Ukraine-Krieg

Selenskyj: Damm-Zerstörung kostete Menschenleben – Helfer beschossen

+++ Moskau droht mit Aus für Getreidedeal nach Pipeline-Explosion +++ Medwedew fordert „russische Gegenoffensive“ +++  Alle Infos im Newsblog +++

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr SelenskyjAPAimages/imago
Die Gefechte in der Ukraine gehen weiter - das Wichtigste in Kürze
  • Die Kämpfe in Bachmut sind erneut aufgeflammt. Seit Dienstag sind die ukrainischen Truppen nach eigenen Angaben in der Region Donezk an verschiedenen Stellen bis zu 1100 Meter vorgerückt.
  • Nach Angaben aus Russland soll die Ukraine eine wichtige Ammoniak-Pipeline gesprengt haben.
  • Der Wasserstand in den Flutgebieten steigt weiter nach der Zerstörung des Kachowka-Damms. Es wird vor Seuchen und Krankheiten gewarnt, wichtiges Getreide soll vernichtet worden sein. Videos in den sozialen Medien zeigen Explosionen von Minen, die ins Land gespült wurden.
  • Auf beiden Seiten des Dnipro wurde die Evakuierung zehntausender Menschen eingeleitet. Die Ukraine und Russland machen sich gegenseitig für den Angriff verantwortlich.
  • Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft den Vereinten Nationen und dem Roten Kreuz Versagen nach dem Dammbruch in der Ukraine vor.
Quelle: Institute for the Study of War.
Quelle: Institute for the Study of War.Grafik: Mónica Rodríguez/Berliner Zeitung

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Mittwoch, 7. Juni

Selenskyj: Damm-Zerstörung kostete Menschenleben – Helfer beschossen

Bei den Überflutungen infolge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms sind nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auch Menschen umgekommen. „Menschen, Tiere sind gestorben. Von den Dächern der überfluteten Häuser sehen Menschen, wie Ertrunkene vorbeitreiben“, sagte er in einem Interview mit Welt, Bild und Politico in Kiew. Den russischen Truppen auf dem von ihnen eroberten Südufer des Dnipro-Stroms machte er schwere Vorwürfe: „Wenn unsere Kräfte versuchen, die Menschen rauszuholen, dann werden sie von den Besatzern aus der Entfernung beschossen.“

Den Vereinten Nationen und dem Roten Kreuz warf Selenskyj Versagen nach dem Dammbruch vor. „Sie sind nicht da“, sagte er. Der ukrainische Präsident äußerte sich enttäuscht über die Reaktionen der Organisationen auf Anfragen aus der Ukraine: „Wir haben keine Antwort bekommen. Ich bin schockiert“, so Selenskyj. Wenn es doch eine Reaktion gegeben habe, sei sie „sehr diplomatisch“ ausgefallen.

Der Dammbruch sei eine Tragödie, so Selenskyj. „Das hilft uns nicht mit der Gegenoffensive, das erleichtert die Gegenoffensive nicht.“ Auf die Frage, ob diese bereits begonnen habe, gab sich Selenskyj bedeckt. „Sie werden es spüren“, sagte er.

Moskau droht mit Aus für Getreidedeal nach Pipeline-Explosion

Russland hat der Ukraine einen Anschlag auf eine Ammoniakleitung vorgeworfen und deswegen mit dem Ende des Getreidedeals gedroht. „Am 5. Juni um 21 Uhr hat in der Ortschaft Masjutiwka im Gebiet Charkiw ein ukrainischer Aufklärungs- und Sabotagetrupp die Ammoniak-Pipeline „Togliatti - Odessa“ gesprengt“, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, am Mittwoch. Das russische Außenministerium bezeichnete die Sprengung als „Schlag gegen den Getreidedeal“. International gibt es Sorgen, dass mit dem Scheitern des Abkommens die Lebensmittelpreise steigen.

