Nato-Beitritt

„Ängstliches Deutschland“: Blockiert die Bundesregierung den Nato-Beitritt der Ukraine?

Die Bundesregierung verlange mehr Sicherheitsgarantien vor einem Beitritt, berichten Nato-Quellen. Eine britische Zeitung nennt Deutschland „ängstlich“. 

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (l) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew im April 2023. 
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (l) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew im April 2023. Efrem Lukatsky/AP/dpa

Beim Gipfel der Nato, der am kommenden Dienstag in Vilnius, Litauen, beginnt, wird, verspricht wichtige Entscheidungen über die Zukunft der Ukraine. Vor allem der Beitritt des Landes zum Nordatlantikbündnis wird ein zentrales Thema sein – doch darüber herrscht unter den westlichen Partnern alles andere als Einigkeit.

Laut einem Bericht des britischen Telegraph wird Deutschland dort dafür plädieren, den Nato-Beitritt der Ukraine zu verschieben: „Ängstliches Deutschland bereitet sich darauf vor, den Nato-Beitritt der Ukraine zu blockieren“, lautet die Überschrift des Berichts, in dem eine anonyme Quelle aus Nato-Kreisen zitiert wird.

Deutschland befürchte demnach, dass die ukrainische Nato-Mitgliedschaft schnell zu einem Krieg zwischen dem Block und Russland führen wird, so ein Nato-Beamter im Gespräch mit dem Telegraph. 

Der Quelle zufolge werde Deutschland beim Gipfel die Mitgliedsländer dazu auffordern, sich darauf zu konzentrieren, die Sicherheitsgarantien für einen Beitritt zu erhöhen. „Es wird Zeit benötigt, um Garantien zu entwickeln, und dies wird die Mitgliedschaft im Wesentlichen blockieren (...) Berlin möchte nicht, dass Putin möglicherweise Artikel 5 testet“, so der Nato-Beamte. Die Zurückhaltung Berlins rühre offenbar von der Befürchtung her, dass Kiew im Falle eines Nato-Beitritts sofort Artikel 5 des Nordatlantikvertrags geltend machen könnte. In Artikel 5 des Nordatlantikvertrages ist die Beistandspflicht festgehalten: Wenn ein Nato-Mitgliedsland angegriffen wird, verpflichten sich die Verbündeten zur Verteidigung des jeweiligen Bündnispartners.

Die westliche Allianz hat der Ukraine bisher keine Zusagen über ein Beitrittsangebot gemacht, sondern lediglich die Absicht erklärt, die Ukraine „näher“ an das Bündnis heranzuführen. Die Nato-Länder sind geteilter Meinung darüber, ob sie ein ukrainisches Beitrittsgesuch unterstützen sollen. Einige bieten der Ukraine ihre volle Unterstützung an, während andere skeptisch bleiben. Kürzlich hatte sich auch US-Präsident Joe Biden skeptisch über einen Nato-Beitritt der Ukraine geäußert. 

Nato-Gipfel in Vilnius: Auch Wolodymyr Selenskyj eingeladen

Die ukrainische Führung hatte vergangene Woche diesbezüglich bereits Sorgen geäußert. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte die Bundesregierung ausdrücklich davor gewarnt, die Aufnahme seines Landes in die Nato zu behindern. Die heutige Bundesregierung dürfe nicht den Fehler von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Jahr 2008 wiederholen, „als sie heftigen Widerstand gegen jeden Fortschritt für die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine leistete“. Dies habe die Tür aufgemacht für den russischen Angriff auf Georgien 2008 und die Annexion der Krim-Halbinsel 2014, betonte Kuleba. Laut dem ukrainischen Außenminister erwarte die Ukraine nicht ihre Aufnahme in die Nato noch während des Krieges. Aber nach dem Krieg wäre es „selbstmörderisch für Europa“, die Ukraine nicht als Nato-Mitglied zu akzeptieren, so Kuleba.

Am Nato-Gipfel in Vilnius wird auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilnehmen. Anfang dieser Woche hatte er nochmal bekräftigt, dass sein Land eine „Einladung“ zur Aufnahme in die Nato nach Ende des Krieges erwarte. „Wir brauchen auf dem Gipfel in Vilnius ein sehr klares und verständliches Zeichen, dass die Ukraine nach dem Krieg ein gleichberechtigtes Mitglied der Nato werden kann“, sagte der ukrainische Präsident, der den bevorstehenden Nato-Gipfel als „Schlüsselmoment für die gemeinsame Sicherheit in Europa“ bezeichnete. 

Die Ukraine erwartet, dass ihr Antrag auf Beitritt zur Nato, den sie im September vergangenen Jahres gestellt hat, am Tag nach ihrem Sieg über die russische Armee angenommen wird. (mit AFP)