Der frühere Bundeskanzler Olaf Scholz hat erstmals öffentlich eingeräumt, einen Brief an die US-Regierung geschrieben zu haben, um die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 vor amerikanischen Sanktionen zu bewahren. Vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern sagte der SPD-Politiker in Schwerin: „Den Brief gab es wirklich“, wie die Ostsee-Zeitung berichtete.
Scholz erklärte, er habe in seiner Funktion als damaliger Finanzminister im Sommer 2021 angeboten, Deutschland werde Flüssiggas-Terminals bauen und langfristig mehr Erdgas aus den USA beziehen. Dafür sollten die Vereinigten Staaten ihre Sanktionsdrohungen gegen das Pipelineprojekt zurückziehen. Der Versuch blieb erfolglos. Die US-Regierung hielt an ihrer Linie fest.
Scholz: Brief an US-Finanzminister nicht allein verfasst
Das Schreiben habe sich an den damaligen US-Finanzminister Steven Mnuchin gerichtet. Scholz sagte im Ausschuss, er sei nicht der alleinige Verfasser des Briefes gewesen. An dem Schreiben seien „maßgebliche Stellen“ beteiligt gewesen, unter anderem das Bundeskanzleramt, zitierte die Ostsee-Zeitung den früheren Kanzler.
Über einzelne Inhalte des Briefes äußerte sich Scholz zurückhaltend. Zuvor hatte eine Umweltorganisation Teile des Schreibens öffentlich gemacht. Darin ist laut verschiedenen Medien die Rede davon, dass Deutschland den Import von US-amerikanischem Fracking-Gas mit öffentlichen Mitteln fördern wollte. Über mögliche Summen machte Scholz selbst keine konkreten Angaben.
Scholz: Langer Verzicht auf LNG-Terminals war Fehler
Vor dem Ausschuss betonte Scholz zugleich, die jahrelange Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energielieferungen sei ein Fehler gewesen. „Die Abhängigkeit von Russland in Energiefragen war ein Fehler“, sagte er wörtlich, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtete. Er habe sich schon lange vor dem russischen Angriff auf die Ukraine dafür eingesetzt, LNG-Terminals zu bauen, um die Energieversorgung flexibler und krisenfester zu machen. Dass Deutschland über Jahre keine entsprechende Infrastruktur aufgebaut habe, habe er „nie verstanden“, so Scholz laut dpa.
Gegenstand der Ausschusssitzung war die Rolle der Bundesregierung und der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern beim Bau von Nord Stream 2 und bei der Gründung der Stiftung Klima- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommern. Diese Stiftung war Anfang 2021 gegründet worden, um die Fertigstellung der Pipeline trotz drohender US-Sanktionen abzusichern.
Scholz sagte, die Stiftung sei aus Sicht der Bundesregierung eine Angelegenheit des Landes gewesen. „Wir haben das immer als Angelegenheit der Landesregierung betrachtet“, erklärte er laut Ostsee-Zeitung. Zwar habe ihn Ministerpräsidentin Manuela Schwesig im November 2020 telefonisch über die geplante Stiftungsgründung informiert, über Details sei er aber nicht im Bilde gewesen. Wer den Anstoß zur Stiftung gegeben habe, wisse er nicht.
Scholz stoppte Inbetriebnahme von Nord Stream 2
Scholz schilderte außerdem, dass er im Februar 2022 die Betriebsgenehmigung für die bereits fertiggestellte Pipeline verweigert habe. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sei klar gewesen, dass Nord Stream 2 nicht ans Netz gehen werde. Die Leitung liegt heute ebenso wie die ältere Parallelröhre Nord Stream 1 ungenutzt auf dem Grund der Ostsee. Beide Pipelines wurden im September 2022 durch Explosionen schwer beschädigt.
Im Untersuchungsausschuss sagten vor Scholz bereits mehrere prominente SPD-Politiker aus, darunter Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel und Erwin Sellering. In den kommenden Sitzungen soll auch Manuela Schwesig als Zeugin angehört werden. Der Ausschuss will klären, welche politischen und finanziellen Entscheidungen hinter dem Milliardenprojekt Nord Stream 2 und der Gründung der Klimastiftung standen.