Ukraine: Durch Staudamm-Zerstörung mehr als 20 Kulturstätten bedroht

Die Flutkatastrophe in Folge der Staudamm-Zerstörung am Dienstag hat mehr als 20 Museen und Kulturstätten der südukrainischen Region Cherson getroffen. Das ukrainische Kulturministerium veröffentlichte am Mittwoch eine Liste der Kulturobjekte, die durch die Flutwellen beschädigt oder gänzlich ruiniert sein sollen. Die meisten davon befinden sich demnach auf der südlichen, von Russland besetzten, Seite des Dnipro-Flusses. Die ukrainische Staatsagentur für Tourismusentwicklung veröffentlichte am Mittwoch zudem eine Karte mit Sehenswürdigkeiten und Naturerholungsgebieten, die als Folge der Flutkatastrophe nun bedroht sind.

Den Angaben des Ministeriums zufolge gehören zu den gefährdeten Objekten unter anderem die im 14. Jahrhundert gegründete Festung Tjahyn oder die sogenannte Ponjatiwske-Siedlung der Eisenzeit (4. Jahrhundert v. Chr.). Über Schäden in den Museen in Cherson sei nichts bekannt.

Kachowka-Staudamm zerstört: So viele Menschen sind betroffen

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine wächst die Sorge um die in den Überschwemmungsgebieten lebenden Menschen. Nach aktuellen russischen Angaben waren bis zu 40.000 Menschen in dem durch Russland besetzten Teil der Region Cherson betroffen. Die Ukraine hatte zuvor mitgeteilt, dass auf der durch ihre Truppen befreiten rechten Seite des Flusses Dnipro rund 17.000 Menschen ihre Häuser verlassen mussten.

Der Besatzungschef der Staudamm-Stadt Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, sagte zudem, dass im russisch besetzten Teil rund 100 Menschen von den Wassermassen eingeschlossen seien und gerettet werden müssten. Sieben Anwohner werden den Angaben zufolge derzeit vermisst, rund 900 sollen angeblich schon in Sicherheit gebracht worden sein.

Cherson: Eine Frau weint, als sie aus einem überfluteten Viertel evakuiert wird.
Cherson: Eine Frau weint, als sie aus einem überfluteten Viertel evakuiert wird.Roman Hrytsyna/AP

Ins Land gespült: Ukraine warnt nach Dammbruch vor Minen

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms hat das Hochwasser offenbar Minen in die Region Cherson gespült. Das führe zu erhöhter Lebensgefahr für die Zivilbevölkerung, sagte der stellvertretende Leiter der Regionalverwaltung von Cherson, Jurij Sobolewskyj, der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform. Dem Bericht zufolge haben andere Regionen der Ukraine bereits Sprengstoffexperten in die Gegend entsandt, um bei der Beseitigung der Minen zu helfen.

In den sozialen Medien kursieren bereits mehrere Videos, die Explosionen der angespülten Minen zeigen sollen. Unabhängig überprüfen lassen sich die Aufnahmen nicht.

Putin spricht nach Damm-Zerstörung von „barbarischer Tat Kiews“

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Ukraine für die Explosion am Kachowka-Staudamm verantwortlich gemacht. In seiner ersten öffentlichen Stellungnahme zum Bruch des Damms in der Südukraine sprach Putin am Mittwoch von einer „barbarischen Tat“ Kiews. Dadurch sei „eine ökologische und humanitäre Katastrophe großen Ausmaßes“ verursacht worden, sagte Putin nach Angaben des Kreml in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Folgen der Staudamm-Zerstörung in Südukraine immer dramatischer

Nach der Teilzerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine nehmen die Folgen für die Region immer katastrophalere Ausmaße an. Die Fluten schwollen am Mittwoch weiter an, in der besonders betroffenen Großstadt Cherson im von der ukrainischen Armee kontrollierten Gebiet stiegen die Pegel um fünf Meter. Tausende Menschen wurden bereits in die Flucht gezwungen. Wer für die Explosion verantwortlich war, die den Staudamm beschädigt hatte, blieb weiter unklar.

