgesucht wird. Globale Krisen nach Corona-Art werden sie herausfordern. Sie sollte besser aus Fehlern lernen, im politischen Diskurs, im gesellschaftlichen Miteinander, will sie nicht auf Dauer daran zerbrechen.

Gedenktage mögen helfen, ein Thema in der Öffentlichkeit zu platzieren, ihm Aufmerksamkeit zu verschaffen für den Moment. Sie bergen allerdings auch eine Gefahr: Ist ein Gedenktag vorüber, kann sein Anliegen ganz schnell wieder in den Hintergrund treten.