Wahlen

Parlamentswahl heute in Frankreich: Höchste Wahlbeteiligung seit 1981

Das Pokerspiel von Emmanuel Macron um mehr Macht könnte die französische Politik lähmen. Die heutige Wahl in Frankreich gilt als Schicksalswahl. Was könnte passieren?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte nach der Europawahl die französische Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen veranlasst.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte nach der Europawahl die französische Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen veranlasst.Aurelien Morissard/AFP

Wählerinnen und Wähler in Frankreich sind am Sonntag zur entscheidenden zweiten Runde der vorgezogenen Parlamentswahl aufgerufen. Bis zum Mittag verzeichnete das Land einen Rekordwert bei der Wahlbeteiligung: Laut offiziellen Angaben gaben gut 26,6 Prozent der Berechtigten ihre Stimme ab - das ist die höchste Beteiligung zu diesem Zeitpunkt seit dem Jahr 1981.

Die Wahl ist brisant: Sie könnte den Weg zur ersten rechtspopulistischen Regierung des Landes seit der Gründung der aktuellen Republik ebnen. Laut Umfragen ist aber auch die Bildung von drei weitgehend verfeindeten Blöcken in der Nationalversammlung möglich, die die Regierung lähmen und das Land in eine politische Krise führen könnten. Die Wahllokale öffneten um 8 Uhr, mit ersten Hochrechnungen wird gegen 20 Uhr gerechnet. 

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte die Neuwahl der französischen Nationalversammlung nach dem Triumph der Rechtsaußen-Partei Rassemblement National (RN) bei der Europawahl am 9. Juni ausgerufen. Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen. Im Fall einer absoluten Mehrheit der Rechtspopulisten bei der Wahl am Sonntag könnte Macron gezwungen sein, deren Parteichef Jordan Bardella zum Regierungschef zu machen.

Frankreich, Lyon: Ein Wähler gibt seinen Stimmzettel während der zweiten Runde der Parlamentswahlen ab.
Frankreich, Lyon: Ein Wähler gibt seinen Stimmzettel während der zweiten Runde der Parlamentswahlen ab.Laurent Cipriani/AP

Frankreich: Umfragen sehen ernüchterndes Ergebnis für RN

Letzte Umfragen sehen keine absolute Mehrheit für das in Führung liegende Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen. Demnach kämen die Rechtsnationalen und ihre Verbündeten auf 205 bis 240 Sitze. Sie würden zwar stärkste Kraft werden, die absolute Mehrheit von 289 Sitzen in der Nationalversammlung aber deutlich verfehlen.

Auf Rang zwei kommt demnach das für die vorgezogene Parlamentswahl gebildete neue Linksbündnis aus Grünen, Sozialisten, Kommunisten und Linkspartei. Das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron muss laut den Umfrageinstituten eine demütigende Niederlage kassieren und landet auf Rang drei.

In der ersten Wahlrunde lagen wie schon bei der Europawahl die Rechtsnationalen vorne, gefolgt vom neuen Linksbündnis sowie Macrons Mitte-Lager auf Rang drei. 76 der 577 Abgeordnetenplätze wurden bereits vergeben, die meisten für das RN (39) oder das Linksbündnis (32).

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Emmanuel Macron unter Druck: Was geschieht bei absoluter Mehrheit des RN?

Vor der Endrunde der Parlamentswahl zeichnet sich also keine regierungsfähige Mehrheit ab. Erwartet wird unabhängig vom Wahlausgang, dass die bestehende Regierung von Premierminister Gabriel Attal noch einige Tage geschäftsführend im Amt ist, bis über die Bildung einer künftigen Regierung Klarheit herrscht. Das könnte allerdings dauern – die Situation ist so verfahren wie lange nicht.

Sollte das RN eine absolute Mehrheit erringen, stünde Macron unter dem politischen Zwang, einen Premierminister aus den Reihen der Rechtsnationalen – etwa RN-Chef Jordan Bardella – zu ernennen. Damit gäbe es in Frankreich erstmals seit 1997 wieder eine sogenannte Kohabitation. Das bedeutet, dass Präsident und Premierminister unterschiedliche politische Richtungen vertreten. Dies wäre ein Einschnitt in der Geschichte des Landes und hätte auch für die europäische Politik große Auswirkungen.

Die Vorsitzende des französischen rechtsnationalen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen (l), und Parteichef Jordan Bardella, stehen während einer Wahlkampfveranstaltung zusammen.
Die Vorsitzende des französischen rechtsnationalen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen (l), und Parteichef Jordan Bardella, stehen während einer Wahlkampfveranstaltung zusammen.Thomas Padilla/AP

Drohender Stillstand nach Parlamentswahl in Frankreich

Da die Abgeordnetenplätze nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben werden, haben sich in über 200 Wahlkreisen die in der ersten Runde jeweils drittplatzierten Kandidaten der übrigen Parteien zurückgezogen. Denn: Damit steigt die Chance, dass der verbliebene Kandidat einer bürgerlichen Partei den Bewerber der Rechtsnationalen schlägt. Ein solcher Schutzwall gegen die extreme Rechte wird in Frankreich nicht zum ersten Mal praktiziert. Ob er zu einer tragfähigen Regierung führen wird, ist offen.

Denn die übrigen Lager – einschließlich der wiedererstarkten Sozialisten – haben bereits klargemacht, dass sie nicht in einer Art nationaler Koalition miteinander regieren wollen. Dann könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden.

Das Macron-Bündnis könnte nach dem Poker des Präsidenten um mehr Macht mit der vorgezogenen Parlamentswahl vor einem Scherbenhaufen stehen und im Parlament nur noch in stark reduzierter Zahl vertreten sein. Neue Vorhaben könnte eine Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg bringen. Frankreich droht damit politischer Stillstand.