Auf der von der Ukraine gehaltenen westlichen Seite des Flusses Dnipro wurden bis Mittwochmittag „mehr als 1450 Menschen“ vor den Fluten in Sicherheit gebracht, wie die ukrainische Rettungsdienste mitteilten. Die von Moskau eingesetzten Behörden auf der Ostseite des Flusses gaben die Evakuierung von bis dahin 1274 Menschen bekannt. Insgesamt sollten mehr als 40.000 Menschen auf beiden Seiten des Flusses evakuiert werden. Angaben zu möglichen Toten und Verletzten lagen zunächst weiterhin nicht vor.

Erdogan schlägt nach Staudamm-Zerstörung Untersuchungskommission vor

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Untersuchungskommission vorgeschlagen. Erdogan habe dies am Mittwoch in separaten Telefonaten mit Kremlchef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj angesprochen, teilte das Präsidialamt in Ankara mit.

Eine solche Kommission könne mit Experten der beiden Kriegsparteien sowie mit Vertretern der Türkei und der Vereinten Nationen besetzt sein und damit ein ähnliches Format haben wie das sogenannte Getreideabkommen, hieß es. Im Juli 2022 hatten die Vereinten Nationen und die Türkei ein Abkommen vermittelt, das die Blockade ukrainischen Getreides durch Russland beendet hatte.

Selenskyj schrieb auf Twitter, er habe mit Erdogan über die humanitären und ökologischen Folgen des „russischen Terrorakts“ gesprochen und der Türkei eine Liste von dringend Benötigtem übergeben.

Greenpeace warnt vor enormen Umweltschäden nach Staudamm-Zerstörung

Greenpeace warnt vor enormen Umweltschäden durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine. „Aufgrund des Ausmaßes der Katastrophe wird es in den kommenden Sommermonaten und darüber hinaus unweigerlich zu Auswirkungen auf die Wasserversorgung von Millionen von Menschen und die Landwirtschaft kommen“, erklärte die Umweltschutzorganisation am Mittwoch in Hamburg. „Zu den größten Umweltbedrohungen gehören giftige und andere Schadstoffe, schwere Schäden an empfindlichen Ökosystemen, Nationalparks und am Biosphärenreservat Schwarzes Meer.“

Der Greenpeace-Atomexperte Shaun Burnie zeigte sich auch alarmiert wegen möglicher Folgen für das von russischen Truppen besetzte Atomkraftwerk Saporischschja. Sinke der Wasserspiegel des Stausees zu sehr ab, könne das AKW-eigene Kühlbecken nicht mehr direkt nachgefüllt werden, sondern nur noch mit Pumpen aus anderen Quellen. „Damit wäre aber eine Situation erreicht, die außerhalb der Sicherheitsparameter für das Kraftwerk liegt“, sagte Burnie. Zudem bestehe das Risiko, dass mit dem weiteren Sinken des Pegels auch das Wasser im Kühlbecken verloren gehe. Das russische Militär müsse die Besetzung des Atomkraftwerks sofort beenden und es dem ukrainischen Personal ermöglichen, die notwendigen Maßnahmen ohne jegliche Einmischung zu ergreifen.

„Terrorakt“: Russland wirft Ukraine Sprengung von Ammoniak-Pipeline vor

Russland hat der Ukraine vorgeworfen, eine wichtige Ammoniak-Pipeline gesprengt zu haben. Eine „ukrainische Sabotage- und Aufklärungsgruppe“ habe die seit derzeit nicht genutzte Ammoniak-Pipeline Togliatti-Odessa „gesprengt“, erklärte das Verteidigungsministerium am Mittwoch in Moskau. Es habe sich um einen „Terrorakt“ gehandelt, mehrere Zivilisten seien verletzt worden.

