Ukraine-Krieg

Wagner-Aufstand: Gaffer plauschen in Rostow mit Prigoschins Söldnern

Rund eine Million Einwohner der Stadt im Süden Russlands geraten zwischen die Fronten. Bisher sei noch kein Schuss gefallen – doch nun treffen Kadyrows Truppen ein. 

Einwohner von Rostow schauen sich die Mission der Wagner-Söldner aus der Nähe an. 
Einwohner von Rostow schauen sich die Mission der Wagner-Söldner aus der Nähe an. Sergey Pivovarov/Imago

Das Heulen der Sirenen von Krankenwagen und Polizeifahrzeugen durchdringt am Samstag Rostow am Don, die Stadt im Süden Russlands, von der aus die russische Führung ihre Offensive in der Ukraine koordiniert. Nun wollen die Söldner der Gruppe Wagner unter ihrem Chef Jewgeni Prigoschin die Kontrolle über die Stadt und all ihre Militäreinrichtungen übernommen haben. Und die Wagner-Kämpfer wollen von dort aus die Militärspitze in Moskau stürzen.

An einer große Kreuzung im Stadtzentrum sind ein gepanzertes Fahrzeug mit Maschinengewehr und rund ein Dutzend Männer in militärischer Uniform mit silbernen Armbändern zu sehen. Gepanzerte Truppentransporter und Panzer werden an anderen Stellen der Stadt positioniert - auch vor einem Spielzeugladen und einem Zirkus, wie Journalisten aus der Stadt berichten. Viele Bürger suchen Gespräche mit Prigoschins Söldner. Es werden respektvoll Hände geschüttelt, andere drücken ihren Dank dafür aus, dass sie sich gegen Putin stellen. Es werden vereinzelt Getränke und Snacks an einige Kämpfer verteilt.

Aber auch Kritik wird laut. Einige Wagner-Söldner werden angefeindet, es kommt zu Diskussionen und Handgreiflichkeiten. Auf Zeugenvideos ist zu sehen, wie Wagner-Söldner versuchen deeskalierend zu agieren. Ob das immer gelingt, ist unklar. 

Prigoschin: „Alle 25.000 von uns sind bereit zu sterben“

Passanten machen Halt, um die Militärfahrzeuge zu begutachten, darunter auch Lastwagen, sowie die Männer mit silbernen Armbändern, die Gewehre bei sich haben. Nach den Worten von Wagner-Chef Prigoschin mussten seine Männer am Samstag keinen einzigen Schuss abfeuern, um das Hauptquartier der russischen Armee in Rostow zu übernehmen. Er versichert, über insgesamt rund 25.000 Kämpfer zu verfügen. „Wir alle sind bereit zu sterben. Alle 25.000 und dann noch einmal 25.000“, sagte er in seiner Audiobotschaft und fügte hinzu, die Maßnahme werde „für das russische Volk“ ergriffen.

Am späten Nachmittag verkündete Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow, der er seine Truppen in die „Spannungsgebiete“ in Russland geschickt habe. Tatsächlich tauchen wenige Stunden später Videos in den sozialen Netzwerken auf, die zeigen wie Lastwagen voller schwer bewaffneter Soldaten unter anderem in Rostow eintreffen. 

Die Hafenstadt, die nur rund 100 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt liegt, wurde im 18. Jahrhundert gegründet und beherbergt das Hauptquartier des russischen Militärkommandos Süd.

Anders als andere Großstädte weiter von der Front entfernt, hat die Stadt mit ihren rund einer Million Einwohner bereits vorher die Auswirkungen der russischen Offensive in der Ukraine zu spüren bekommen. Ein Mensch war im März bei einem Feuer in einem Gebäude des Inlandsgeheimdienstes FSB getötet worden, und die Region war auch das Ziel von mehreren Drohnen-Attacken in den vergangenen Monaten.

Russen sollen Autobahn zwischen Moskau und Südrussland nicht nutzen

Regionalgouverneur Wassili Golubew rief die Bevölkerung auf, ihre Häuser nur im Notfall zu verlassen. Die Sicherheitsbehörden seien dabei „alles Notwendige zu tun, um die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten“. Die Einwohner rief er auch auf, die Autobahn M4 - die wichtigste Verbindung zwischen Moskau und Südrussland - nicht zu nutzen. Teile der Autobahn wurden geschlossen und lange Staus bildeten sich.

Im Laufe des Samstags gab es dann Meldungen, dass die Wagner-Söldner in der Region Woronesch rund 600 Kilometer von Moskau entfernt von der russischen Armee bekämpft würden. Am Nachmittag waren Wagner-Truppen nach Angaben der dortigen Regionalverwaltung bereits rund 400 Kilometer vor Moskau, in der südlich der Hauptstadt gelegenen Region Lipezk. Auch der dortige Regionalgouverneur warnte die Bevölkerung: „Ich erinnere daran, dass den Einwohnern nachdrücklich empfohlen wird, ihre Häuser nicht zu verlassen oder irgendwelche Fahrten egal mit welchen Verkehrsmitteln zu machen.“