Nach Protesten

Ukraine macht Rückzieher bei umstrittenem Antikorruptionsgesetz

Wolodymyr Selenskyj und das Parlament beugen sich dem internationalen Druck. Ein neues Gesetz soll die Unabhängigkeit der ukrainischen Korruptionsbekämpfer wiederherstellen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hält eine Rede.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hält eine Rede.AP

Nach massiven Protesten im In- und Ausland hat das ukrainische Parlament am Donnerstag ein Gesetz verabschiedet, das die Unabhängigkeit der beiden wichtigsten Antikorruptionsbehörden des Landes wiederherstellen soll. In der ersten live übertragenen Abstimmung seit Beginn der russischen Invasion stimmten 331 Abgeordnete dem Entwurf in zwei aufeinanderfolgenden Lesungen zu. Das Gesetz wurde umgehend vom Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk unterzeichnet und liegt nun zur finalen Billigung bei Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Das neue Gesetz hebt zentrale Punkte eines umstrittenen Gesetzes auf, das kurz zuvor von Selenskyjs Partei Diener des Volkes im Eilverfahren durchs Parlament gebracht und am 22. Juli vom Präsidenten unterzeichnet worden war. Diese Reform hatte die Unabhängigkeit des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) und der Speziellen Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAPO) de facto aufgehoben – zwei Institutionen, die nach der Euromaidan-Revolution 2014 im Rahmen westlich unterstützter Reformen gegründet worden waren.

Internationale Proteste setzten Ukraine unter Druck

Die Empörung war groß: Mehrtägige Massenproteste in Kiew und anderen Städten sowie Kritik von internationalen Partnern – darunter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – hatten die Regierung unter Zugzwang gesetzt. Auch aus Brüssel wurde Kiew Medienberichten zufolge gewarnt, dass eine Beibehaltung des ursprünglichen Gesetzes negative Folgen für die finanzielle Unterstützung durch die EU haben könnte. Die Antikorruptionsinfrastruktur gilt als zentrale Voraussetzung für den angestrebten EU-Beitritt der Ukraine. In dem Land werden seit Jahren immer wieder Skandale von Bestechung und Vetternwirtschaft bei hochrangigen Staatsangestellten und Politikern öffentlich.

Am Tag der Rückabstimmung kam es im Parlament zu emotionalen Debatten, öffentlichen Stellungnahmen von Befürwortern und Gegnern des ursprünglichen Gesetzes – sowie sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen unter Abgeordneten. Der Abgeordnete Dmytro Kostiuk, Mitglied von Selenskyjs Fraktion, erklärte, er habe bei der ersten Abstimmung am 22. Juli unter Druck gestanden und verlasse nun aus Protest die Fraktion.

Generalstaatsanwaltschaft hätte Einfluss auf NABU und SAPO erhalten

Die jetzt aufgehobene Reform hatte die Befugnisse der Generalstaatsanwaltschaft ausgeweitet: So hätte diese NABU und SAPO Fälle entziehen, Weisungen geben und Zuständigkeiten neu verteilen können – was Kritiker als massiven Eingriff in die institutionelle Unabhängigkeit werteten. Unterstützer des Gesetzes hatten hingegen mit dem Argument geworben, auf diesem Weg russischen Einfluss innerhalb der Behörden bekämpfen zu wollen.

Der Gesetzentwurf zur Rücknahme wurde bereits am 24. Juli – nur zwei Tage nach Unterzeichnung der ursprünglichen Reform – eingereicht. Präsident Selenskyj reagierte damit auf den öffentlichen Druck. Die ukrainische NGO Anti-Corruption Action Center (AntAC) begrüßte das neue Gesetz und erklärte, damit würden „die Grundprinzipien wiederhergestellt, die zuvor von der Werchowna Rada zerstört wurden“.