Den russischen Angaben zufolge ereignete sich der Vorfall am Montagabend nahe eines Dorfes in der nordöstlichen Region Charkiw in der Ukraine, welche die ukrainischen Truppen im vergangenen Herbst größtenteils zurückerobert hatte.

Putins Gefolgsmann Medwedew fordert eine „russische Gegenoffensive“

Der russische Politiker und Putin-Vertraute Dmitri Medwedew hat auf Telegram eine Antwort auf die ukrainische Offensive gefordert. „Der Feind hat schon lange eine große Gegenoffensive versprochen. Und es scheint bereits etwas begonnen zu haben“, teilte Medwedew auf Telegram mit. Seiner Ansicht nach sollte Moskau nun Konsequenzen ziehen. „Wir müssen den Feind stoppen und dann eine Offensive starten.“

Zerstörter Staudamm: Ukraine warnt vor Krankheiten und Seuchen

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms hat die Ukraine vor einer Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen in der überfluteten Region Cherson gewarnt. Durch das Hochwasser können in der südlichen Region Chemikalien und Krankheitserreger in Brunnen und Gewässer gelangen, wie das ukrainische Gesundheitsministerium am Mittwoch auf Facebook mitteilte. Experten des Ministeriums seien bereits vor Ort im Einsatz, um Wasserproben zu analysieren, hieß es weiter. Außerdem sollten regionale Vorräte an Antibiotika aufgestockt werden, um mehr Menschen bei Darminfekten behandeln zu können.

Die ukrainische Behörde teilte außerdem mit, in den kommenden drei bis fünf Tagen werde der Wasserstand wieder sinken, was voraussichtlich zum Massen-Fischsterben führen werde. Der Verzehr von Fischen sei deshalb nun kategorisch verboten, um das Risiko von Botulismus - einer lebensbedrohlichen Nervenvergiftung - zu minimieren.

Straßen in Cherson sind überflutet, nachdem der Kachowka-Damm gesprengt wurde.
Straßen in Cherson sind überflutet, nachdem der Kachowka-Damm gesprengt wurde.Libkos/AP

Ukraine meldet erneuten Vorstoß in Bachmut

Die ukrainische Armee hat offenbar eine erneute Offensive in Bachmut gestartet. Die Stadt war zuvor von Russland als besetzt erklärt worden. „Unsere Truppen sind nicht länger in der Defensive, sondern in Richtung Bachmut in der Offensive“, erklärt Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maliar auf Telegram laut einem Bericht des ukrainischen Nachrichtenportals Kyiv Independent.

Seit Dienstag seien die eigenen Truppen in der ostukrainischen Region Donezk an verschiedenen Stellen zwischen 200 und 1100 Metern vorgerückt. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte zwar insgesamt acht ukrainische Angriffsversuche bei Bachmut, erklärte aber, alle abgewehrt zu haben. Die Angaben beider Kriegsparteien lassen sich oft nicht direkt unabhängig überprüfen.

Experten vermuten vorsätzliche Explosion hinter Staudamm-Sprengung

Der wahrscheinlichste Grund für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms sei eine absichtliche Explosion im Inneren der Anlage gewesen. Das berichtet der New York Times am Mittwoch unter Berufung auf Militärexperten. 

Diese wiesen zwar darauf hin, dass die verfügbaren Beweise zur Dynamik der Explosion derzeit sehr begrenzt seien, eine Explosion im Inneren sei jedoch die wahrscheinlichste Erklärung für die Zerstörung des Staudamms, einer massiven Konstruktion aus Stahlbeton, die 1956 gebaut wurde.

