„Bitte überprüfen Sie diese Information“: Die mutmaßlich von Russland gesteuerte Online-Kampagne zum Ukraine-Krieg setzt seit Monaten auf eine neue Strategie. Anstatt anti-ukrainische Falschnachrichten einfach nur weiterzuleiten, sollen westliche Medien dazu gebracht werden, diese Informationen zu überprüfen. Experten sehen darin ein riesiges „Ablenkungsmanöver“ für Journalisten.
Als „Operation Matrjoschka“ bezeichnet das nach dem russischen Oppositionellen Alexej Nawalny benannte Kollektiv „Antibot4Nawalny“ diese Vorgehensweise. Die Aktivisten spüren Versuche der Einflussnahme im Onlinedienst X, früher Twitter, auf. So kommentierte eine X-Nutzerin namens „Käthe“ Anfang Dezember einen Beitrag des französischen Radiosenders BFM. Sie forderte die Journalisten auf, ein Video zu überprüfen, das wie ein Bericht der Deutschen Welle aussah und behauptete, ein ukrainischer Künstler habe „‚den Eiffelturm zersägt‘. Die offiziellen Medien berichten nicht darüber, was soll ich also glauben?“, schrieb sie.
Innerhalb weniger Stunden wurden über das Profil von „Käthe“ Dutzende gleichlautende Anfragen an französische Medien gestellt. Anschließend blieb der Account bis zum 20. Dezember inaktiv und verbreitete dann das Foto eines Graffitis, das angeblich in Los Angeles den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Obdachlosen karikiert - ein Bild, das ein anderer X-Nutzer wiederum von Medien überprüfen lassen wollte.
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Nutzerkonten wurden angeblich von russischen Hackern gekapert
Die von „Antibot4Nawalny“ bereitgestellten und von der Nachrichtenagentur AFP überprüften Daten belegen, dass es Dutzende oder sogar Hunderte von Profilen gibt, die diese Strategie der massiven Medienanfragen anwenden. Nach Angaben des Auswärtige Amtes würden sogar bis zu 50.000 gefälschte Nutzerkonten auf X versuchen, in deutscher Sprache Unmut über die Bundesregierung zu schüren und die Unterstützung für die Ukraine zu unterminieren. Dabei handelt es sich meist um Konten, die von Nutzern aufgegeben und dann von Hackern gekapert wurden. Die Tatsache, dass diese dann oft im Minutentakt Online-Netzwerke mit ihren Mitteilungen überfluten, deutet daraufhin, dass die Profile von computergesteuerten Bots betrieben werden.
Allein vom 20. Dezember 2023 bis 20. Januar 2024 wurden nach Informationen des Nachrichtenmagazins Spiegel mehr als eine Million deutschsprachige Beiträge abgesetzt. Häufig tauchte darin der Vorwurf auf, die Bundesregierung vernachlässige die eigene Bevölkerung, um die Ukraine zu unterstützen: „Ich finde es enttäuschend, dass die Regierung mehr für andere Länder tut als für die eigenen Bürger“, lautete eine der meistverbreiteten Kurzmitteilungen.
Aufruf: Fake News sollen von Medien gecheckt werden
Die AFP-Analyse ergab, dass Konten, welche die Medien zur Überprüfung von Falschnachrichten aufforderten, einige Zeit später selbst Fake News verbreiteten. Etwa durch Berichte über angebliche Diebstähle in den Pariser Katakomben durch einen Ukrainer, die Unterschlagung von Militärhilfe für Kiew oder manipulierte Bilder von Straßenkunst soll die Ukraine diskreditiert und der Eindruck erweckt werden, dass die Unterstützung für Kiew in Europa und den USA nachlässt.
Die meisten dieser Beiträge wurden zuerst von russischen Internetnutzern geteilt, insbesondere über den Onlinedienst Telegram und in Nachrichtenblogs, wie aus AFP-Recherchen hervorgeht.
Doppelgänger-Kampagne auf X: Nachrichtenmedien werden imitiert
Diese neue Strategie der Desinformation folgt auf die sogenannte Doppelgänger-Kampagne. Dabei verlinken gefälschte Accounts auf X auf Internetseiten, die bekannte Nachrichtenmedien imitieren, um den Inhalten Glaubwürdigkeit zu verleihen. In diesem Zusammenhang beklagte jüngst das Auswärtige Amt eine massive russische Desinformationskampagne auf X. Diese habe darauf abgezielt, Unmut gegen die Ampel-Regierung zu schüren und die Unterstützung für die Ukraine in Deutschland zu untergraben.
Der Forschungsdirektor des französischen Instituts CNRS, David Chavalarias, sieht in der neuen Strategie ein „Ablenkungsmanöver für Faktenchecker“, die mit „schwer zu überprüfenden Themen“ beschäftigt werden sollen. Nach Ansicht des Mathematikers könnte es auch darum gehen, den Falschinformationen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen, indem die Faktenchecker ohne ihr Wissen als Multiplikatoren genutzt werden. Der Cyber-Experte Julien Nocetti beobachtet bei den Initiatoren der Kampagnen „eine gewisse Agilität, verschiedene Methoden zu testen“.
Eine französische Sicherheitsquelle sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie sei von der neuen Strategie „nicht überrascht“. Die Russen strebten nach Sichtbarkeit: „Sie wollen, dass man über sie spricht, im Guten wie im Schlechten.“
Die im Rahmen der „Matrjoschka“-Kampagne verwendeten anti-ukrainischen Bilder wurden in Online-Netzwerken von denselben Bots verbreitet, die auch Teil der Doppelgänger-Kampagne waren. Laut einem Bericht des Cybersicherheits-Unternehmens Recorded Future vom Dezember ist die Doppelgänger-Kampagne weiterhin sehr aktiv. Demnach sind mindestens 800 Bots damit beschäftigt, gefälschte Artikel angeblicher ukrainischer Medien zu verbreiten.
Die Ukraine sei das Land, das am häufigsten Ziel von „Informationsmanipulationen“ sei, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kürzlich. Er sprach von einer „Schlacht der Erzählungen“. Sicherheit sei „nicht mehr nur eine Frage von Waffen, sondern eine Frage von Informationen“.