Eine externe Detonation, etwa durch eine Bombe oder eine Rakete, hätte nicht dieses Ausmaß an Zerstörung verursacht, so die Experten. „Die Sprengkraft eines Gefechtskopfes ist begrenzt“, sagt etwa Nick Glumac, Ingenieurprofessor und Sprengstoffexperte an der University of Illinois in Urbana-Champaign, „selbst ein Volltreffer könnte den Damm nicht zerstören.“

Vorher-Nachher-Satellitenaufnahme zeigt ein Wohngebiet im Südosten der Stadt in der Südukraine vor der Staudamm-Explosion.
Vorher-Nachher-Satellitenaufnahme zeigt ein Wohngebiet im Südosten der Stadt in der Südukraine vor der Staudamm-Explosion.Satellite image/2023 Maxar Technologies/dpa

Es ist nicht klar, ob die Schäden, die der Damm seit Beginn der Invasion bereits erlitten hatte, auch nur annähernd ausreichten, um ihn zum Einsturz zu bringen. „Dämme brechen, das ist absolut möglich“, sagt Gregory B. Baecher, Professor für Ingenieurwesen an der University of Maryland und Mitglied der National Academy of Engineering, aber er fügt hinzu: „Ich sehe mir das an und denke: ‚Mensch, das sieht verdächtig aus‘“.

Auch Ihor Syrota, der Leiter des staatlichen ukrainischen Energieunternehmens Ukrhydroenergo,  wies darauf hin, dass der Staudamm seit Beginn der Invasion mehrmals beschädigt worden sei. Die Anlage sei allerdings „so gebaut, dass sie einer Atombombe standhält“.

Besatzungschef in Cherson: Staudamm-Sprengung Vorteil für Russland

Der russische Besatzungschef im südukrainischen Gebiet Cherson, Wladimir Saldo, sieht nach der Zerstörung des Staudamms einen militärischen Vorteil für die eigene Armee. „Aus militärischer Sicht hat sich die operativ-taktische Situation zugunsten der Streitkräfte der Russischen Föderation entwickelt“, sagte Saldo im russischen Staatsfernsehen angesichts des verheerenden Hochwassers, das der Dammbruch in der Region ausgelöst hat.

„Sie können nichts machen“, so seine Sicht auf die ukrainischen Truppen, die eine Gegenoffensive zur Befreiung der besetzten Gebiete planen. Angesichts des um ein Vielfaches seiner eigentlichen Größe angeschwollenen Flusses Dnipro sagte Saldo: „Für unsere Streitkräfte hingegen öffnet sich jetzt ein Fenster: Wir werden sehen, wer und wie versuchen wird, die Wasseroberfläche zu überqueren.“

Welternährungsorganisation (WFP): Wichtiges Getreide vernichtet

Die Welternährungsorganisation (WFP) warnt nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine vor verheerenden Konsequenzen für hungernde Menschen weltweit. „Die massiven Überflutungen vernichten neu angepflanztes Getreide und damit auch die Hoffnung für 345 Millionen Hungerleidende auf der ganzen Welt, für die das Getreide aus der Ukraine lebensrettend ist“, sagte der Leiter des Berliner WFP-Büros Martin Frick der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch.

Nach der Zerstörung des Staudamms im Süden der Ukraine rechnet das ukrainische Agrarministerium ersten Schätzungen zufolge mit der Überschwemmung von etwa 10 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche am nördlichen Ufer des Dnipro in der Region Cherson. Am südlichen Ufer, im russisch besetzten Gebiet, werde ein Vielfaches dieser Fläche überflutet, teilte das Ministerium am Dienstagabend auf seiner Webseite mit.

Russische Besatzer: Menschen in Hochwasser-Fluten eingeschlossen

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine sind laut Angaben der russischen Besatzer im von ihnen kontrollierten Teil des Gebiets Cherson bis zu 40 000 Menschen von den schweren Überschwemmungen betroffen. „Nach vorläufigen Prognosen sind es zwischen 22.000 und 40.000“, sagte der von Moskau in Cherson eingesetzte Verwaltungschef Wladimir Saldo am Mittwochvormittag im russischen Staatsfernsehen auf die Frage, wie viele Menschen im Katastrophengebiet lebten.

Der Besatzungschef der Staudamm-Stadt Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, sagte zudem, dass dort rund 100 Menschen von den Wassermassen eingeschlossen seien und gerettet werden müssten.

Ersten Etagen von Gebäuden überschwemmt

Nach der Teilzerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine ist am Mittwoch der Wasserstand in den flussabwärts des Damms gelegenen Flutgebieten am Ufer des Dnipro weiter angestiegen.

Am schwierigsten sei die Lage im Viertel Korabel in der Großstadt Cherson, erklärte der stellvertretende Kabinettschef des ukrainischen Präsidenten, Oleksij Kuleba. Das Wasser habe dort einen Stand von 3,5 Metern erreicht, mehr als 1000 Häuser seien überflutet. USA und Großbritannien erklärten unterdessen, sie hätten noch keine Beweise dafür, wer für die Zerstörung des Staudamms verantwortlich sei.

Ukrainische Behörden hatten am Dienstag die Evakuierung von rund 17.000 Menschen eingeleitet, auf der von Russland besetzten Seite sollten weitere 25.000 Anwohner fortgebracht werden.

Der in russisch besetztem ukrainischen Gebiet liegende Kachowka-Staudamm am Dnipro war bei einer Explosion in der Nacht zum Dienstag teilweise zerstört worden, große Mengen Wasser traten aus. Zehntausende Menschen wurden am Dienstag auf der ukrainischen und der von Russland besetzten Seite des Flusses Dnipro in Sicherheit gebracht. Die USA warnten vor „womöglich vielen Toten“, die UNO sprach von humanitären Folgen für „hunderttausende Menschen“.

Kachowka-Staudamm: Ukraine und Russland beschuldigen sich gegenseitig

Die Ukraine und Russland machten einander gegenseitig für die Zerstörung des Damms verantwortlich. Die USA und Großbritannien äußerten sich bei der Bewertung des Dammbruchs unterdessen zurückhaltend. In Washington sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses, John Kirby, die USA könnten die Lage noch nicht abschließend bewerten. „Wir versuchen weiter Informationen zu sammeln und mit den Ukrainern zu sprechen“, sagte er.

Britische Geheimdienste untersuchen nach Angaben von Premierminister Rishi Sunak die Gründe für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms. Er könne derzeit „nicht sagen, ob Vorsatz dahinter steckt“, sagte Sunak vor seiner Abreise zu einem Treffen mit US-Präsident Joe Biden. Es sei „zu früh“, um ein „endgültiges Urteil“ zu dem Dammbruch abzugeben, sagte Sunak weiter.

Staudamm-Sprengung wird international verurteilt

Sunak nannte die Zerstörung des Staudamms den „größten Angriff auf zivile Infrastruktur“ seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Sollte Moskau hierfür verantwortlich sein, wäre dies laut dem britischen Premier ein Beleg für „neue Tiefpunkte russischer Aggression“.

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer „neuen Dimension“ im Krieg. Die Beschädigung sei etwas, „das zu der Art und Weise passt, wie Putin diesen Krieg führt“, sagte Scholz in Berlin. Bundesaußenministern Annalena Baerbock (Grüne) warf Russland vor, einen „Staudamm in der Nähe eines Kernkraftwerks als Kriegswaffe“ zu missbrauchen.

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte den Angriff scharf. Die Zerstörung gefährde tausende Zivilisten und verursache schwere Umweltschäden, schrieb er im Kurzbotschaftendienst Twitter. EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb: „Die Zerstörung ziviler Infrastruktur gilt klar als Kriegsverbrechen - und wir werden Russland und seine Stellvertreter zur Verantwortung ziehen.“

Quelle: Institute for the Study of War.
Quelle: Institute for the Study of War.Grafik: Mónica Rodríguez/Berliner Zeitung